Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider
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Название: Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald

Автор: Margarete Schneider

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

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isbn: 9783775172103

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      Das hat ihn keineswegs dazu bewogen, ein angepasster »gehorsamer Sohn« seiner württembergischen Landeskirche zu sein. Er, der bei J. T. Beck in Tübingen biblische Theologie studiert hatte, kümmerte sich während seiner Vikarszeit so hingebungsvoll um die zahlreichen Armen seiner Umgebung, dass das Württembergisch Königliche Konsistorium von seiner einseitigen Parteiname für die Unterlegenen durchaus nicht erbaut war. Nachdem er bei der Predigt über das Wort Johannes des Täufers »Wer zwei Röcke hat, der gebe dem, der keinen hat« (Lukas 3,11) demonstrativ seinen Talar ausgezogen und einer armen Frau gegeben hatte mit der Empfehlung, sie möge sich aus dem Stoff ein Kleid nähen, griff das Konsistorium ein, verbot ihm vorerst das Predigen und ließ vorsichtshalber die Kirche versiegeln. Was den feurigen Theologen dazu bewog, zwischen den Dörfern in Feldscheunen zu predigen.

      Seine Mutter besuchte den konfliktbereiten Sohn, wollte ihn zum Einlenken bewegen. Ohne Erfolg. Als sie dann an diesem heißen Tag zu einem entfernten Bahnhof eilen musste, brach sie aus leiblich-seelischer Überanstrengung zusammen und starb in den Armen des Sohnes.

      Karl Dieterich verließ daraufhin Württemberg und wurde Hauslehrer bei einem Adeligen in Ungarn. Nach längerer Zeit kehrte er nach Württemberg zurück, wurde von der Landeskirche wieder gütig in den Pfarrdienst aufgenommen und heiratete als Pfarrverweser von Gomadingen die Tochter des Nachbarpfarrers, Marie Rüdiger (1864–1943), Paul Schneiders spätere Schwiegermutter. Sie gebar ihrem Mann zehn Kinder, deren jüngstes Margarete, Gretel, 1904 zur Welt kam. Er war dann Pfarrer in Auenstein bei Heilbronn, später in Wildberg im Schwarzwald, schließlich in Weilheim bei Tübingen.

      Von Karl Dieterich hat sein Sohn Karl Dieterich, geb. 1900, gelegentlich gesagt, er sei in seiner Jugend theologisch konservativ und politisch progressiv gewesen; im Alter jedoch eher theologisch liberal und politisch nationalkonservativ. Das zeigen auch seine zahlreichen Gelegenheitsgedichte, in denen er, besonders während des Ersten Weltkriegs, eine streitbare nationale Gesinnung offenbarte. Sein Leben lang half er den Armen, wo er nur konnte. Der leidenschaftliche Prediger ließ sich auch mit siebzig Jahren nicht pensionieren. Sein Tod im Februar 1927 erfolgte nach einem Zusammenbruch vor dem Altar, nachdem er mit seinem bescheidenen Kirchenchor noch ein Weihnachtsoratorium aufgeführt hatte. Zweieinhalb Jahre vorher, im Juli 1924, hatte ihm sein Schwiegersohn P. S. zur Frage, ob er sich pensionieren lassen solle, geschrieben: »O bitte, Vater, tu noch ein Weilchen mit, es ist doch so schön, für Gottes Sache zu streiten … Ich habe immer so die Idee, als sollte es für Pastoren und Streiter unseres Gottes gar keine Pensionierung geben, als sei das nur etwas für Weltmenschen, als müssten die Streiter Gottes in den Sielen sterben. Ein Christ und Glaubensmensch wird ja geistlich immer jünger und frischer und geläuterter und bewährter für den Dienst seines Herrn«.29 Karl Dieterich war als künftiger Schwiegervater für Paul Schneider ein interessanter, anspruchsvoller und gewichtiger Gesprächspartner. Im Übrigen war er ein musisch vielseitig tätiger Mann, besonders was das Dichten und das Dirigieren des Chores betrifft; auch der Ahnenforschung gab er sich hin.30

      Noch wichtiger als Gegenüber wurde für P. S. Karl Dieterichs Frau Marie, Gretels Mutter. Sie zog ihre zehn Kinder auf und betreute ihren epileptischen Sohn Konrad bis zu dessen Tod im Jahr 1940. Sie war von lebenserfahrener Güte und wurde für P. S., der seine eigene Mutter so früh verloren hatte, bald eine Art Ersatzmutter, was seine zahlreichen Briefe an sie zeigen, in denen er sie auch zur Mitwisserin seiner kirchenpolitischen und politischen Konflikte machte. Immer wieder drückt er in seinen Briefen dieser zweiten Mutter seine große Dankbarkeit aus.

      So schreibt er besonders eindrücklich im Blick auf beide Schwiegereltern am 18. Februar 1927, fünf Tage nach dem Tod des Schwiegervaters, an Marie Dieterich: »Wie bist Du eine so starke, liebe und tapfere Mutter! … Wie müssen wir Kinder alle Dir dankbar sein, dass Du, die Nächstbetroffene, so aufrecht und gottvertrauend uns vorangehst! So bist Du doch noch bei uns, nachdem der liebe Vater von uns gegangen ist. Darf auch ich mich ja zu seinen Kindern zählen? So viel Vertrauen und Liebe habe ich ihm ja zu danken. Vielleicht ist unter dem, was mir von Menschen geschenkt wurde, Vaters Vertrauen das Größte und Beste geworden nebst Gretels herzinniglicher und Deiner mütterlichen Liebe und nebst der doch wieder so andersartigen Liebe meiner Eltern … Ich darf es Dir vielleicht hier sagen, was ich mit Worten Dir nicht hätte sagen können, weil ich meine, es tröste Dich: dass ich Vater lieb gehabt habe; Ihr seid mir ja beide wahrhafte Eltern geworden.«31

      Was Gretel, die Jüngste, betrifft, so zeigen frühe Fotografien, dass sie einen natürlichen Charme hatte. Wie schön sie war, sehen wir auch auf einem bemerkenswerten Holzschnitt des Künstlers Fritz Franck, der sie als »Eva mit dem Apfel« beim Oberufener Paradeisspiel darstellt, das in den frühen Zwanzigerjahren in verschiedenen Stadtkirchen durch das Studentenwerk aufgeführt wurde. Jeder, der sie kannte, erinnert sich gern ihrer frischen, direkten Herzlichkeit. Es fällt nicht schwer, sich zwischen ihr und dem Studenten Paul im schönen Tübingen eine Liebesgeschichte vorzustellen.

      Gretel und Paul haben, da sie sangeslustig waren und beide gute Stimmen hatten, unterwegs gern miteinander gesungen. Etwa ihr Lieblingslied »Ännchen von Tharau« und andere. Gretel lebte, so sagte sie im Gespräch, in ihren jungen Jahren gern nach dem Vers von Ludwig Uhland:

      Singst du nicht dein ganzes Leben,

      sing doch in der Jugend Drang,

      nur im Blütenmond erheben

      Nachtigallen ihren Sang.

      Von Heims32 »Ethik« ist Paul tief erfasst, sein bisheriges Leben in seiner »Eitelkeit« liegt vor ihm, die innere Unruhe und Sehnsucht nach der Ruhe in Gott nimmt zu. Im Wintersemester 1921 ist er wieder in Marburg. An einem Vorweihnachtstage dringt ein Strahl des ewigen Lichts33 in seine Seele, es hebt ein großes Freuen an, und er zehrt lange von diesen »seelischen Erregungen und Bewegungen«; das Wissen davon, dass Gott Licht werden lassen kann, bleibt in ihm.

      Innerhalb des Wingolf kam es immer wieder zu Konflikten, bis die Verbindung im Sommer 1921 »diesmal aus eigener Initiative das Band zwischen sich und mir zerschnitt, da ich Kommentformen und Institutionsformen, ›die Grundlagen des Verbindungslebens‹, als reformbedürftig angegriffen habe. In der Hauptsache war es der Trinkkomment34. Ich von mir aus hätte drum ruhig in der Verbindung bleiben können, bin nun aber doch froh, Zeit und Kraft für andere Dinge frei zu haben« (Tagebuch). Aus dem Gießener Wingolf trat Paul 1933 aus. Er verweigerte in Ablehnung des Arierparagrafen35 – in einer »christlichen« Verbindung – den arischen Nachweis.

      Die Frage, wie Paul Schneider zur Studentenverbindung Wingolf stand, und besonders die Frage, ob er aus ihr ausgetreten ist, wurden in den letzten Jahren mehrfach von Wingolfiten bearbeitet. Deutlich ist, dass P. S. in Marburg nach erheblichem Zögern in die Verbindung eingetreten ist.36 Im Tagebuch finden wir am 4. Oktober 1919 die Information, er habe sich im Wingolf aktiv gemeldet und er trage nun »das grün-weiß-goldene Band und Mütze. War’s recht für mich? Ich weiß es heute noch nicht. Allzu reges geistiges Leben ist, glaube ich, in der Verbindung nicht drin. … Es wäre das Turnen in den Vordergrund zu rücken, Frühschoppen wäre zu beseitigen, Fernbummels in Wanderungen umzuführen und endlich den Bierkomment abzuschaffen.« Er stellt dann fest: »Merkwürdigerweise sind es Leute, die einen weniger straffen Korporationsstandpunkt vertreten, an die ich mich anschließe.«

      Offenbar hat im Gießener Wingolf in den Jahren 1919 bis 1921 eine verstärkt christliche und soziale Richtung vermehrt Zulauf bekommen. Das hat dort zu einer zunehmenden Innerlichkeit geführt. Einen anderen Eindruck macht der Marburger Wingolf in diesen Jahren. Die Trinksitten sind in Marburg intensiver gepflegt worden, als sie in Gießen überhaupt erlaubt waren. Bierspiele, d. h. Wetttrinken, waren beim Wingolf in Gießen verboten, nicht aber in Marburg.37 Mit Blick auf seine Erfahrungen mit dem Marburger Wingolf schreibt P. S. am 4. Juni 1920 an den Wingolf Gießen, er bitte um Verständnis dafür, dass er aus dem Wingolf austreten müsse. СКАЧАТЬ