Название: Alternativlos
Автор: Thomas Kirchner
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783940431585
isbn:
Trotz der eigentlich festgesetzten Wechselkurse konnte nun der Markt den Wert der D-Mark ermitteln. Als sich der Wert um 3,70 Mark pro Dollar stabilisierte, entschied die Bundesregierung, zu festen Wechselkursen bei 3,66 Mark pro Dollar zurückzukehren. Dies entsprach einer Aufwertung um 9,3 Prozent. Bemerkenswert ist, dass der neue feste Wechselkurs also vom freien Markt bestimmt worden war. Wenn man also den Devisenmarkt braucht, um das jeweilige Niveau der Wechselkurse zu bestimmen, auf dem sie dann festgesetzt werden, dann können Devisenmärkte genauso gut kontinuierlich das Niveau festlegen. So lassen sich die Folgen einer plötzlichen krassen Abwertung mindern.
Am 5. August 1971 war es dann endgültig soweit. Präsident Nixon erklärte, dass der Dollar nicht mehr in Gold gewechselt werden könne. In seiner Rede machte er für diese Entscheidung natürlich nicht das unhaltbare System fester Wechselkurse und Goldkonvertibilität verantwortlich. Er fand andere Schuldige:
In den letzten Wochen haben Spekulanten einen Krieg mit allen Mitteln gegen den Dollar geführt.
Richard M. Nixon, 15. August 1971
Von Defiziten, Inflation, den Tricksereien der französischen Zentralbank oder den grundsätzlichen Problemen fester Wechselkurse sprach er dabei natürlich nicht. Dass die sogenannten Spekulanten letztlich europäische Zentralbanken waren, war Nixon dann doch zu heiß. Trotzdem wussten alle, wovon er sprach.
Nixons Entscheidung wird von Kritikern als der Anfang einer langen Phase von Deregulierung in den angelsächsischen Ländern gesehen, sogar von der Grundwertekommission der SPD. Doch hatte Bretton Woods keineswegs ein Finanzparadies von dauerhafter Stabilität geschaffen, wie es manch einer mit Scheuklappen im Rückblick zu sehen glaubt. Spannungen im System waren vorprogrammiert und wurden durch Abwertungen oder Aufwertungen bereinigt, sobald der Status Quo nicht mehr zu verteidigen war.
Die Rolle der Kosten des Vietnamkriegs beim Zusammenbruch des Systems wird manchmal übertrieben; trotz der hohen Kriegskosten konnten die USA ihren Schuldenstand7 bis 1973 auf ein Rekordtief senken. Weder Deregulierungswut noch Kriegskosten sind also letztlich für das Scheitern des Bretton Woods-Systems verantwortlich. Vielmehr waren es die Spannungen, die sich aus den festen Kursen ergaben und auf die gesamte Wirtschaft auswirken.
Es wird auch gerne vergessen, dass Nixon eigentlich nur ein Nachzügler war. Deutschland und die Niederlande hatte bereits im Mai 1971, also drei Monate vor Nixon, das System von Bretton Woods verlassen und die Mark beziehungsweise Gulden zum freien Handel freigegeben. Also müssten Gegner freier Märkte eigentlich die von ihnen beklagten angelsächsischen Deregulierungen als Made in Germany verteufeln. Noch dazu als von der damaligen SPD-Regierung ausgelöst. Doch eignet sich der damalige Helden-Kanzler Willy Brandt (Mehr Demokratie wagen!) anscheinend nicht als Urheber einer drei Jahrzehnte dauernden neoliberalen Deregulierung – also muss Nixon (rechter Republikaner!) herhalten.
Anfang der 70er Jahre stand die Niedrigzinspolitik der Vereinigten Staaten im Widerspruch zu der von der Bundesbank betriebenen Geldpolitik, die auf Preisstabilität abzielte. Die Inflation stieg 1970 und 1971 jeweils auf knapp 8 Prozent, nicht zuletzt, weil der günstige Wechselkurs der Mark Einkäufe in Deutschland billiger machte. Damit importierte Deutschland die Inflation anderer Staaten und erhielt gleichzeitig mehr und mehr Dollar von den Exporteuren.
Eine Zinserhöhung hätte die Inflation zwar theoretisch gebremst. In der Praxis wäre Deutschland dann mit Dollar überflutet worden, die aufgrund der höheren Zinsen in Mark gewechselt worden wären. So kam dann 1973 das endgültige Ende des Systems von Bretton Woods. Die Wechselkurse wurden freigegeben.
Bei diesem kurzen Ausflug in die Geschichte der Nachkriegszeit lernt man, dass feste Wechselkurse keineswegs optimal sind und dass Wechselkurse nur zeitweise fest waren. Sobald sich genug Spannungen aufgestaut hatten, wurden die Kurse plötzlich und abrupt neu festgelegt. Wer die steigenden Spannungen nicht erkannte, erlag einer Illusion von Stabilität. Andere hingegen erkannten die Risiken plötzlicher Währungsänderungen und hatten größte Schwierigkeiten, in einem solchen Umfeld langfristig zu planen. Die Illusion von Stabilität wurde auf Kosten noch stärkerer, aber relativ seltener Krisen erkauft. Statistiker bezeichnen diesen Effekt als Reduzierung der Volatilität zugunsten häufig auftretender Extremwerte.
Währungsspekulationen rentieren sich gerade bei festen Wechselkursen, denn durch die kurzfristige Kursstabilität ist das Risiko bei einer Spekulation viel geringer, als wenn kurzfristige Schwankungen an der Tagesordnung sind. Bei frei schwankenden Währungen geht ein Spekulant ein höheres Risiko ein. Beispielsweise kann er bei einer Spekulation auf eine Abwertung aufgrund von kurzfristigen Kursschwankungen einen Verlust erleiden, wenn die Währung zeitweise aufwertet. Bei festen Wechselkursen gibt es derartige Schwankungen nicht, und Spekulationen sind deshalb weniger riskant.
Trotzdem behaupten Kritiker immer wieder, Währungskrisen und -spekulation wären erst durch den erweiterten Devisenhandel mit dem Ende von Bretton Woods entstanden. Diesem Trugschluss liegen zwei Irrtümer zugrunde. Die Annahme, es hätte in der Zeit von Bretton Woods keinen Devisenhandel gegeben, ist falsch. Wie ich gezeigt habe ist es auch falsch, zu behaupten, dass es damals keine Währungsspekulationen gab.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Währungskrisen nach Meinung der Kritiker ein Merkmal des Finanzkapitalismus sind. Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Fehleinschätzung liegt in der Wahrnehmung der Kapitalismuskritiker. In der Zeit von Bretton Woods und bis in die 80er Jahre hinein beschäftigten sie sich hauptsächlich mit Theorien über Neokolonialismus. Währungskrisen spielen in dieser Gedankenwelt bestenfalls eine Nebenrolle.
Theorien über den Finanzkapitalismus entstanden erst in den 90er Jahren, also zeitgleich mit den in der Presse ausführlich berichteten Krisen in den Jahren 1992, als das Pfund das Europäische Währungssystem verließ, und 1998, als zahlreiche asiatische Währungen abgewertet wurden. Die Krisen der 60er Jahre waren zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in der Erinnerung vieler Zeitgenossen. Und die Theoretiker des Finanzkapitalismus hatten kein Interesse daran, die Erinnerung zu wecken, denn das hätte die Schlüssigkeit ihres gesamten Gedankengerüsts erschüttert.
Könnte eine Rückkehr zu stabilen Wechselkursen heute Devisenspekulationen ein für allemal beenden? Im Gegenteil. Solange Wechselkurse stabil sind, geht ein Spekulant bei einer Wette gegen eine Währung kein Kursrisiko ein. Er verkauft die Währung an die Zentralbank, deren Währungsreserven daraufhin sinken. Wenn dann die Abwertung kommt, kauft der Spekulant die Währung zum billigeren Kurs zurück. Die Zentralbank verbucht einen Verlust. Feste Wechselkurse sind ideal zur Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten.
3 Darin unterscheidet sich das System von Bretton Woods vom klassischen Goldstandard, der bis zum Ersten Weltkrieg herrschte.
4 Benannt nach dem belgisch-amerikanischen Ökonomen Robert Triffin, der es zuerst formulierte.
5 Insbesondere durch Arbeiten von Paul Samuelson und Robert Solow, später von James Tobin.
6 Auslöser der Aufwertung war übrigens die französische Lohnpolitik, die nach den Unruhen von 1968 Lohnerhöhungen von 25 Prozent durchsetzte. Die dadurch in Frankreich entstandene Inflation wurde durch den festen Kurs des Franc zur Mark nach Deutschland exportiert – dies ist noch ein unangenehmer Nebeneffekt fester Wechselkurse. Die Bundesbank СКАЧАТЬ