Название: Alternativlos
Автор: Thomas Kirchner
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783940431585
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Als der Euro geschaffen wurde, war hohe Bonität der Sicherheiten ein notwendiges Kriterium, denn Skeptiker prophezeiten das baldige Ende der Gemeinschaftswährung. Doch dann kam die Krise, und plötzlich gaben Rating-Agenturen Griechenland nicht mehr die höchste Bonität. Doch die Bonität dieses Landes kann man natürlich nicht per Dekret stärken. Rating-Agenturen lassen sich dagegen eher mit Verwaltungsmaßnahmen weichklopfen, positive Einschätzungen abzuliefern. Genau diesen Weg will Europa jetzt einschlagen.
Rating-Agenturen sollen für Fehleinschätzungen haften. Das klingt zunächst vernünftig, hat jedoch einen Haken: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Wer eine Meinung vertritt, kann sich auch einmal verschätzen. Wenn die Meinung noch dazu in einer Wahrscheinlichkeit ausgedrückt wird, ist es unmöglich, eine Fehleinschätzung nachzuweisen. Selbst wenn ein Unternehmen mit AAA bewertet wird, besteht trotzdem die Möglichkeit, dass es Konkurs anmelden muss. Bei 200 so bewerteten Unternehmen kann man also den Konkurs eines Unternehmens erwarten. Was, wenn zwei oder drei von 200 Unternehmen pleitegehen? Welches der Unternehmen war denn falsch bewertet? Und was passiert, wenn kein Unternehmen pleitegeht? Eine Haftung der Rating-Agenturen wird dazu führen, dass sie auf Nummer sicher gehen und alle Unternehmen ein bisschen niedriger einschätzen werden, als notwendig.
Noch absurder ist die neue EU-Vorschrift, nach der die Ratings von Staaten nur noch an vorher festgelegten Freitagen revidiert werden dürfen. Damit ist der bisher herrschende Überraschungseffekt bei Rating-Änderungen passé. Investoren können nun genau vorhersagen, wann eine Abwertung kommt. Damit stellt sich ein ähnlicher Effekt wie bei festen Wechselkursen ein: Spekulationen werden einfacher. War bisher der Zeitpunkt einer zu erwartenden Auf- oder Abwertung eines Ratings eine unsichere Variable, kann man nun mit einem festen Datum rechnen und geht bei spekulativen Transaktionen weniger Risiko ein. Die Vorschrift führt also genau zum Gegenteil von dem, was beabsichtigt war.
Es ist nicht neu, dass Regierungen versuchen, die freie Meinungsausübung in Wirtschaftsfragen zu beeinträchtigen. Im Politischen ist Meinungsfreiheit ein lang etabliertes Recht. In der Wirtschaft hingegen nicht. Zwei Beispiele verdeutlichen, die Regierungen immer wieder versuchen, unangenehme Wirtschaftsprognosen zu unterdrücken.
In Argentinien forderten die Machthaber alle privaten Analysten und Forschungsinstitute im Februar 2011 auf, ihre Methoden bei der Statistikbehörde zur Überprüfung einzureichen. Seit die Regierung 2007 einen politisch verlässlichen Chef an die Spitze der Statistikbehörde INDEC setzte, hatten die offiziellen Zahlen ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Dazu kommt, dass die Regierung dem Internationalen Währungsfonds eine Prüfung der eigenen Methodik seit 2006 verweigert. Eine unabhängige Berechnung der Inflationsrate war also ein vielversprechendes Geschäftsmodell für unternehmerische Statistiker.
Allerdings hatten sie ihre Rechnung ohne die Skrupellosigkeit ihrer Regierung gemacht. Diejenigen, die der Forderung nachkamen und ihre Berechnungsmethoden der Statistikbehörde mitteilten, bekamen eine Geldbuße von je rund 100.000 Euro wegen angeblicher Fehler. Gegen ein privates und unabhängiges Forschungsinstitut, MyS Consultores, wurde sogar ein Strafverfahren eingeleitet.
Der wesentliche Unterschied zwischen den offiziellen und privaten Berechnungen lag im Erhebungsbereich der Daten. Die Privaten berechneten die Inflationsrate des Landes aufgrund von Daten, die sie selbst im ganzen Land erhoben. Die offizielle Inflationsrate hingegen wird nur aufgrund von Daten aus der Provinz Buenos Aires berechnet. Es verwundert kaum, dass die von privaten Agenturen errechneten Inflationsraten wesentlich höher liegen als die offizielle: rund 25 Prozent statt offiziell 9,7 Prozent. Der Leser kann selbst entscheiden, welche Methode glaubwürdiger ist. Politisch erwünscht ist natürlich immer die Methode, bei der die kleinere Zahl herauskommt.
Man muss jedoch nicht bis nach Südamerika schauen, um Eingriffe in die Redefreiheit und Druck auf Wirtschaftler zu finden. Auch in Europa gibt es bereits erschreckende Beispiele. Ausgerechnet in Lettland, immerhin ein Mitglied der Europäischen Union, wurde Ende 2008 der Wirtschaftswissenschaftler Dmitrijs Smirnovs in ein Gefängnis der Geheimpolizei gesperrt, weil er bei einer Online-Debatte die Abwertung des Lat gegenüber dem Euro vorhersagte. Er riet Sparern, ihr Geld lieber in anderen Währungen investieren, um der drohenden Abwertung zu entgehen. Nach seiner Freilassung zeigte sich Smirnovs, je nach Sichtweise entweder einsichtig oder eingeschüchtert: Er kündigte an, bei seinen Prognosen in Zukunft vorsichtiger zu sein.
Etwas weniger dramatisch als Smirnovs‘ Verhaftung war im Jahr davor der Fall von Alf Vanags, Direktor eines Forschungsinstituts in Riga. Nachdem Vanags bei einer Pressekonferenz vor dem steigenden Leistungsbilanzdefizit des Landes warnte, bekam er innerhalb einer Stunde einen Anruf von der Geheimpolizei. Sogar der Musiker Valters Frindbergs bekam Ärger mit der Polizei, weil er bei einem Konzert scherzte, die Besucher sollten bis zum Ende des Konzerts warten, bevor sie ihre Konten bei den Banken leeren. Wie gesagt, Lettland ist Mitglied der Europäischen Union.
Die Drohgebärden der Politik gegenüber Rating-Agenturen lassen also nichts Gutes erahnen, was die Zukunft objektiver Wirtschaftsanalysen im Euroraum angeht.
18 Ratings aktuell per August 2012. Es handelt sich streng genommen um die von der niederländischen Siemenstochter Siemens Financieringsmaatschappij N.V. begebene Anleihe mit ISIN XS0266840486. Die Campbell Soup Company-Anleihe hat die ISIN US134429AW93.
19 Zum 18. 3. 2011.
7
Was bringt eine europäische Rating-Agentur?
Noch eine Rating-Agentur? Das ist etwa so, als würde die Stiftung Warentest in mehrfacher Ausführung immer noch nicht reichen. Ein wichtiger Kritikpunkt an Rating-Agenturen ist, dass es nicht genug davon gibt und somit kein ausreichender Wettbewerb stattfindet. Ein Vergleich mit der Stiftung Warentest zeigt, dass auch bei der Prüfung von Konsumgütern nicht viel Wettbewerb herrscht. Und das, obwohl es sich dabei doch um einen wesentlich größeren Markt handelt. Während die Rede immer nur von den drei großen Agenturen Moody‘s, Standard & Poor‘s und Fitch ist, gibt es noch eine Reihe kleinerer Rating-Agenturen, deren Existenz weitgehend totgeschwiegen wird.
Zunächst die Agentur Egan-Jones, 1995 von Sean Egan gegründet. Diese Agentur vergibt Ratings, für die Nutzer der Ratings zahlen. Damit unterscheidet sich die Agentur wesentlich von den drei Großen, bei denen die Emittenten der Wertpapiere Auftraggeber sind und die Kosten übernehmen. Wenn der Emittent zahlt entsteht potentiell ein Interessenkonflikt. Wenn jedoch die Nutzer zahlen und nicht die Emittenten, gibt es weniger Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Ergebnis.
Dieser Kritikpunkt wird gerne gegen die bekannteren Rating-Agenturen hervorgebracht. Doch warum verlässt die EZB sich dann auf Ratings dieser Agenturen und ignoriert die – zumindest theoretisch – besseren Ratings von Egan-Jones? Offenbar ist nicht nur die Methodik wichtig, sondern auch der Ruf und die Glaubwürdigkeit einer Agentur. Egan-Jones ist ein relativ junges Unternehmen, das sich seinen guten Namen gerade langsam und mühsam erarbeitet. Während die amerikanische Wertpapieraufsicht Egan-Jones Ratings für vollwertig anerkennt, zögert die EZB noch. Vielleicht ist dieses Zögern aber auch politisch gewollt. Denn solange man behaupten kann, dass es nur drei Rating-Agenturen gibt, kann man auch die Gründung einer europäischen Agentur fordern.
Damit würde man dann China nacheifern. Die Mandarine der Volksrepublik ärgerten sich in der 90er Jahren wie europäische Politiker heute, dass die großen Rating-Agenturen alle in den USA beheimatet sind. Also gründete man 1994 schnell Dagong Global Credit Rating als eigene chinesische Rating-Agentur. Natürlich unabhängig. Ihr kommt innerhalb Chinas eine wichtige Rolle zu, da viele der dortigen Unternehmen und Gebietskörperschaften nach der Öffnung Chinas nur langsam internationale Kredite aufnahmen und deshalb von den westlichen Rating-Agenturen nur selten СКАЧАТЬ