Das Weltkapital. Robert Kurz
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Название: Das Weltkapital

Автор: Robert Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783862870820

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      Denn der Wert der Güter wird gemessen nach dem jeweils gültigen Standard der Produktivität, und nur in diesem Sinne findet auf den Märkten ein Warentausch von Äquivalenten (also ein »gleicher« Tausch) statt. Getauscht werden nicht Waren nach ihrem Arbeitsaufwand schlechthin, sondern nur nach dem Aufwand unter den gültigen Bedingungen der Produktivität, die wiederum ihrerseits an einen bestimmten Einsatz von Sachkapital (naturwissenschaftlich fundierter Technologie) gebunden sind. Zwar kann ein Unternehmen, das diese »gültige« Technologie nicht anwendet, durch vermehrten und verbilligten Arbeitseinsatz zeitweilig konkurrenzfähig bleiben, aber die gemäß dem Standard überproportional aufgewendete menschliche Energie wird auf dem Markt nicht als wertbildend anerkannt, d.h. die Waren werden als Äquivalente nur nach dem herrschenden Produktivitätsstandard getauscht. Das unterproduktive Unternehmen (und die entsprechende unterproduktive Nationalökonomie) kann nur durch Unterbezahlung und Auspowerung der jeweiligen Arbeiter mithalten, aber auch das nur zeitweilig.

      Woran aber mißt sich der Standard der Produktivität? Er wird gemessen nach dem gesellschaftlichen Durchschnitt dieser Produktivität, also nach dem durchschnittlichen Grad der technologischen Verwissenschaftlichung der Produktion, die (im Kapitalismus nur unter dem Druck der anonymen Konkurrenz) menschliche Arbeit überflüssig macht. Nun aber kommt die Gretchenfrage: Was ist eigentlich das Bezugssystem dieses »gesellschaftlichen Durchschnitts«? Es ist ganz eindeutig die nationalökonomische Ebene der kapitalistischen »Totalität«. Denn nur im Binnenraum der jeweiligen Nationalökonomie gelten die gemeinsamen Rahmenbedingungen, die so etwas wie einen »gesellschaftlichen Durchschnitt« überhaupt herstellen können. Dazu gehört natürlich auch das, was als äußerliche staatliche Leistung (Infrastruktur, Ausbildungssystem usw.) in die scheinbare »Naturgrundlage« der betriebswirtschaftlichen Produktion mit eingeht; ebenso wie – indirekt – der Grad, die Art und Weise sowie die jeweilige Reichweite des geschlechtlichen Abspaltungsverhältnisses, denn die unsichtbaren sozialen »Schmiermittelfunktionen« setzen ebenso eine Bedingung für den Grad der Produktivität wie das Ausbildungssystem (durchaus erkannt in den neueren Managementtheorien, die auch diese Ressource systematisch ausbeuten wollen).

      Auf der zweiten, höheren Totalitätsebene des Weltsystems, also des Weltmarkts, existieren aber diese (teils staatlich bewerkstelligten oder jedenfalls im nationalen Rahmen ausgebildeten) Rahmenbedingungen nicht, die es erlauben würden, dass sich so etwas wie ein gesellschaftliches Weltdurchschnittsniveau oder eben ein gemeinsamer Weltstandard der Produktivität herausbilden kann. Stattdessen setzt sich auf der Ebene des Weltsystems das Produktivitätsniveau der industriell hochentwickelten Länder unabhängig vom Stand der übrigen Weltmarktteilnehmer durch. Es ist also nicht etwa so, dass im Weltsystem die Beziehung der Nationalökonomien untereinander ein Analogon zur Beziehung der Unternehmen untereinander innerhalb der jeweiligen Nationalökonomie bilden würde.

      Insofern haben Krugman wie Wallerstein in gewisser Weise durchaus recht, aber anders, als sie meinen. Da sich im globalen Maßstab des Weltsystems kein »objektiver« Durchschnitt der Produktivität herausbildet, kann auch kein solcher durch die Teilnahme der kapitalschwachen und in ihrer Produktivität zurückgebliebenen Länder gesenkt werden, sondern auf dem Weltmarkt werden alle am Produktivitätsstandard der jeweils am höchsten entwickelten Nationalökonomien als dem einzigen »objektiven« Kriterium gemessen.

      Das bedeutet, dass ein großer Teil der vernutzten menschlichen Arbeitsenergie in den kapitalistisch zurückgebliebenen Ländern nicht als wertbildend anerkannt wird. Nicht mit einem, wie es bei Wallerstein durchklingt, womöglich machtpolitischmilitärisch durchgesetzten »ungleichen Tausch« haben wir es zu tun, sondern mit dem (kapitalistischen) ökonomischen Gesetz der Produktivität, nach dem sich überhaupt die Äquivalenz von Warentauschbeziehungen herstellt. Diese »Gleichheit« des Tauschs kann nur auf einem gemeinsamen Maßstab der Produktivität beruhen; aber im staaten- und regulationslosen Weltsystem bildet sich dieser Maßstab anders als innerhalb der regulierten und mit Rahmenbedingungen versehenen Nationalökonomie.

      Die Kritik kann also nicht auf der Ebene der Zirkulation (des Austauschs) ansetzen, sondern nur auf der Ebene der gesamt-und weltgesellschaftlichen Reproduktion über das System der »abstrakten Arbeit«; und daher auch nicht nach äußerlichen politisch-moralischen Kriterien, sondern nur als radikale Kritik an der historischen Form der Weltgesellschaft selbst, d.h. am modernen warenproduzierenden System (unter Einschluß seiner staatlichen Apparatur und seiner »geschlechtslogischen« Abspaltungsstruktur). Das würde allerdings bedeuten, weder den »vorenthaltenen Mehrwert« noch den »gleichen Tausch« einzuklagen, sondern die auf den Kategorien des Werts und des Warentauschs beruhende Produktionsweise selber zu überwinden, weil sie mit dem Grad der (globalen) Vergesellschaftung unvereinbar geworden ist.

      Innerhalb des kapitalistischen Weltsystems entsteht durch das Problem der Produktivität und ihres Maßstabs eine Dynamik von »Entwicklung« und »Unterentwicklung«. Die historischen Nachzügler mit geringer Basis der Akkumulation sind durch das Dilemma belastet, dass sie die naturwissenschaftlichtechnologische Ausrüstung und Logistik der Produktion weder in ausreichendem Maße selber herstellen können noch die Kapitalkraft besitzen, um sie im Ausland einzukaufen. Diesem Dilemma gegenüber können sie nur zwei Faktoren ausspielen: zum einen die relative Abschottung durch staatliche Maßnahmen, zum andern billiges Menschenmaterial, das im Kampf mit den Produktivitätsstandards auf dem Weltmarkt verheizt wird.

      Deshalb waren alle »unterentwickelten« Länder, gerade auch die als »sozialistisch« firmierenden, im Prozess der Modernisierung stets in irgendeiner Weise staatskapitalistisch und besonders repressiv arbeitsideologisch. Der im ehemaligen Ostblock höhere Grad von staatsbürokratischer und betriebsorganisatorischer Substitution der »weiblichen« Abspaltungsfunktionen (bestes Beispiel: verallgemeinerte Betriebskindergärten) diente nur dazu, die Frauen als Fabrikarbeiterinnen, Traktoristinnen usw. mit großenteils wesentlich längeren Arbeitszeiten als im Westen im System der »abstrakten Arbeit« zu verschleißen. Betriebskindergärten etc. als organisatorische Pufferfunktion für die Auspowerung auch der weiblichen Arbeitskraft zwecks Devisenbeschaffung, das war die klammheimliche Parole.

      Durch das kapitalistische Entwicklungsgefälle mußte in das Weltsystem eine Dynamik von Instabilität hineinkommen, die schließlich auch derart »staatssozialistische« historische Sonder- und Übergangsstrukturen im Gefüge von »abstrakter Arbeit«, Nationalökonomie, Abspaltungsverhältnis und Weltmarkt wieder eliminierte. In anderen Ländern der Peripherie, also vor allem der so genannten Dritten Welt, die es gar nicht bis zu einer hoch organisierten nachholenden Industrialisierung/Modernisierung brachten, setzte sich der Verschleiß billigen Menschenmaterials noch viel brutaler durch; und das ist in den Zonen etwa der Exportindustrialisierung im Kontext des heutigen Globalisierungsprozesses erst recht der Fall. Man denke nur an die massenhaft wie Sklavinnen gehaltenen, quasi kasernierten chinesischen Fabrikarbeiterinnen. Einerseits wird so in der unterproduktiven Nationalökonomie der hochentwickelte globale Produktivitätsstandard unterlaufen bzw. heute globales Investitionskapital aus eben diesem Grund angezogen; andererseits bleibt die gesellschaftlich vermittelte Produktivität in solchen Ländern auch dadurch am Boden, dass die vielfältigen »Schmiermittelfunktionen« der weiblich konnotierten Abspaltungsstruktur weitgehend ausfallen, weil die Frauen an der Front der Billigarbeit mit verheizt werden und die Entwicklungsbürokratie einfach nicht die Kraft hat, Ersatzfunktionen auszubilden.

      Wallersteins Begrifflichkeit von Zentrum, Peripherie und Semiperipherie beschreibt zwar die Oberfläche dieser Dynamik im globalen Produktivitätsgefälle der Form nach durchaus zutreffend (allerdings fehlt ihm der Zugang zum Problem der Produktivitätsunterschiede). Im Jargon der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre und Entwicklungstheorie entsprechen dieser Oberfläche die Begriffe der »voll entwickelten« Länder, der »unterentwickelten« Staaten und der sogenannten »New Industrialized Countries« (Nics) oder »Schwellenländer«. Aber Wallerstein bleibt dabei im Grunde genommen ebenso phänomenologisch beschränkt wie die damaligen Entwicklungstheorien und der heutige Globalisierungsdiskurs, eben weil das warenproduzierende System als Bezugsrahmen blind und positiv vorausgesetzt wird.

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