Das Wagnis, ein Einzelner zu sein. Michael Heymel
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Название: Das Wagnis, ein Einzelner zu sein

Автор: Michael Heymel

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783290177300

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СКАЧАТЬ durch den Streit anders geworden sei. Ist Gott vielleicht ein anderer geworden? Nun, es habe sich im Streit gezeigt, dass Gott unveränderlich sei, aber diese Unveränderlichkeit sei nicht mehr jene eisige Gleichgültigkeit, jene tödliche Erhabenheit, jenes kalte Schicksal, das noch der Verstand gepriesen habe. »Nein, im Gegenteil, diese Unveränderlichkeit ist innerlich und warm und allenthalben gegenwärtig, ist unveränderlich in der Sorge für den Menschen und eben darum lässt sie sich nicht verändern durch des Beters Schreien, so als ob nun alles vorüber wäre.«

      Und der Beter? Hat er sich durch den Streit des Gebetes verändert? Dessen Veränderung sei nicht schwer einzusehen, meint Kierkegaard, denn am Beginn des Streits sei der Beter ja von seinen Wünschen umgetrieben gewesen. Dann aber, als sein Gebet innerlicher und innerlicher wurde, sammelte sich alles in ihm auf einen Wunsch, bis er auch mit diesem Wunsch zu nichts wurde, weil Gott ihn völlig erfüllte, ein Wechsel, den Kierkegaard mit einem wunderbaren Bild veranschaulicht: »Wenn das Meer alle seine Kraft anstrengt, so kann es das Bild des Himmels gerade nicht widerspiegeln, auch nur die mindeste Bewegung, so spiegelt es den Himmel nicht rein; doch wenn es stille wird und tief, senkt sich das Bild des Himmels in sein Nichts.«

      Es braucht freilich zunächst viel Leiden, Kampf und Streit, um zur Innerlichkeit des Gottesverhältnisses vorzudringen. Auch das Gebet ist dazu nicht in der Lage, wenn es aus einem zerstreuten und nicht aus einem gesammelten |53| Herzen kommt. Wo die Innerlichkeit in Kierkegaards Sinn fehlt, da gleicht der Mensch einem Bogen, der nicht gespannt ist, so dass die abgeschossenen Pfeile kraftlos zu Boden fallen und ihr Ziel nicht erreichen.

      Wie ist »Innerlichkeit« zu erlernen? Kierkegaard schreibt in seinem Tagebuch69 einmal von der »Methode der Innerlichkeit« und weist auf Hebr 5,8 hin, wo von Christus gesagt wird: »Er lernte an dem, das er litt«. Dies sei die »Methode der Innerlichkeit«, die von Christus als dem »Vorbild« zu erlernen sei. Durch Leiden ist Innerlichkeit zu erlernen, genauer: dadurch, dass ein Mensch dem Leiden nicht ausweicht, das ihm bestimmt ist. Und wie erkenne ich, welches Leiden mir bestimmt ist? Es lässt sich wohl nur im Nachhinein, d. h. im Rückblick auf erlittenes Leiden sagen, was mir an Leiden zugedacht war. So hat ja auch Kierkegaard zeitlebens sich seiner Schwermut gestellt und dadurch »an dem gelernt, was er litt«. Das war für ihn die Schule der Innerlichkeit. »Solange das Leiden dauert, ist es oft ungeheuer qualvoll. Doch nach und nach lernt man mit Gottes Hilfe, glaubend bei Gott zu bleiben, selbst im Augenblick des Leidens, oder doch so hurtig wie möglich wieder zu Gott hinzukommen, wenn es gewesen ist, als hätte er einen kleinen Augenblick einen losgelassen, während man litt. So muß es ja sein, denn könnte man Gott ganz gegenwärtig bei sich haben, so würde man ja gar nicht leiden.«70

      Missverstandene Innerlichkeit

      Der Begriff »Innerlichkeit« wird seit Hegel häufig als selbstgenießerische Sentimentalität bzw. als ein »Verhausen« der Subjektivität in sich selbst abgetan. Stattdessen komme es auf eine Vermittlung von innen und außen an. Kierkegaard lehnt jedoch Hegels Vermittlungsdenken ab, weil es Abgründe (sc. der Schwermut) überspringt, über die hinweg nichts zu vermitteln ist. Der im Äußerlichen zerstreute Mensch kann vielleicht gedanklich, aber nicht existenziell mit dem Inneren vermittelt werden, es sei denn, er arbeitet sich mit Hilfe des Gebets in Gott hinein.

      Nietzsche schrieb in seinen »Unzeitgemäße[n] Betrachtungen«: »Das Wissen […] wirkt jetzt nicht mehr als umgestaltendes, nach außen treibendes Motiv und bleibt in einer gewissen chaotischen Innenwelt verborgen, die jener moderne Mensch mit seltsamem Stolz als die ihm eigenthümliche |54| ›Innerlichkeit‹ bezeichnet.«71 Das sei typisch deutsche Innerlichkeit, die auf Luthers Reformation zurückgehe und die Deutschen rückständig gemacht habe.

      Direkt auf Innerlichkeit bei Kierkegaard sind Theodor W. Adornos Überlegungen zur »Konstruktion des Ästhetischen«72 gerichtet: »Wer jeden Eingriff in die äußerliche Realität als Abfall vom rein inwendigen Wesen ahndet, der muß die gegebenen Verhältnisse sanktionieren, wie sie sind. Kierkegaard scheute lange Zeit davor nicht zurück.«

      In dieser Kritik an Innerlichkeit wird freilich übersehen, dass eine tiefe Innerlichkeit zu äußerster Kampfbereitschaft führen kann. Dafür geben gerade Luther ebenso wie Kierkegaard anschauliche Beispiele: Die Verweigerung eines Widerrufs in Worms begründet Luther – ganz »innerlich« – mit dem in Gottes Wort gefangenen Gewissen. Bei Kierkegaard sehen wir am Beispiel seines Streits mit dem »Corsar« ebenso wie am Streit mit der dänischen Staatskirche, wie sich tiefste Innerlichkeit und äußerste Kampfbereitschaft gegenseitig fordern. In Taizé brachte es Roger Schutz auf die Formel: »Kampf und Kontemplation!« Die Innerlichkeit der Kontemplation gibt dem Kampf um Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung die Kraft und bewahrt ihn vor Leerlauf. Stets geht es um die Dialektik, die Paulus in 2Kor 4,16f. so zum Ausdruck brachte: »Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.« Das ist die Innerlichkeit, auf die es Kierkegaard ankommt. Bei ihm wird sie unter viel Leiden im Streit des Gebets gelernt und hat zum Ziel, sich »in Gott hineinzuarbeiten«.

      Als Papst Benedikt XVI. 2011 Deutschland besuchte, kam die Pointe seines Besuchs erst ganz am Schluss bei einer Rede in Freiburg zur Sprache: »Entweltlichung« der Kirche, forderte der Papst. Weist »Entweltlichung« in die Richtung einer recht verstandenen »Innerlichkeit«? Ist der purgatorische Ton des Begriffs »Entweltlichung« vielleicht besser in dem Begriff »Innerlichkeit« aufgehoben? Der Sache nach ist doch wohl gemeint: Eine Kirche, die sich dadurch verzettelt, dass sie in tausend weltlichen Dingen mitmischt, |55| wird zur innerlichen Sammlung auf die Kräfte der Eucharistie und des Gebetes aufgefordert, damit sie sich nicht in äußerlichem Aktivismus erschöpfe. Von der Welt Abstand gewinnen, um die Welt wieder erreichen zu können – das scheint mir in dem Appell des Papstes wie in Kierkegaards Begriff der Innerlichkeit mitzuschwingen.73 Das ist auch der Sinn von Röm 12,2: »Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist«.

      Ich wünschte mir, dass der Appell des Papstes an seine Kirche ebenso wie Kierkegaards Ruf nach Innerlichkeit auch in evangelischen Kirchen gehört würden. Dann würde manches Wort, mancher Begriff, manche Parole verschwinden, weil die Innerlichkeit fehlt, die einer Parole erst die Spannkraft gibt. Ohne Innerlichkeit gleicht ein Wort einem Bogen, der nicht gespannt ist, so dass jeder Pfeil kraftlos zu Boden fällt. Das ist bei Luthers Parole von der »Freiheit eines Christenmenschen« anders, weil hier die innerliche Spannung von Glaube und Liebe, von Freiheit und Dienst mitschwingt und die Kirche der Freiheit davor schützt, eine Kirche der Beliebigkeit zu werden.

      Die Bochumer Praktische Theologin Isolde Karle hat die evangelische Kirche eine »Kirche im Reformstress«74 genannt. Das Grundproblem vieler Kirchenreformprogramme sei, dass sie zu viel Steuerbarkeit und Planbarkeit unterstellten, dass sie Prozesse organisieren wollten, die sich nicht organisieren lassen. Dadurch manövriere sich die evangelische Kirche in einen Aktivismus hinein, der große Frustrationen hervorrufe und die kirchlichen Mitarbeiter auslauge. Die Frage ist also, was sie mit den Erwartungen machen, die an sie herangetragen werden, ob sie auch entschieden »Nein!« sagen können und eine Zuflucht haben, in der sie sich in Zeiten der Erschöpfung bergen können, um zu neuen Kräften zu kommen.

      Natürlich meine ich mit »Zuflucht« den Raum, den das Gebet öffnet. Ich meine als Rhythmus das »Ora et labora«, das nicht nur in einem Kloster, sondern auch in einem Pfarrhaus wie in jedem Haus zum Lebensrhythmus werden kann, frei nach Luthers berühmtem Wort: »Heute habe ich viel zu |56| tun. Da muss ich viel beten!« Doch leider gibt es ja auch die flüchtigen, die geplapperten, die routinierten Gebete, die keinen Raum öffnen, sondern mehr in die Enge treiben. Es sind gar nicht unbedingt die geprägten Gebete wie etwa das Vaterunser oder Luthers СКАЧАТЬ