Название: Das Wagnis, ein Einzelner zu sein
Автор: Michael Heymel
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783290177300
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So mit dem Streitenden, wenn er nicht die Innerlichkeit aufgibt, welche die Bedingung dafür ist, daß man wirklich sagen könne, er streite im Gebet. Sage nicht, mein Leser, das sei eine fromme Einbildung, berufe dich nicht auf die Erfahrung, es gehe so im Leben nicht zu; denn das ist ja gleichgültig, wenn es doch so zugehen kann, und du nötigst mich nur, dir recht zu geben, zu sagen, es gehe im Leben wohl anders zu, weil es nämlich so zugeht, daß die Menschen lau und kalt und gleichgültig werden, so daß sie weder das erste noch das letzte spüren, und vergessen, so daß sie nicht mehr daran denken, wie es am Anfang war, wenn sie an den Schluß gekommen sind, und tückisch und launisch und frech sind, so daß sie Gott anklagen, daß er ihnen nicht helfe, und Gott trotzen, daß sie sich selber helfen könnten, wobei das erste eine ewige Lüge ist und das letzte, wenn überhaupt, Wahrheit darin stecken soll, der Mensch allein von Gott gelernt haben kann.
[Sich innerlich in Gott hineinarbeiten]
Wer aber die Innerlichkeit nicht aufgibt, durch seinen Streit sich nicht aus dem Gottesverhältnis hinausstreitet, sondern sich in Gott hineinarbeitet, dem geht es so, wie es erklärt wurde, indem die Gottinnigkeit des Gebetes zu einer Hauptsache wird und nicht ein Mittel zur Erreichung einer Absicht. Oder sollte es so wesentlich zum Gebet gehören, daß man um etwas betet, so daß das Gebet desto innerlicher wird, je mehr man zu erbitten habe, oder doch je weitschweifender man in Worten sei; sollte der |47| nicht ein Beter, ja, der rechte Beter sein, der sagte: Herr, mein Gott, ich habe eigentlich gar nichts dich zu bitten; würdest du auch die Erfüllung aller Wünsche mir geloben, ich könnte doch eigentlich gar keinen anführen, nur daß ich bei dir bleiben darf, so nahe wie es in dieser Zeit der Trennung möglich ist, in der du lebst und ich, und ganz bei dir in alle Ewigkeit? Und so weit der Beter seinen Blick zum Himmel wendet, sollte der dann der Beter sein, oder der rechte Beter, dessen unruhige Augen beständig Trost für die einzelne Sorge, einige Erfüllung für den einzelnen Wunsch holten; und nicht eher der, dessen ruhige Augen nur Gott suchten? Dazu muß es auch kommen, wenn die Innerlichkeit nicht aufgegeben, sondern unverändert bewahrt und als ein heiliges Feuer im Menschen bewacht wird; denn der Wunsch, die irdische Begierde, der weltliche Kummer ist das Zeitliche, stirbt gewöhnlich vor dem Menschen, auch wenn er das Ewige nicht ergreift, wie sollte er da das Ewige aushalten können! Da verliert der Wunsch mehr und mehr an Glut, zuletzt ist seine Zeit vorbei, da stirbt der Wurm der Begierde nach und nach, und die Begierde stirbt aus, da schlummert die Wachheit des Kummers nach und nach ein, um nie wieder zu erwachen, aber die Zeit der Innerlichkeit ist nie vorbei.
Wer hat nun gesiegt? Das hat Gott, dem der Beter durch seine Gebete die Erfüllung nicht abnötigen konnte. Aber der Beter hat ja auch gesiegt. Oder heißt das siegen, daß man recht bekommt, wenn man unrecht hat, daß man die Erfüllung eines irdischen Wunsches erhält als sei dies das höchste, einen Beweis dafür, daß man zu Gott gebetet und recht gebetet habe, einen Beweis dafür, daß Gott Liebe war, und der Betende im Einverständnis mit ihm, daß der Beter vielmehr für sein ganzes Leben dem zu Dank verpflichtet war, den er durch sein Gebet und durch seinen Dank selber zu einem Abgott machte.
[Wer wurde durch das Gebet verändert: Gott, der Beter oder beide?]
Welches ist nun der Sieg, worin unterscheidet sich der Zustand der Sieger von dem der Streiter? Wurde Gott verändert? Eine bejahende Antwort scheint eine schwierige Rede, und doch ist es so, er wurde verändert; denn nun hat sich gerade gezeigt, daß Gott unveränderlich ist. Doch ist jene Unveränderlichkeit nicht jene eisige Gleichgültigkeit, jene tödliche Erhabenheit, jene zweideutige Ferne, die der verhärtete Verstand anpries, nein, im Gegenteil, diese Unveränderlichkeit ist innerlich und warm und überall anwesend, ist eine Unveränderlichkeit in der Sorge um einen Menschen, und gerade darum lässt sie sich durch den Schrei des Beters nicht verändern, als sei nun alles vorbei, durch seine Feigheit, wenn er es unbequem findet, sich selbst helfen zu können, durch seine falsche Zerknirschung, die ihm doch bald leidtut, wenn die augenblickliche Angst vor der Gefahr vorüber ist.
Wurde der Beter verändert? Ja, das ist nicht schwer einzusehen; denn er ist der rechte Beter geworden, und der rechte Beter siegt immer, da dies ein und dasselbe ist. Auf unvollkommene Weise war er schon davon überzeugt, denn während er genug |48| Innerlichkeit hatte, um zu beten, war er zugleich überzeugt, daß der Wunsch erfüllt würde, wenn er recht bäte; recht bäte im Verhältnis zum Wunsche, so verstand er es. Nun ist er verändert, aber es ist noch wahr, ja, nun ist es wahr geworden, daß wenn er richtig betet, er dann siegt. Und schon zu Beginn war ihm, daß er bat, zum Gewinn, wie unvollkommen sein Gebet auch war; es half ihm nämlich, seine Seele auf einen Wunsch hin zu sammeln. Leider wünscht ein Mensch im allgemeinen zu viele Dinge, lässt die Seele in jedem Windzug flattern. Aber der, der betet, weiß doch Unterschiede zu machen; er gibt nach und nach auf, was nach seinem irdischen Begriff das unbedeutendere ist, da er damit nicht recht zu Gott kommen darf; und da er nicht wagt, Gottes Güte zu verspielen, indem er immer um dies und jenes bettelt, sondern dagegen dem Begehren ob seines einzigen Wunsches desto mehr Nachdruckt verleiht. Da sammelt er seine Seele Gott gegenüber auf einen Punkt seines Wunsches, und schon darin liegt für ihn eine Veredlung, die Vorbereitung zur Aufgabe aller Dinge, denn allein der kann alles aufgeben, der nur einen einzigen Wunsch hatte. So ist er vorbereitet, im Streit mit Gott gestärkt zu werden und zu siegen, denn der rechte Beter streitet im Gebet und siegt dadurch, daß Gott siegt.63
B Interpretation
Pseudonyme Schriften und Erbauliche Reden von 1844
Der hier dokumentierte Text zum Streit des Beters mit Gott ist ein Ausschnitt aus einer der vier erbaulichen Reden Kierkegaards64, die am 31.8.1844 im Kopenhagener Buchhandel erschienen. Die vierte Rede, die in der deutschen Übersetzung 25 Seiten umfasst, trägt den Titel »Der rechte Beter streitet im Gebet und siegt – damit, daß Gott siegt«.
In diesen vier Reden übt Kierkegaard mit seinem Leser die Destruktion des menschlichen Eigensinns ein. Er nennt diese Destruktion »die Vernichtigung des Menschen« und fügt hinzu: das sei »das Höchste, was ein Mensch zu fassen vermag«.65 In der ersten und zweiten Rede wird in der Auslegung von 2 Kor 12 gezeigt, wie des Apostels Wunschdenken zerstört wird, damit die Gnade in der Schwachheit allein regiere. In der dritten Rede wird der Feigheit eine Absage erteilt, die sich mit allzu menschlicher Rücksicht nicht zu dem Guten bekennt, das um Gottes willen an der Zeit ist. In der vierten Rede wird das Gebet thematisiert, das sich auf einen Streit mit Gott einlässt und zu einem Sieg des Beters führt, indem Gott über den СКАЧАТЬ