Название: Der moderne Mann in unsicheren Zeiten
Автор: Thomas Tuma
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Dein Leben
isbn: 9783956237072
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»Um Sie mit dem richtigen Ansprechpartner verbinden zu können, geben Sie bitte Ihre 14-stellige Kundennummer ein.« Er legt wieder auf. Wählt erneut. »Um herauszufinden, ob Sie von einer Störung betroffen sind, geben Sie bitte jetzt Ihre Postleitzahl und das achtstellige Passwort Ihres …« Herr K. fängt an, sich sehr analoge Entscheidungsbäume auf ein DIN-A3-Blatt zu malen. Da heißt es auf einmal zur Abwechslung: »Das Gespräch kann zu Schulungszwecken aufgenommen werden. Wenn Sie damit einverstanden sind, drücken Sie die …«
Minuten, Stunden, Tage – alles verrinnt. »Für HDTV wählen Sie die Eins … für Fritzbox die Zwei … für alle sonstigen Themen legen Sie sich gehackt oder kalte Kompressen auf die Stirn …« Herr K. fängt offenkundig an zu halluzinieren. Er war schon froh, dass er den Begriff »Router« unfallfrei hätte stammeln können, aber es fragt ihn ja niemand.
»Um Ihre Smartcard zu aktivieren, wählen Sie bitte die Sechs, für die Selbstinstallation von Blutdruckmessgeräten und Herzschrittmachern …« Herr K. legt wieder auf, denn er hört mittlerweile schon Stimmen. Absurde Stimmen. »Wenn Sie in das vorherige Auswahlmenü zurückkehren wollen, wählen Sie …« Dann ist Herr K. plötzlich ganz nah dran, denn zu einer Großhirn-zerquirlenden Pausenmelodie-Variante von Helene Fischers »Atemlos« heißt es in den nächsten Stunden: »Sie werden mit unserem nächsten freien Service-Mitarbeiter verbunden.« Manchmal bringt ihm seine Frau Essen ans Telefon.
Irgendwann startet Herr K. einen allerletzten Anlauf und hört: »Sie rufen leider außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Für Informationen rund um unsere Kunden-Hotline drücken Sie bitte …« Aber das erreicht ihn schon nicht mehr. Er legt langsam auf und sieht seine Frau, deren Haar grau geworden ist.
Sie erzählt, wie er im Jahr 2017 einen Router bestellen wollte und dass ihre Tochter mittlerweile verheiratet sei und drei Kinder habe. Ihr Sohn studiere in München Maschinenbau. Er müsse jetzt nicht weiter anrufen. Zum einen sei er seit drei Monaten in Rente, zum anderen sei WLAN eine völlig veraltete Technologie. Herr K. umarmt sie müde, aber erleichtert.
3.
HÖRT DOCH EH
NIEMAND ZU
Neulich war Herr K. bei einem geschäftlichen Empfang, als ihm plötzlich ein alter Schulfreund gegenüberstand: »Möönsch, dich hab ich ja eeewig nicht gesehen!«, patschte ihm der andere auf die Schulter. Er war schon früher so ein Anfasser. Nicht bei Frauen, nur bei »Buddys«, was die Sache nicht besser macht.
Dann fragte der andere: »Wie geht’s dir denn?« Und weil Herr K. wusste, dass der Typ noch nie zuhören konnte, antwortete er: »Neulich hab ich mir zwei Finger abgerissen, und meine Tochter ist heroinsüchtig, aber sonst ist alles paletti.« »Mensch, super, du!« Und dann noch: »The best is yet to come, gell?!« Sein Schulfreund patschte ihm erneut auf die Schulter und war schon weitergezogen.
Diese Erfahrung moderner Kommunikationsdefizite war für Herrn K. so aufwühlend, dass er sie am nächsten Tag auch an seiner Sekretärin austesten musste, als die abends fragte: »Ich würd’ dann gern gehen. Kann ich noch was machen?« Er antwortete: »Können Sie bitte in der Kaffeeküche einen Scheiterhaufen anzünden und Schmitt-Scheckenbach aus dem Controlling auf kleiner Flamme rösten! Für mich reicht ein Strick.«
»Alles klar, dann noch ’n schönen Abend«, grüßte sie fröhlich und entschwand in die oktoberschwarze Nacht. Es erübrigt sich zu sagen, dass weder da noch an den darauffolgenden Tagen irgendwelche Feuerwehreinsätze in der Kaffeeküche zwingend geworden wären. Die Schlussfolgerung, dass man einander nicht mehr zuhört, lag für Herrn K. zu nahe. Eigentlich. Deshalb wollte er am nächsten Mittag in der Kantine noch mal sichergehen.
Dort ging es irgendwann um die Frage nach dem »Und-was-machen-Sie-so-am-nächsten-Wochenende?«. Als nach eintönigstem Allerlei die Reihe an ihn kam, sagte Herr K.: »Meine Frau kommt für zwei Tage aus der Entzugsklinik, um sich von mir zu verabschieden … ich hab ja nur noch zwei Wochen. Aber der künstliche Darmausgang ist schon praktisch!«
Koslowski murmelte abwesend: »Cool.« Berger stand bereits auf und wünschte »viel Spaß!«. Nur Frau Stibbenbrook aus der Rechtsabteilung sah ihn aschfahl an. Er hatte einige Mühe, ihr den experimentellen Charakter seiner Versuchsanordnung zu erklären.
Als er an jenem Abend nach Hause kam, fragte Herr K. seine Frau, was so war, und sie sagte: »Mit deinem Sohn musste ich zum Notarzt, weil er bei einer Schulhofschlägerei eine Gehirnerschütterung abbekommen hat. In der Zeit haben Diebe das Haus auf den Kopf gestellt und das Robbe-&-Berking-Silber mitgenommen. Und deine Mutter ist wegen einer Thrombose ins Krankenhaus eingeliefert worden.«
»Super, Schatz!«, sagte er. »Morgen muss ich dir mal erzählen, wie total aneinander vorbei man im Büro lebt.« Dann drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn und legte sich schlafen.
Was lernen wir daraus? Meine Güte, was soll man schon aus Kolumnen lernen! Vielleicht das: Wenigstens Sie, liebe Leser, hören noch genau zu. Print wirkt!
4.
WEICHEIER
AUF »WOLKE VIER«
Wann ist man als Mann heutzutage ein richtig moderner Mann? Wenn man mit seinem Sohn auf dem abgefressenen StadtteilSpielplatz Fußball spielt? Wenn man eine Waschmaschine installieren kann? Oder doch eher, wenn man seiner Gattin ohne Thermomix ein dreigängiges Abendmenü zaubert, nachdem der eigene Büro-Tag auch nur so semi-spaßig war? Herr K. fragt sich das immer dann, wenn er moderne Männer Musik machen hört.
Was in den deutschen Charts momentan ganz oben steht, hat inhaltlich etwas seltsam Verheultes, findet er. »Cro« zum Beispiel macht ja ganz gefällige Musik, aber seine Texte!? »Mein Kopf ist voller Wörter, doch es kommt nichts raus«, ist so ein typischer Cro-Satz. Da denkt sich Herr K., dass Mund-Aufmachen vielleicht mal helfen würde. Und dazu trägt Herr Cro immer eine Panda-Maske. Entschuldigung, was verrät das über einen auch nicht mehr ganz jungen Menschen, und juckt die Maske nicht sehr, wenn man schwitzt?
Authentizität scheint andererseits wichtig, deshalb heißen die Sänger heute nicht mehr Costa Cordalis oder Roy Black, sondern Andreas Bourani, Tim Bendzko oder Philipp Dittberner, der eine Weile in jedem Kaufhaus-Aufzug seine »Wolke vier« besang. Herr K. ahnt, dass diese Wolke vier repräsentativ sein könnte für eine ganze Generation von unentschlossenen Weicheiern, Beckenrandschwimmern und Jasmintee-Trinkern, die dann mit unförmiger Strickmütze durchs 17. Semester ihres Sozialpsychologie-Studiums Sitzfahrrad fahren.
Er muss das mal so böse formulieren, denn in dem Song heißt es: »Lass uns die Wolke vier bitte nie mehr verlassen. Weil wir auf Wolke sieben viel zu viel verpassen. Ich war da schon einmal, bin zu tief gefallen. Lieber Wolke vier mit dir als unten wieder ganz allein.«
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