Название: Spielregeln für Game Changer
Автор: Kerstin Friedrich
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
Серия: Dein Business
isbn: 9783956239120
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Veränderungen beim Militär
Eines der beeindruckendsten Beispiele dafür, wie Veränderungen von systemischen Rahmenbedingungen zu dramatisch besseren Ergebnissen führen, ist die Geschichte von Stanley McChrystal. Der US-General tat etwas Unvorstellbares: Er schaffte im Kampfeinsatz die hierarchische Befehlskette ab und befähigte seine Eliteeinheiten, die Special-Ops-Truppen, im Irakkrieg eigene Entscheidungen zu treffen. Er tat das aus schierer Not, denn die Gegner, die Al-Qaida-Gruppen, waren flexibel, anpassungsfähig und schnell, weil sie keine Befehle von oben brauchten, keine Meetings abhielten und über IT bestens vernetzt waren. »Es war unmöglich, sie zu schlagen«, erzählt McChrystal in einem Interview in brand eins im Januar 2017. »Wenn wir unseren Top-Down-Prozess anwendeten, waren wir immer zu langsam. Wir hatten zwar gute Informationen, aber bis sie durch die Befehlskette gewandert waren, waren sie veraltet und nicht mehr brauchbar. Wir mussten irgendwann die sehr schmerzliche und beängstigende Entscheidung treffen, jeden mit jedem zu vernetzen, um wirklich auf breiter Front die Informationen zu teilen, die sonst der obersten Führungsebene vorbehalten waren. Statt die Infos nach oben und die Befehle nach unten zu schicken, streuten wir Wissen in die Breite. Plötzlich konnten alle Soldaten unter meinem Kommando den vollen Kontext verstehen.«11 Diese – für militärische Verhältnisse – brutale Änderung der Spielregeln führte unmittelbar zu besseren Ergebnissen; aus durchschnittlich 18 Einsätzen im Monat wurden 300. Die Erfolgsquote stieg: Die Leute an der Front hatten bessere Informationen und konnten bessere Entscheidungen treffen, und sie fühlten mehr Verantwortung, weil es ihre Entscheidungen waren. Die einzelnen Teams verband McChrystal, indem das Wissen in alle Richtungen geteilt wurde. An die Stelle der Hierarchie trat ein Netzwerk, das er auf den Namen »Team von Teams« taufte.
McChrystal musste dafür etwas im Militär Unerhörtes tun: so viele Informationen teilen wie möglich. Erkenntnisse über den Feind unterlagen bis dato strikter Geheimhaltung. Solche Informationen wurden an die Spitze weitergeleitet, analysiert, ausgewertet und mündeten dann in entsprechenden Einsatzbefehlen. In der neuen Struktur wurden diese Informationen mit allen geteilt, und die Spezialeinheiten konnten weitgehend autonom ihre eigenen Schlüsse ziehen und Einsätze planen. Das Teilen der Informationen führte zu einem »geteilten Bewusstsein«. McChrystal beschreibt auch, wie schwer es ihm fiel, Macht und Kontrolle abzugeben und zu teilen. Es sei zwar schön gewesen, dass er nicht mehr mitten in der Nacht geweckt wurde, um einen tödlichen Einsatzbefehl zu beurteilen und zu genehmigen – aber dafür fehlte auch das Gefühl der Unentbehrlichkeit und Wichtigkeit. Er schreibt über die Unsicherheit und die damit verbundenen Ängste. Der Strategiewechsel sei vergleichbar gewesen mit der Aufgabe, ein Flugzeug in der Luft umzubauen, unter der erschwerten Bedingung, dass niemand Erfahrung damit hatte. Das Einzige, das sie hatten, war eine Blaupause: eine Organisation, die noch beweglicher, vernetzter und schlagkräftiger war als die Zellen von Al-Qaida-Anführer Abu Musab az-Zarqawi. Das bedeutete insofern einen kompletten Paradigmenwechsel, als das US-Militär zuvor ganz nach den Prinzipien, nach denen Frederick Taylor die Industrie organisiert hatte, auf maximale Effizienz getrimmt worden war. Was die Truppen im neuen Paradigma brauchten, waren Resilienz und Flexibilität.
McChrystal empfiehlt sein System von vollkommener Transparenz und Ermächtigung auch allen Unternehmenslenkern. Unter den komplexen und dynamischen Marktbedingungen sei hierarchisches Management zum Scheitern verurteilt, da wenige Menschen an der Spitze unmöglich alle Entscheidungen treffen könnten. Er plädiert selbst angesichts der Informationsskandale rund um Edward Snowden, Chelsea Manning und Wikileaks für vollkommene Transparenz. Die Frage, wann man wisse, wo die Grenze der Informationsfreiheit liege, beantwortet er mit einem lapidaren »Wenn es illegal ist«.
In seinem Buch Team of Teams zeigt McChrystal unter anderem am Beispiel der US-Autogiganten General Motors und Ford, warum das Erfolgsmodell »hierarchisches Management« ausgedient hat und welches Erfolgspotenzial in der Kombination von Transparenz und Verbundenheit steckt.
Veränderungen in der Automobilindustrie
Ford gebührt das Verdienst, durch die Fließbandfertigung überhaupt erst den Massenmarkt für Automobile erschaffen zu haben. Durch die gigantischen Produktivitätssteigerungen wurde das Auto plötzlich für breite Schichten erschwinglich und Ford wurde der unangefochtene Marktführer. Das Festhalten an der bewährten Strategie des Einheitsautomobils machte allerdings den Weg frei für GM, das seinen Kunden eine große Auswahl bezüglich Ausstattung und Modellvarianten bot. Doch auch GMs Marktposition wackelte bald. Nach einer ganzen Reihe von Übernahmen drohte das Unternehmen im organisatorischen Chaos zu versinken und wäre beinahe in die Insolvenz gegangen. Das Unternehmen verlor Geld, aber niemand wusste genau, wo und warum. Im Jahr 1923 übernahm dann Alfred P. Sloan das Ruder und verpasste GM eine grundlegend neue Organisationsform. Für die einzelnen GM-Marken (z. B. Chevrolet, Buick, Oldsmobie, Cadillac) schuf er dezentralisierte Unternehmensbereiche (Divisionen) und unterteilte diese in spezialisierte Abteilungen für Design, Technik, Marketing, Produktion, Beschaffung und so fort. Die Spartenorganisation war geboren. Das Prinzip lautete: dezentrale Struktur unter zentraler Kontrolle. Alle Divisionen und deren Silos wurden mit klaren Ergebnisvorgaben geführt und berichteten an die Spitze. In der Folge kam GM wieder auf die Erfolgsspur und gilt als Paradefall für den Erfolg des hierarchischen Systems von Kommando und Kontrolle. Die Spartenorganisation wurde von praktisch allen Großunternehmen und staatlichen Verwaltungen übernommen.
Bei GM ging das über Jahrzehnte gut, der Konzern wurde der weltgrößte Autohersteller und machte als erstes Unternehmen mehr als 1 Milliarde Dollar Jahresgewinn. Doch als in den 80er-Jahren die Konkurrenz durch die japanische Autoindustrie immer größer wurde und der Innovationsdruck stieg, geriet GM ins Schlingern. 2009 musste das Unternehmen in der amerikanischen Finanzkrise Konkurs anmelden.
Durch den sogenannten Zündschloss-Skandal kam das ganze Ausmaß der internen Lähmung ans Licht: 124 Personen starben, weil sich durch eine Fehlkonstruktion des Zündschlosses der Motor abschaltete oder der Airbag nicht auslöste. Es gab eine offizielle Anhörung, in der GM ein verheerendes Organisationsversagen eingestehen musste. Jahrelang war man nicht in der Lage gewesen, die Ursache zu finden, geschweige denn sie abzustellen. Durch das Silosystem arbeiteten Spezialisten beziehungslos nebeneinander her, im schlimmsten Fall sogar gegeneinander. Durch den Fokus auf Effizienz ging das grundlegende Verständnis für das Auto verloren. Am Ende zahlte GM den Familien der Opfer 900 Millionen Dollar an Entschädigungen und musste 30 Millionen Autos nachbessern.
Unter ähnlichem Druck stand auch Ford. Zur Jahrtausendwende hatte man dort die gleichen Probleme wie bei GM: Designer und Ingenieure hassten sich, Manager und Arbeiter hassten sich, und die gesamte Organisation war in Schuldzuweisungen und internen Grabenkriegen verstrickt. Ein Rekordverlust von 12,6 Milliarden Dollar im Jahr 2006 zeigte überdeutlich, wie es um das Unternehmen bestellt war. Das änderte sich, als im gleichen Jahr Alan Mulally von Boeing zu Ford wechselte. Er galt als Wunderkind: Bei Boeing hatte er unter anderem als leitender Ingenieur und Projektleiter das erfolgreichste Flugzeug aller Zeiten gebaut, die Boeing 777. Seine Philosophie beschrieb er durch die beiden schlichten Worte »working together« (zusammen arbeiten).
Mulally hatte bei Boeing die Zusammenarbeit zwischen vorher isolierten Abteilungen durch totale, systemische Transparenz und bahnbrechende IT-Systeme befördert. Er ließ beispielsweise ein dreidimensionales IT-Modell der 777 anfertigen, anhand dessen jeder sofort sehen konnte, wie die geplanten Komponenten der einen Gruppe die der anderen beeinflussen würden.
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