Der Krieg der nie zu Ende ging. Will Berthold
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Название: Der Krieg der nie zu Ende ging

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711727058

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СКАЧАТЬ lachten beide schallend, und andere schlossen sich an. Es war die übliche DDR-Konversation, die offen ließ, ob die Teilnehmer sie ernst meinten oder ihren Staat veralberten. Ich nutzte das Gelächter, um mich nach draußen zu schieben.

      Ich fing den Kellner ab, bezahlte im Stehen, quälte mich durch das Gedränge und lief prompt am Ausgang der Vopo-Streife in die Arme.

      Der Sommertag wirkte wie ein fauler Wechsel, der jeden Moment zu platzen drohte. Zur Zeit lag Deutschland von der Nordseeküste bis zur Donau unter dichtem Regen, aber von den Bergen her war in die oberbayerische Landschaft eine Art Föhn eingefallen. Die Wälder schimmerten blau, der Himmel trug orangefarbene Flecke, und die Luft wirkte verbraucht wie Spülwasser. Die am späten Vormittag im Chefbüro in Pullachs „Weißem Haus“ zusammengetrommelten Teilnehmer einer improvisierten Besprechung wirkten abgeschlafft.

      Den Spitzenleuten des bundesdeutschen Geheimdienstes war natürlich bekannt, daß – meteorologisch gesehen – im Hochsommer keine Föhnlage entsteht, aber als Experten der unsichtbaren Front wußten sie nur zu gut, daß auf dieser Erde vieles existiert, das es gar nicht geben darf, und so litten sie sichtbar, und nicht nur unter der Wetterunbill.

      Der Hausherr des 60000 Quadratmeter großen und durch eine eineinhalb Kilometer lange Mauer abgeschirmten geheimen Hauptquartiers – im Isartal, zehn Kilometer südlich von München – saß an seinem Schreibtisch, ein schlanker, mittelgroßer Mann mit einem schmalen Kopf, kalten Augen, mit hohem Stirnansatz und schütteren Haaren. Auf den ersten Blick fielen seine übergroßen Ohren auf, überdimensionierten Horchgeräten gleich, wie sie einem Untergrundchef anstehen. Pullachs Chef nannte sich Dr. Schneider, aber jeder im Camp wußte, daß er in Wirklichkeit General Gehlen war, der frühere Chef der geheimen Nachrichtenabteilung „Fremde-Heere-Ost“. Hier, im engsten Mitarbeiterkreis, kannte jeder die wahre Identität des anderen, aber Pullachs legendärer und autoritärer Hausherr bestand darauf, daß sich seine Crew auch im internen Verkehr mit den falschen Namen anredete, und so kam es seinen Männern mitunter vor, als trügen sie ihre Pappnasen auch außerhalb des Karnevals.

      Die Vertrauten des Chefs, von den Fernerstehenden mißgünstig „Pullachs Mafia“ genannt, waren fast vollständig zur Stelle: Dr. Grosse, der scharfsinnige Analytiker von der „Auswertung“, der kleine Karsunke, der schlaksige Söldner, der schieflippige, krummnasige Schluckesaft von der „Zentralen Abteilung“, Kleemann, der Schweigsame und der aggressiv intrigante Dennert mit dem Verschwörer-Gehabe.

      Nur Ballauf fehlte, hatte die Aufforderung, bei Gehlen zu erscheinen, mit den rüden Worten: „Konferenzen sind der Sieg der Ärsche über die Köpfe“, quittiert, Ballauf, der mit seinen spektakulären Erfolgen an die großen ORG-Zeiten anknüpfte, konnte sich das Fernbleiben erlauben, obwohl er nicht mit dem General im gleichen Artillerieregiment gedient und weder der Canaris-Abwehr, noch dem Generalstab angehört hatte, was sonst für Pullachs Spitzengarnitur eine kaum umgehbare Voraussetzung war.

      Die Herren, die der Günstlings-Crew zugerechnet wurden, hatten ihre Stühle zwanglos im Halbkreis um den Schreibtisch des Chefs gestellt. Keiner von ihnen fühlte sich wohl an diesem Tag; übereinstimmend deuteten die Akteure des Untergrunds ein flaues Gefühl nach Eintritt des Debakels als Vorahnung. Die Besprechung war zunächst wie alle anderen verlaufen; es ging um Berlin, wie fast immer in letzter Zeit. Seitdem der rote Zar, Nikita Chruschtschow, und sein sächsischer Lautsprecher und Statthalter Walter Ulbricht der früheren Reichshauptstadt – zunächst verbal – die Daumenschrauben angelegt hatten, glich die Vier-Zonen-Stadt einem Pulverfaß. Mit sowjetischem Segen hatte der Spitzbart den Sowjet-Sektor, unter Bruch des Viermächte-Abkommens, zur DDR-Hauptstadt erklärt, mit Anspruch auf die westlichen Sektoren. Der neue US-Präsident Kennedy sprach offen aus, daß eine Abschnürung des alliierten Zugangs nach Westberlin den Dritten Weltkrieg bedeuten könne, und die Franzosen erörterten bereits die verhängnisvolle Frage: Mourir pour Berlin – Sterben für Berlin?

      Es war ein heißer Sommer, und es herrschten viel Kraftmeierei und Defätismus auf beiden Seiten. Pankow hatte 8000 Soldaten um Berlin zusammengezogen, um für die Bürger des „Arbeiterund Bauernstaates“ den Zugang in ihre eigene Metropole abzuriegeln. Viele Verkehrswege waren umgeleitet worden. Trotzdem ging ununterbrochen, Tag wie Nacht, ein Einbahnstrom von Flüchtlingen nach Westen. Die Ostdeutschen beteiligten sich zu Hunderten, zu Tausenden, zu Hunderttausenden, zu Millionen an der Volksabstimmung mit den Füßen.

      Der Chef kam vom Thema ab. Ohne Übergang wandte er sich an Dr. Grosse von der Gegenspionage. „Noch immer keine Verbindung mit Metzler?“ fragte er. Obwohl er vor seinem Braintrust keine Geheimnisse hatte, bedeutete die Frage in Gegenwart von vier weiteren Mitarbeitern einen Verstoß gegen die selbst aufgestellte Regel einer lückenlosen Geheimhaltung.

      „Sorry“, erwiderte der Referent; seine Stimme klang schläfrig, aber sein Adamsapfel bewegte sich aufgeregt. „Seit drei Tagen keine Nachricht. Nach seiner letzten Meldung ist Metzler nach Cottbus gefahren, und seitdem – “

      Grosse brach mitten im Satz ab, es bedurfte auch keiner weiteren Erklärung. Die unterbrochene Nachrichtenverbindung konnte ein normaler Vorgang sein. Tatsächlich hatten alle „im Feind operierenden Agenten“ den Befehl, die Funkstille nur bei außerordentlichen Vorfällen zu unterbrechen.

      Es brauchte nichts zu bedeuten, aber so hatte es immer begonnen: im Fall Auer im Januar; bei der Grainer-Affäre im März und bei der Panetzky-Sache im Juli. Januar, März, Juli. Schlag auf Schlag auf Schlag. Bis Ende Juli dieses Jahres waren 29 hochkarätige Agenten dem ostzonalen Staatssicherheitsdienst (Stasi) in die Falle gegangen. Im Vorjahr waren es 92 gewesen. Selbst wenn man einige Doppelagenten und Überläufer abzog, die aus propagandistischen Gründen im Osten hochgespielt worden waren, drohte der Aderlaß die bewährte „Firma“ zu ruinieren, denn drei in kurzen Abständen aus unerklärlichen Gründen hintereinander aufgeflogene Agentenringe konnte auch sie nicht verkraften. Das wußte jeder in dieser Runde, aber nur einer sprach es aus: Dennert, ein großer, knochiger Mann, erschrekkend hager. „Dann werden wir also auch Metzler abschreiben müssen“, sagte er. „Und womöglich auch noch Megede und Deschler.“

      Der General schwieg verbissen. Karsunke und Schluckesaft nickten zustimmend. Ausgerechnet der sonst so schweigsame Kleemann erwiderte gereizt: „Sie sollten wirklich keinen beerdigen, Herr Dennert, bevor er gestorben ist.“

      „Meinen Sie?“ entgegnete der Vize der Sonderabteilung „Strategischer Dienst“. Als stellvertretender Sicherheitschef war er der zweithöchste Hauspolizist und zudem ein Intimus des Generals. „Wenn ein Agentenring auffliegt, ist es eine Panne.“

      Dennert sprach in einem süffisanten, überheblichen Ton. Sein Plisseegesicht wirkte blaß und hautig. „Wenn zwei – oder gar drei – hochgehen und die Fehlerquelle noch immer nicht entdeckt ist, dann gibt es wohl nur eine Erklärung.“ Sein linkes Auge flackerte wie in einem Wackelkontakt. Jedenfalls litt er, mit seinem Drittel-Magen ohnedies kein Gesundheitsathlet, am sichtbarsten unter dem Wetter. Im übrigen geisterte über den Unbeliebten durch das Camp das vergiftete Bonmot: „Hoffentlich wird der Dennert so alt wie er aussieht.“

      „Was wollen Sie damit sagen?“

      „Es liegt auf der Hand“, erwiderte Dennert. „Eine undichte Stelle. Hier in Pullach – im Camp Nikolaus, macht uns allmählich zu Weihnachtsmännern.“

      „Das ist doch purer Unsinn“, warf Kleemann ein. „Wir hatten früher einen leichten Gegner gehabt und haben nunmehr einen schweren. Mit anderen Worten“, er lotete das Gesicht des Generals aus und registrierte stumme Zustimmung, „diese Stasi-Leute haben einfach dazugelernt – und wir müssen uns neue Wege einfallen lassen.“

      „Und ich sage, daß es in Pullach einen Maulwurf gibt“, entgegnete Dennert unbeirrt. „Einen Verräter, der das ostzonale Ministerium für Staatssicherheit, wenn nicht sogar das KGB direkt СКАЧАТЬ