Название: Gesammelte Werke von Cicero
Автор: Марк Туллий Цицерон
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027209569
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Kap. IX. (§ 30.) Ich weiss indess wohl, dass bei den Philosophen hierüber verschiedene Ansichten geherrscht haben; ich meine bei denen, welche das höchste Gut, was ich das äusserste nenne, in die Seele verlegten. Wenn nun auch Manche hier fehlgegriffen haben, so kann ich doch jenen drei Philosophen, wel che die Tugend von dem höchsten. Gut getrennt haben, indem sie entweder die Lust, oder die Schmerzlosigkeit, oder das erste Naturgemässe für das höchste Gut erklärten, so wenig wie jenen anderen dreien, welche die Tugend ohne Zusatz für unzureichend hielten und deshalb von den obgenannten drei Dingen eines damit verbanden, beitreten, sondern ich stelle über sie alle Die, welche, wie auch sonst ihre Lehre beschaffen sein möge, das höchste Gut in die Seele und in die Tugend verlegt haben. (§ 31.) Allein auch Jene haben verkehrte Ansichten, welche das Leben in der Wissenschaft für das höchste Gut erklären, ebenso Die, welche keinen Unterschied in den Dingen anerkennen wollen. Nach Diesen ist der Weise glücklich, indem er keinen Gegenstand einem andern in irgend einer Beziehung vorzieht, und einige Akademiker sollen ausgesprochen haben, dass das höchste Gut und die höchste Aufgabe des Weisen darin bestehe, von dem Geschehenen sich nicht erschüttern zu lassen und seine Zustimmung mit Festigkeit zurückzuhalten. Man pflegt diese verschiedenen Ansichten ausführlich zu widerlegen, allein das Klare darf nicht lang sein, und es ist doch nichts klarer, als dass jene gesuchte und gerühmte Klugheit aufhört, wenn zwischen den Dingen, die gegen die Natur sind, und denen, die ihr gemäss sind, keine Auswahl stattfindet. Wenn man also diese hier erwähnten Ansichten und andere ähnliche bei Seite lässt, so bleibt nur als höchstes Gut ein Leben übrig, was die Wissenschaft von den Dingen und den Vorgängen in der Natur benutzt und das Naturgemässe wählt, das Naturwidrige aber abweist, d.h. ein naturgemässes Leben. (§ 32.) Wenn in den übrigen Künsten und Wissenschaften der Ausdruck »kunstgemäss« vorkommt, so ist darunter etwas gewissermaassen Späteres und erst Nachfolgendes zu verstehen, was die Stoiker epigennêmatikon nennen. Wo wir aber das Wort »weise« brauchen, da gilt es gleich von dem Ersten durchaus richtig; denn Alles, was von dem Weisen ausgeht, das muss sofort in allen seinen Theilen vollendet sein, denn darin liegt das Begehrenswerthe desselben. So wie es schlecht ist, sein Vaterland zu verrathen, die Eltern zu verletzen, die Tempel zu plündern, wo das Schlechte in der That liegt, so ist es auch schlecht, sich zu fürchten, zu trauern, wollüstige Gedanken zu hegen, auch wenn keine entsprechende That nachfolgt. So wie Alles dies sittlich-schlecht, nicht durch das Spätere und seine Folgen ist, sondern gleich im Beginn, ebenso ist das von der Tugend Ausgehende mit dem ersten Beginn auch ohne die Vollendung für recht zu halten.
Kap. X. (§ 33.) Das im Vorstehenden so oft erwähnte Gut wird auch durch eine Definition erklärt. Ihre Definitionen weichen zwar ein wenig stark von einander ab, allein sie zielen doch alle auf dasselbe hin. Ich selbst trete dem Diogenes bei, nach welchem das Gut das von Natur Vollendete ist. Das, was aus diesem ebenfalls folgt, was nützt (denn so nennen wir die ôphelêma), das nannte er eine Bewegung oder einen Zustand au dem von Natur Vollendeten. Da ferner die Begriffe der Dinge in der Seele sich bilden, wenn etwas durch Gebrauch oder vermöge der Verbindung, oder Aehnlichkeit, oder vermöge Vergleichung durch die Vernunft bekannt geworden, so ist aus diesem Vierten, was ich zuletzt genannt habe, die Kenntniss des Guten erlangt worden. Denn wenn die Seele von den Dingen, die der Natur gemäss sind, durch vernünftige Vergleichung aufsteigt, so gelangt sie zu dem Begriff des Guts. (§ 34.) Dieses Gut empfinden und nennen wir nicht deshalb so, weil etwas Anderes hinzutritt, oder wegen eines Zunehmens, oder einer Vergleichung mit Anderem, sondern auf Grund seiner eigenen Kraft. So wie der Honig, obgleich das Süsseste, doch nur durch seine eigene Art von Geschmack und nicht durch die Vergleichung mit Anderem als süss empfunden wird, so ist das Gut, worüber wir verhandeln, zwar als das Höchste zu schätzen, aber diese Schätzung beruht auf seiner Eigenart und nicht auf seiner Grösse; denn da jene Schätzung, welche axia heisst, weder zu den Gütern noch zu den Uebeln gerechnet wird, so bleibt sie in ihrer Art unverändert, so viel man sie auch vermehrt. Die Tugend hat daher ihre eigene Werthschätzung, die auf ihrer Eigenart und nicht auf einem Mehr beruht. (§ 35.) Auch könnte ich die Gemüthsbewegungen, welche das Leben der Thoren elend und bitter machen und welche die Griechen pathê nennen, in wörtlicher Uebersetzung könnte ich sie Krankheiten nennen, allein dieser Name würde nicht überall passen; denn wer wurde wohl das Mitleiden oder selbst den Zorn eine Krankheit nennen? Aber ein pathos werden sie von Jenen genannt; sie mögen also Leidenschaften heissen, wo schon der Name ihre Fehlerhaftigkeit anzudeuten scheint, und es giebt von ihnen vier Gattungen, die in mehrere Arten zerfallen, wie der Kummer, die Furcht, die Ausgelassenheit und das, was die Stoiker mit einem für Körper und Seele zugleich geltenden Namen hêdonên nennen und ich lieber Fröhlichkeit nenne, gleichsam eine freudige Erhebung der sich aufblähenden Seele. Diese Leidenschaften werden nicht durch die Kraft der Natur erweckt, sondern sind lediglich leichtsinnige Meinungen und Urtheile; der Weise wird deshalb immer frei von ihnen sein.
Kap. XI. (§ 36.) Der Satz, dass alles Sittliche um sein selbst willen zu erstreben sei, ist uns mit vielen andern Philosophen gemeinsam; denn mit Ausnahme dreier Systeme, welche die Tugend ganz von dem höchsten Gut ausschliessen, halten alle anderen Philosophen an diesem Satze fest, insbesondere die Stoiker, die nur das Sittliche allein als ein Gut anerkennen wollen. Der Beweis dafür ist leicht und schnell zu geben; denn wo gab es und wo giebt es jetzt Jemanden von so brennendem Geiz oder so ungezügelten Leidenschaften, dass er eine Sache, die er sich durch irgend ein Verbrechen verschaffen will, nicht zehnmal lieber, selbst bei angenommener völliger Straflosigkeit ohne Unthat, als auf jene Weise erlangen mag? (§ 37.) Und welchen Nutzen und Vortheil hätte man wohl vor Augen, wenn man das Verborgene zu erforschen strebt, und die Art, in welcher, und die Ursachen, durch welche die Himmelskörper sich bewegen? Wer ist so in seine bäurischen Beschäftigungen versunken oder so gegen die Erforschung der Natur verhärtet, dass er von den wissenswerthen Dingen sich wegwendet und sie, so weit sie keine Lust oder keinen Nutzen gewähren, nicht mag und für Nichts achtet? Und wer freut sich nicht in seiner Seele, wenn er von den Thaten, Reden, Plänen solcher Vorfahren, wie der mit dem Beinamen der Afrikaner geehrten Männer oder meines Urgrossvaters, den Du immer, im Munde führst, und anderer tapferer und in jeder Tugend hervorragender Männer hört? (§ 38.) Und wer wird umgekehrt, wenn er in einer braven Familie unterrichtet und wie ein freier Mann erzogen worden ist, nicht durch die Schlechtigkeit an sich verletzt, selbst wenn er keinen Schaden davon hat; wer kann mit ruhiger Miene Den sehen, der eine schmutzige und lasterhafte Lebensweise führt? Wer hasst nicht die Schmutzigen, die Eitlen, die Leichtfertigen, die Unzuverlässigen? Wer kann, wenn die Schlechtigkeit nicht um ihrer selbst willen gemieden werden soll, behaupten, dass die Menschen in der Einsamkeit und Finsterniss nicht alle Schandthaten begehen werden, wenn das Schändliche nicht durch seine eigene Hässlichkeit sie abschreckt? Man kann Unzähliges hierüber sagen, es ist aber nicht nöthig, denn nichts ist zweifelloser, als dass das Sittliche um sein selbst willen zu suchen und ebenso das Schlechte um sein selbst willen zu fliehen ist. (§ 39.) Nachdem somit der vorher besprochene Satz feststeht, dass das Sittliche allein ein Gut ist, so erhellt, dass das Sittliche auch höher steht als jene Mitteldinge, die erst durch dasselbe erlangt werden. Wenn wir aber sagen, dass die Thorheit und Furchtsamkeit oder Ungerechtigkeit wegen der aus ihnen hervorgehenden Folgen vermieden werden müssen, so ist damit nichts behauptet, was dem früher aufgestellten Satze, wonach nur das Schlechte das alleinige Uebel ist, widerspräche; denn diese Folgen sind nicht von dem körperlich Unangenehmen, sondern von den schlechten Handlungen zu verstehen, welche aus den Lastern hervorgehn; denn das, was die Griechen kakias nennen, möchte ich eher Laster als Bosheiten übersetzen. –
Kap. XII. (§ 40.) Du gebrauchst, mein Cato, sagte ich, vortreffliche Worte, welche das, was Du im Sinne hast, genau ausdrücken. Du scheinst mir daher die Philosophie schon lateinisch zu lehren und ihr gleichsam das Bürgerrecht bei uns zu geben. Bisher war sie nur ein Fremdling in Rom, der sich nicht in unsere Unterhaltungen mischte; namentlich gilt dies für die Philosophie der Stoiker wegen der gefeilten Schärfe ihrer Begriffe und Ausdrücke. Ich kenne allerdings Leute, die in jeder Sprache philosophiren zu können meinen, denn sie gebrauchen СКАЧАТЬ