Название: Gesammelte Werke von Cicero
Автор: Марк Туллий Цицерон
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027209569
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Kap. VI. (§ 20.) So wollen wir weitergehn, sagte er; wir sind nämlich von den Anfängen der Natur abgekommen, mit denen die Folgesätze übereinstimmen müssen. Als erste Eintheilung ergiebt sich die: Werthvoll (denn so glaube ich es nennen zu können) ist, was entweder selbst der Natur gemäss ist oder dergleichen bewirkt und deshalb den Vorzug verdient, weil es ein der Werthschätzung würdiges Gewicht hat; die Stoiker nennen es axian; dem entgegen steht das Werthlose, was das Gegentheil des Vorigen ist. Wenn so die Grundlagen gelegt sind, dass das der Natur Gemässe an sich selbst zu wählen und das Entgegengesetzte zu verwerfen ist, so ist die erste Pflicht (denn das kathêkon nenne ich so), dass man sich in seinem natürlichen Zustand erhalte und ferner, dass man das der Natur Gemässe einhalte, und das Entgegengesetzte von sich weise. Ist diese Wahl und diese Abweisung gefunden, so folgt die pflichtmässige Auswahl und demnächst die beharrliche Auswahl, welche bis zum Aeussersten beständig und der Natur gemäss bleibt. In dieser beginnt zuerst das wahrhaft Gute sich zu entwickeln und seine Natur erkannt zu werden. (§ 21.) Denn das Erste ist die Befreundung des Menschen mit dem Naturgemässen; sobald er aber die Einsicht oder vielmehr den Begriff erlangt hat, den die Stoiker ennoian nennen, und sobald er die Ordnung und so zu sagen die Eintracht der zu vollführenden Handlungen erkannt hat, so schätzt er diese noch viel höher als Alles, was er früher geliebt hatte, und so schliesst er durch seine Kenntniss und Vernunft, dass hierin das höchste, an sich lobenswerthe und zu begehrende Gut für den Menschen enthalten sei. Somit liegt dasselbe in dem, was die Stoiker homologian und wir, wenn es beliebt, Uebereinstimmung nennen; auf dieses darin enthaltene höchste Gut ist Alles zu beziehen, das sittliche Handeln und die Sittlichkeit selbst, die allein als ein Gut gilt, und wenngleich sie erst später entsteht, so ist doch sie allein ihrer Kraft und Würde wegen zu erstreben, und von dem, was die Anfänge der Natur sind, ist nichts au sich zu begehren. (§ 22.) Allein da das, was ich die Pflichten genannt habe, von diesen Anfängen der Natur ausgebt, so muss man die Pflichten auf diese Anfänge beziehn, damit man richtig sagen kann, wie alle Pflichten sich darauf beziehn, dass man die Anfänge der Natur verlange; allein deshalb sind sie nicht das höchste Gut, denn in den ersten Anregungen der Natur ist das sittliche Handeln noch nicht enthalten, vielmehr ist es, wie gesagt, nur die Folge und entsteht erst später. Indess ist das sittliche Handeln der Natur gemäss und fordert uns viel mehr auf, es zu erstreben, als alles Vorhergehende. Doch muss hier zunächst der Irrthum beseitigt werden, als könnte man meinen, es ergäben sich hieraus zwei höchste Güter. Wir nennen dasjenige das höchste der Güter, wie wenn Jemand sich zur Aufgabe setzt, mit einem Speere oder einem Pfeile wohin zu treffen; ebenso verlegen wir das Endziel in das Gute. So wie Jener, um bei diesem Gleichnisse zu bleiben, Alles thun muss, um das Ziel zu treffen, so bleibt doch, wenn er auch Alles thun muss, um dies zu erreichen, dieses Zielen das Höchste. Dasselbe gilt für das, was wir als das höchste Gut für das Leben erklären; man hat danach zu zielen, aber das Treffen ist nur zu wählen, nicht zu begehren.
Kap. VII. (§ 23.) Wenn nun alle Pflichten von den Anfängen der Natur ausgehen, so muss dies auch für die Weisheit gelten. So wie es aber sich häufig trifft, dass wenn Jemand an einen Andern empfohlen ist, er diesen werther hält als Den, welcher ihn empfohlen hat, so kann es auch nicht auffallen, dass wir zuerst von den Anfängen der Natur an die Weisheit empfohlen werden und dass später die Weisheit uns doch theurer wird als das, von dem aus wir zu ihr gelangt sind. Und so wie die Glieder uns in der Weise gegeben sind, dass sie für bestimmte Thätigkeiten im Leben dienen sollen, so ist auch das Begehren der Seele, was griechisch hormê heisst, nicht für jede Art des Lebens, sondern zu gewissen bestimmten Weisen des Lebens nach meiner Meinung gegeben, und dasselbe gilt für die Vernunft und für die vollkommene Vernunft. (§ 24.) So wie dem Schauspieler nicht jede Stellung, dem Tänzer nicht jeder Sprung, sondern ein bestimmter vorgeschrieben ist, so muss auch das Leben nach einer gewissen Weise geführt werden und nicht auf jede beliebige Weise; jene heisst die übereinstimmende und gemässe. Nach unsrer Ansicht ist die Weisheit nicht der Steuermannskunst und nicht der ärztlichen Kunst ähnlich, sondern mehr jener erwähnten Kunst des Schauspielers und Tänzers, so dass in ihr selbst die Wirksamkeit der Kunst enthalten ist und ihr Zweck nicht von Aussen entlehnt wird. Indess ist auch von diesen Künsten die Weisheit dadurch unterschieden, dass das richtige Handeln bei jenen nicht alle Theile umfasst, aus denen diese Künste bestehn; dagegen enthalten die Handlungen, die wir rechte oder recht geschehen, wenn's gefällt, nennen wollen und die bei den Griechen katorthômata heissen, alle Bestandtheile der Tugend. Denn nur die Weisheit ist ganz in sich beschlossen, was bei den andern Künsten nicht der Fall ist. (§ 25.) Nur aus Unverstand wird das Ziel der Arznei- oder Steuermannskunst mit dem Ziel der Weisheit verglichen; denn die Weisheit befasst auch die Seelengrösse und die Gerechtigkeit, und sie meint, dass Alles, was den Menschen treffen könne, unter ihr stehe, was bei den übrigen Künsten nicht Statt hat. Niemand kann aber die erwähnten Tugenden festhalten, wenn er nicht annimmt, dass zwischen allen sonstigen Dingen, mit Ausnahme des Sittlichen und des Schlechten, kein Unterschied stattfindet. (§ 26.) Sehen wir nun, welche bedeutenden Folgen sich aus diesen Sätzen ergeben. Wenn es nämlich das Höchste ist (Du wirst nämlich bemerkt haben, dass ich das, was die Griechen telos nennen, bald als das Höchste, bald als das Aeusserste, bald als das Ziel bezeichne, denn man kann wohl auch das Aeusserste und Letzte das Ziel nennen), wenn es also das Höchste ist, der Natur gemäss und mit ihr übereinstimmend zu bleiben, so folgt nothwendig, dass alle Weisen immer glücklich, unabhängig und zufrieden leben, durch nichts gehemmt oder gehindert werden und nichts entbehren. Was nun nicht blos diese Lehre, über welche ich spreche, sondern auch unser Leben und unser Glück befasst, der Satz nämlich, dass wir das Sittliche für das alleinige Gut anerkennen, dies kann zwar breit und ausführlich dargelegt werden und in den gewähltesten Ausdrücken und gewichtigsten Aussprüchen rednerisch ausgeschmückt und umständlicher dargestellt werden, allein mir gefallen die kurzen und scharfen Folgesätze der Stoiker besser.
Kap. VIII. (§ 27.) Ihre Beweisführung geht also kurz dahin: Alles Gute ist lobenswerth und alles Lobenswerthe ist sittlich, daher ist das Gute auch sittlich. Scheint Dir dieser Schluss nicht richtig? Offenbar ist er es, denn das, was aus jenen beiden ersten aufgestellten Sätzen folgt, das bildet, wie Du siehst, den Schlusssatz. Man pflegt indess gegen den ersten von diesen beiden Sätzen, aus denen dieser Schluss abgeleitet worden ist, zu sagen, dass nicht jedes Gut lobenswerth sei; dagegen erkennt man an, dass alles Lobenswerthe sittlich sei. Allein es wäre sehr widersinnig, dass ein Gut nicht begehrenswerth sein sollte und dass das Begehrenswerthe nicht gefallen sollte, und wenn dies der Fall, dass es nicht geliebt werden sollte. Deshalb muss es auch gebilligt werden und ist daher auch lobenswerth, und dies ist das Sittliche. So erhellt, dass, was ein Gut ist, auch sittlich ist. (§ 28.) Dann frage ich, wer kann wohl eines elenden oder eines unglücklichen Lebens sich rühmen? Nur von einem Glücklichen kann dies geschehen. Daraus folgt, dass das glückliche Leben so zu sagen des Rühmens werth ist, und dies kann mit Recht nur bei einem sittlichen Leben zutreffen. So ergiebt sich, dass das sittliche Leben auch glücklich ist. Da nun der mit Recht Gelobte in Bezug auf Zierde und Ruhm etwas Ausgezeichnetes besitzt, so dass er deshalb mit Recht glücklich genannt werden kann, so kann man dies auch mit Recht von einem solchen Manne sagen. Wenn so das glückliche Leben in der Sittlichkeit befasst ist, so muss das Sittliche auch für das einzige Gut gelten. (§ 29.) Wie aber? Kann man wohl leugnen, dass ein Mann von beharrlicher, fester und grosser Gesinnung, den man einen tapfern nennt, unmöglich ist, wenn nicht feststeht, dass der Schmerz kein Uebel ist? Denn so wie Der, welcher den Tod zu den Uebeln rechnet, ihn fürchten muss, so kann auch Niemand das, was er für ein Uebel erklärt, verachten und sich nicht darum kümmern. Aus diesem von Jedermann gebilligten Satze folgt dann, dass ein Mensch von grossem und tapferem Gemüth Alles, was den Menschen treffen kann, verachten und für Nichts halten muss. Und ist dem so, dann ist auch erwiesen, dass nur das Sittlich-Schlechte ein Uebel ist. Der erhabene und ausgezeichnete Mann von grosser Seele, der wahrhaft tapfer ist, wird alles Menschliche unter sich СКАЧАТЬ