Название: Gesammelte Werke von Cicero
Автор: Марк Туллий Цицерон
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027209569
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(42) Schon jetzt kann ich mir vorstellen, wie sich das Publikum zu der Verhandlung drängt, welche Erregung es mitbringt, wie gespannt es dem Verlaufe folgt, wie es meiner Rede lauscht – handelt sich's doch um die Schamlosigkeit eines Verres! Wenn ich daran denke, bin ich fast ratlos, wie ich der Empörung seiner Feinde, der allgemeinen Erwartung, der Bedeutung des Gegenstandes entsprechende Worte finden soll. (43) Dich schreckt dies alles nicht, du denkst nicht daran, sondern ersparst dir die Mühe. Wenn du dir den Anfang irgend einer alten Rede nach klassischem Rezept, etwa »Zeus, du größter und höchster« oder »Ich wollte, wenn es möglich wäre« oder sonst etwas in diesem Stile einstudiert hast, dann glaubst du dich wohl trefflich vorbereitet zu haben! (44) Selbst wenn dir niemand antwortete, könntest du sicherlich nichts zur Evidenz bringen; nun vergißt du aber, daß du einen vorzüglich gerüsteten Gegner von glänzender Beredsamkeit vor dir hast, mit dem du dich erst scharf auseinandersetzen, dann auf jede Weise herumschlagen mußt. 20 Ich meinerseits erkenne seinen Geist an, ohne mich von ihm einschüchtern zu lassen; ich schätz ihn, aber ich glaube, daß er mich eher amüsieren, als hinters Licht führen kann. XIIII. Nie wird er mich mit seinen Schlauheiten unterkriegen, nie mit seinen Rednerkunststücken aus dem Konzepte treiben, nie wird er versuchen, mich durch seinen Witz zu Falle zu bringen oder zu entkräften. Ich kenne all seine Angriffs- und Redemanieren; oft standen wir vor Gericht zusammen, oft einander gegenüber. Er ist ein geistreicher Mann; allein er wird von seinem Geist eine Probe ablegen, indem er gerade mir gegenüber keinen all zu spitzfindigen Gebrauch davon macht.
(45) Dagegen du, Caecilius! Wie wird er dich zurichten! Ich höre ihn schon, wie er mit dir spielt, wie er dich auf jede Weise in die Enge treibt, wie er dich einmal übers andere zwischen die Kneifzange seiner Alternative nimmt, so daß du nach eigener Wahl erklären kannst, ob eine Angabe wahr oder falsch sei, und, was du auch erklären magst, immer eingezwängt wirst. Armer Mensch, was steht dir an Angst und Aufregung bevor! Ein Fehltritt nach dem andern, ein wahrer Taumel! Und dabei bist du im Grunde ein guter Kerl. – Wenn er dann erst deine Anklage zergliedert und die einzelnen Teile des Prozesses zwischen die Finger nimmt, um jeden einzelnen gründlich zu behandeln und prompt zu erledigen! Du selber wirst schließlich fürchten, einen Unschuldigen in Gefahr gebracht zu haben. (46) Dann weiter: er fängt an zu jammern, er macht das Mitleid für seinen Schützling rege und sucht etwas von dessen bösem Ruf auf dich abzuwälzen; er redet von dem innigen Verhältnis zwischen dem Statthalter und seinem obersten Beamten, wie sie durch die Sitte der Ahnen und die Heiligkeit des Loses besteht – willst du alle die Mißgunst, die er auf dich herabredet, aushalten? überleg es dir nur, gehe ernsthaft mit dir zu Rate. Ich fürchte nämlich, daß es überhaupt gar nicht seiner Worte bedarf, um dich zu zerschmettern, sondern daß sein bloßes Mienenspiel, seine Haltung und Bewegung genügen werden, um deiner Schlauheit die Spitze abzubrechen und dir dein ganzes Programm auszutreiben. (47) Davon werden wir ja bald eine Probe bekommen. Denn wenn du mir heute Rede stehen kannst, wenn du von deinem Manuskripte, das dir irgend ein Schulmeister aus fremden Reden zusammengestoppelt hat, mit einem Wort abweichen kannst, so will ich annehmen, du kannst auch dem andern gegenüber deine Fassung bewahren und deine Sache ordentlich führen; bist du aber schon hier bei dieser einleitenden Plänkelei ohnmächtig, wie sollst du dich da im vollen Gefecht mit einem scharfen Gegner halten? –
XV. »Gut,« wird man mir erwidern, »er selbst ist nichts und kann nichts; aber er kommt mit gewandten Subskriptoren.« 21 Das ist immerhin etwas, wenn auch nicht genug: denn überall muß der Führer eines Unternehmens am besten unterrichtet und am stärksten gerüstet sein. Indes da seh ich als ersten Subskriptor den Lucius Appuleius; das ist ein Anfänger, zwar nicht an Jahren, aber wohl an Gerichtspraxis. (48) Dann hat er einen gewissen Alienus; der kennt allerdings die Schranken. Ob er reden kann, hab ich zwar nie beachtet, aber im Schreien ist er robust; darin hat er's weit gebracht. Auf den also setzest du deine einzige Hoffnung, der soll für dich den ganzen Prozeß durchführen! Aber selbst er darf sich ja nicht in seiner ganzen Größe zeigen, sondern er muß dich in ein möglichst glänzendes Licht zu rücken suchen, folglich seiner eigenen Beredsamkeit noch Zügel anlegen, damit du wenigstens nach etwas aussiehst. Etwas ähnliches erleben wir ja zuweilen im griechischen Theater: es kommt vor, daß der zweite oder dritte Schauspieler viel glänzender deklamieren könnte als der Held, daß sie sich aber absichtlich zurückhalten, um den an sich unvollkommenen Künstler seiner Hauptrolle entsprechend hervortreten zu lassen. So muß Alienus sich anstellen: er muß dir als Folie dienen, sich selbst in den Schatten stellen, seiner Beredsamkeit Zügel anlegen, kurz, erheblich weniger leisten, als er vermag.
(49) Nun überlege man sich, wie sich diese Ankläger gegenüber der Bedeutung des Prozesses ausnehmen werden, wenn ein Alienus seine Leistungen noch unter das Maß seiner Fähigkeiten reduziert und Caecilius sich erst dann sicher fühlt, wenn Alienus sich einschränkt und ihm die erste Rolle überläßt. Wer der vierte im Bunde sein soll, kann man sich gar nicht vorstellen; höchstens vielleicht irgend ein Subjekt aus der Masse der Lückenbüßer, die sich bei jedem Kläger zur Unterschrift drängen. (50) Es sind Menschen, die mit dir und der Sache nichts zu thun haben; aber mit ihnen mußt du dich in Verbindung setzen, um einen von ihnen an deiner Seite aufzunehmen; so steht's um deinen Anhang. Natürlich thue ich ihnen nicht die Ehre an, auf ihre Aussagen Punkt für Punkt und mit besonderer Rücksicht auf jeden einzelnen zu antworten; da ich sie jetzt einmal zufällig, ganz ohne jede Absicht, erwähnt habe, will ich sie im Vorübergehen alle miteinander abfertigen. XVI. Meint ihr, ich hätte so wenig Freunde, daß ich mir Unterschriften nicht von Leuten meines Standes, sondern aus den niederen Bevölkerungsklassen holen müßte? Und ihr – findet ihr so wenig Straßenräuber und Taschendiebe, daß ihr mir einen Prozeß wegschnappen möchtet, anstatt euch bei Maenius' Schandsäule 22 Prozeßkandidaten eures Standes zu suchen? (51) Nun rief einer: »Laßt mich bei Cicero unterzeichnen, damit ich ihn beaufsichtigen kann!« – Allerdings braucht ich eine Menge Aufseher, wenn ich dich einmal in mein Bureau lassen sollte; denn du wärest imstande, nicht bloß etwas auszuplaudern, sondern sogar etwas zu entführen. Aber gegenüber der zudringlichen »Aufsicht« durch diese Herren erklär ich einfach: Der Gerichtshof wird nicht zulassen, daß bei diesem außerordentlichen, auf meinen besonderen Wunsch mir anvertrauten Prozeß irgend jemand mir zum Trotz meine Klage unterzeichnen dürfe. Einen Aufpasser brauch ich nicht, dazu bin ich zu ehrlich; und einen Spion fürcht ich nicht, dazu bin ich zu wachsam.
(52) Doch kommen wir auf dich zurück, Caecilius. Was dir fehlt, siehst du nun wohl ein; du merkst aber auch, wie erwünscht es dem Schuldigen käme, von dir verklagt zu werden. Was läßt sich hiergegen einwenden? – Wohl gemerkt, ich frage nicht, was du einwenden magst; denn ich sehe, daß an deiner Stelle das Manuskript deines Beraters antworten würde; sein bester Rat für dich wäre freilich, nach Hause zu gehen und mir überhaupt nicht zu antworten. Denn was wolltest du auch sagen? Immer wieder, daß Verres dich geschädigt hat? Das glaub ich wohl, denn da er sich an ganz Sicilien vergriffen, war es unwahrscheinlich, daß er zu deinen Gunsten allein eine Ausnahme gemacht hätte. (53) Nun haben die übrigen Sicilianer einen Rächer gefunden; du dagegen bist unfähig dir selbst zum Rechte zu verhelfen und willst deshalb auch andere ungerecht leiden sehen; überdies vergißt du, daß man bei einem Rächer nicht bloß nach der Verpflichtung, sondern auch nach der Fähigkeit, erfolgreich einzugreifen, fragt: wer dazu verpflichtet und fähig ist, hat den Vorrang; wer nur das eine oder das andere für sich anzuführen vermag, der wird nicht nach seinem Wollen, sondern nach seinem Können beurteilt. (54) Meinst du nun etwa, daß der den Verres anklagen soll, der von ihm am meisten ausgestanden hat, so frag ich den Gerichtshof: Was ist wohl schlimmer, eine persönliche Beleidigung des Quintus Caecilius oder der qualvolle Ruin der Provinz Sicilien? СКАЧАТЬ