Название: Gesammelte Werke von Cicero
Автор: Марк Туллий Цицерон
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027209569
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Wenn diese Reden hier in einer neuen, freien Übersetzung vorgelegt werden, obgleich doch keine Übersetzung den Charakter, die Wirkung, ja auch nur den Rhythmus des Originales annähernd wiedergeben kann, so geschieht das nicht nur um Ciceros willen. Es ist wahr, daß der geistvolle Advokat, der mit seinem aufrichtigen Streben nach griechischer Geisteshöhe und dabei seinem treuherzigen Festhalten an römischen Traditionen einen Übergang zwischen zwei scharf gesonderten Generationen darstellt, schon an sich verdient, mehr als unter dem Namen des großen Worthelden bekannt zu werden. Aber der Hauptgrund ist die Thatsache, daß diese Reden uns ein Stück Geschichte bieten. Einen wirklichen römischen Historiker hat es ja nie gegeben; die tüchtigsten Autoren, die über die Römer und sonstigen Völker des Altertumes berichten, sind ohne Ausnahme Griechen. Cicero selbst, dessen Patriotismus wahrlich soweit ging wie nur der eines altrömischen Fanatikers, der sogar Verseschmiede wie Ennius ernst nimmt und mit einer Verdacht erregenden Grundsätzlichkeit die Gleichberechtigung seiner Nation neben den Ausländern auf allen Gebieten betont – er selbst vermißt einen rechten Historiker, der die Kunst der Sprache in den Dienst der Geschichtschreibung stellte. Ein solcher fand sich freilich wenige Decennien später in Livius, und dessen Werk ist für die Römer ein Objekt des Nationalstolzes geworden; aber dies ist höchstens für die Römer bezeichnend, denn Livius war einseitiger Rhetor ohne historischen Sinn, ohne Kritik, ohne Wahrheitsliebe, ohne Menschenkenntnis, ohne die Fähigkeit, ein wirkliches Problem auch nur zu verstehen, geschweige denn es anzufassen. Seine geschickte Art zu schreiben hat im ganzen nur Unheil angerichtet; ihm zumeist ist es zu verdanken, wenn all der Blödsinn von Horatiern und Curiatiern, Fabricius, römischem Ehrgefühl etc. etc. noch immer, trotz Niebuhr und Mommsen, in verschiedenen Erdenwinkeln gelehrt und geglaubt wird. Vollends für die Zeit, die uns hier interessiert, kommen am wenigsten die erzählenden Historiker, dagegen am meisten die unzweideutigen Urkunden in Betracht; und zu diesen gehören in erster Linie Ciceros Reden gegen Verres. Wer sie mit der nötigen Aufmerksamkeit liest, um ein wenig zwischen die Zeilen zu gucken und die allgemeinen Zustände zu erfassen, von denen der Redner schweigt, der wird vor allen Dingen mit dem neuerdings viel gepredigten Aberglauben fertig werden, daß die Römer den Hellenismus in Schutz genommen hätten. Aufgeräumt haben sie mit dem Griechentume so viel sie irgend konnten; und wenn der besiegte Grieche durch seine Kultur den römischen Sieger trotz dessen verzweifelter Gegenwehr doch schließlich beherrschte und lenkte, so zeigte sich eben das Walten von inneren Kräften, die mächtiger sind als die rohe Faustkraft des Soldaten. Sicilien z. B. war seit vielen Jahrhunderten ein Hauptsitz des Griechentums gewesen. Soweit die blühende Insel nicht dem Barbarengeschmeiß der phönikischen Karthager zum Opfer gefallen war, hatten Griechen der verschiedensten Stämme, namentlich Ionier und Dorer, das Land in Besitz genommen, zahlreiche Städte gegründet, in eiserner Arbeit den Boden kultiviert und auf der Grundlage solider Wirtschaft und gesunder städtischer Organisation eine Blüte des Landes hervorgerufen, die bei der wunderbaren Begabung und naturgemäßen Entwicklung der Nation einen glänzenden Wohlstand sowie eine hohe Civilisation zur Folge hatte. Innere Zerwürfnisse, zahllose Fehden zwischen Stämmen, Gemeinden und Parteien konnten zwar einzelne Städte zu Grunde richten, aber niemals dem Gesamtgedeihen schaden, denn Neues entstand an Stelle des Vernichteten, und die Monarchen, obgleich illegal, führten mit erhöhter Kraft fort, was die Stadtrepubliken begonnen hatten. Selbst die rasende Zerstörungswut der Karthager, deren vollen Ausdruck man noch heute an Tempeln sieht, die während der Arbeit vernichtet wurden, selbst Hamilkar und Hannibal konnten der Blüte Siciliens nichts anhaben; aber freilich waren jene ewigen inneren Zerwürfnisse, die für das Denkervolk der Hellenen und der Deutschen gleich charakteristisch sind und die Athen nebst dem ganzen eigentlichen Hellas des Ostens aufgezehrt hatten, wohl dazu angethan, den italischen Horden das Eindringen zu erleichtern. Der Römer brachte das Verhängnis. Als Syrakus, die größte, reichste und nach Athen wichtigste Stadt des hellenischen Altertums, im Jahre 212 v. Chr. durch Marcus Marcellus genommen wurde, da fanden die Römer nicht ein altersschwaches, für den Schnitter reifes Gemeinwesen vor, wie später in Alexandreia oder wie die Türken in Konstantinopel oder die Goten in Rom, sondern Syrakus gleicht einem genialen Menschen, der in der Blüte seiner Vollkraft durch niedrige Hinterlist gefällt wird. Cicero pflegt zwar den Marcellus als großmütigen Eroberer zu schildern; das mußte er um des populären Vorurteiles und der advokatischen Tendenz willen; aber glauben darf man ihm nur, daß Marcellus nicht ganz so fürchterlich hauste, wie die Mehrzahl der späteren römischen Statthalter und ihrer Gehilfen, der Steuerpächter. Die Römer waren seit Urzeiten ein Kaufmannsvolk; materieller Vorteil galt ihnen alles. Deshalb ist es unsinnig, den modernen Begriff starren Rechtsgefühles und selbstverleugnender Gewissenhaftigkeit, wie ihn tendenziöse Phrasenmacher der ganz modern empfindenden augusteischen Zeit in die ältere Geschichte eingeschwärzt haben, als Maßstab für das echte, eigentliche Römertum zu verwerten. So lange die Römer nicht hellenisch civilisiert sind, darf man sie im ganzen als Barbaren auffassen. Nichts ist lächerlicher als der Versuch, die modernen Italiener mit den alten Römern in Verbindung zu bringen; das Vorurteil von der »lateinischen Rasse« überlasse man getrost den Journalisten. Es giebt keine Lateiner mehr; die Völkerwanderungen und Völkermischungen des Mittelalters haben neue Nationen geschaffen, die sich wahrlich mit den Lateinern sehr zum eigenen Vorteile messen können. In Spanien und Gallien war die einheimische keltiberische, resp. keltisch-germanische Bevölkerungsmasse nur mit einer dünnen Schicht von römischen Beamten und sonstigen Geldspekulanten überzogen worden: mit denen ward im Anfange des Mittelalters schnell aufgeräumt. In Spanien sorgten Goten und Sarazenen, in Gallien die unerschöpflich aus dem Osten hervorbrechenden Germanen, namentlich zuletzt die Franken, nach denen jetzt der größte Teil des Landes heißt, für die Zuführung frischen gesunden Blutes in den verfallenden Körper der einheimischen Nationen; einer der gefeiertsten französischen Historiker, der gewaltige Taine, hat eindringlich darauf hingewiesen, daß Galliens Wiedergeburt auf seiner Germanisierung beruht. Vollends in Italien wurde durch die endlosen Einfälle von Germanen und Orientalen eine durchaus neue Bevölkerung an Stelle der ganz verrotteten alten gesetzt; durch anhaltende Mischung bildete sich die neue Rasse, und in den Wirren und Kämpfen des späteren Mittelalters, sowie unter den ständigen Einflüssen der Natur wie der antiken Kulturreste erhielt sie ihren bleibenden Charakter. Daher die großen Unterschiede zwischen den Italienern der verschiedenen Himmelsstriche und Landschaften. Es ist bekannt, daß Sicilien nie ganz römisch geworden ist; es blieb immer ein unterjochtes Stück Ausland, bis im Mittelalter die Griechen von Sarazenen und Normannen abgelöst wurden; die Sitten der einen wie die Kunstwerke der anderen setzen uns noch heute in Erstaunen, während von der Römerzeit nur das Elend übriggeblieben ist, in dem der größte Teil des Landes verkümmern mußte. Es ist nicht minder bekannt, daß Florenz seinen Aufschwung hauptsächlich durch die massenhaften Ansiedelungen deutscher Ritter erhielt; Florenz ist aber die Heimat Dantes, ist Heimat und Hochsitz der italienischen Renaissance, während Rom niemals einen Künstler und seit dem Untergange der antiken Welt überhaupt keinen großen Mann hervorgebracht hat. Über das griechische Element in Neapel, das byzantinische in Ravenna, das keltische in Genua, das germanische in Venedig ist viel geschrieben worden. Nur die Sprache und einige äußere Gebräuche nahmen die neuentstehenden Völkerschaften von den aussterbenden Lateinern zu sich herüber. Der moderne Italiener mit seiner schlanken Gestalt, seinen feinen individuellen Gesichtszügen, seinem empfindlichen Geschmack, seinem elastischen Gang, seinen leichten graziösen Manieren, seinem vollendeten Takt- und Formgefühl, seinem natürlichen Kunstsinn, seiner Lebensfreude und seiner unbezwinglichen Abneigung gegen alle Disciplin hat nichts gemein mit dem kurzen, stämmigen, zwiebelköpfigen, gefühlsrohen, ausschließlich materielle Interessen kennenden Römer des Altertumes, der von Kunst nichts ahnte, sein Bestes als Soldat und Politiker leistete, keine Individualität besaß und mit dem Begriff auch das Wort Disciplin erfand. Der Römer – das kann ein Anatom oder Bildhauer ebenso gut beweisen wie ein Psycholog – hätte mehr Ähnlichkeit mit dem Russen als mit dem Toskaner oder Umbrer von heute; der Unterschied ist, wenn auch im umgekehrten Sinne, fast ebenso groß, wie der zwischen dem Athener des perikleischen Zeitalters und dem Albanesen, der heute Attika bewohnt. Vielleicht haben sich in einzelnen Winkeln der Abruzzen versprengte Lateiner fortgepflanzt, wie versprengte Griechen in einigen Bergdörfern Thessaliens; für das Gesamtbild der СКАЧАТЬ