Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон
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Название: Gesammelte Werke von Cicero

Автор: Марк Туллий Цицерон

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788027209569

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СКАЧАТЬ wir z. B. in England noch heute Verbrecher vom Schlage des Verres straflos ausgehen, obgleich ihre Schuld nicht nur erwiesen, sondern auch eingestanden ist. Vollends in den letzten Dezennien der verfallenden römischen Republik ging es beim Urteil über menschliche Existenzen nie nach dem Rechte, sondern nur nach den persönlichen Einflüssen, und die waren nicht gerade auf Ciceros Seite. Die Richter mußten seit Einführung der Sullanischen Gesetze nicht mehr dem »Ritterstande«, d. h. der gut bürgerlichen haute finance, sondern dem »Senatorenstande«, d. h. der allmächtigen aristokratischen Clique, entnommen werden; und wenn auch der Kläger wie der Beklagte das Recht hatte, eine bestimmte Anzahl von Geschworenen zu verwerfen, an deren Stelle dann andere durchs Los gesetzt wurden, so waren doch die Chancen für den »Optimaten« Verres erheblich günstiger als für den »Emporkömmling« Cicero. Dieser mußte also den Einfluß, den er an Verbindungen nicht besaß, durch persönliche Eigenschaften zu gewinnen suchen, und dazu half ihm nichts so sehr wie die Beredsamkeit.

      Seine Aufgabe war nicht nur eine zwingende und elegante Beweisführung nebst durchgreifendem Kampfe gegen den feindlichen Anwalt, sondern der Angeklagte mußte rein zerschmettert, und in den Richtern mußte das Bewußtsein erweckt werden: »wir müssen ihn verurteilen, es bleibt uns nichts anderes übrig, tausend Gründe zwingen uns dazu, von denen jeder einzelne allein schon ausreichen würde.« So mußte der Redner auf die Richter persönlich und sachlich einwirken, und dazu gehörte viel mehr als eine geschickte Verarbeitung des gesammelten Materiales und ein glänzender Vortrag. Es handelte sich darum, dem Gegner jeden irgend möglichen Einwand vorweg zu nehmen, ihn an jeder Bewegung zu verhindern, den Vorteil, den der Angreifer als solcher überall besitzt, voll auszunutzen: blieb auch nur ein Hinterpförtchen offen, so war Gefahr im Verzuge.

      Cicero mußte den Geschworenen für den Fall der Freisprechung drohen; und da kam es ihm denn sehr gelegen, daß die Oppositionspartei damals für die Übertragung der Gerichte an den Ritterstand agitierte – der Hinweis auf diese Agitation, die noch in demselben Jahre zum Ziele gelangen sollte, kehrt von Zeit zu Zeit wie ein Refrain in seinen Reden wieder. Eine Hauptsache aber war die Erregung der Leidenschaften; der Redner mußte die Geschworenen wie das zuhörende Volk in eine Wut gegen den Angeklagten versetzen, die stärker wirkte als alle Verstandesgründe. Er mußte auf seine Hörer fascinierend, begeisternd, rührend wirken wie heutzutage ein Musiker. In seinen theoretischen Schriften spricht Cicero viel über dies Motiv und über die Mittel, es ins Werk zu setzen; Hauptsache ist natürlich die Begabung, aber in hohem Grade kam es auch auf rechte Disposition des Stoffes und Wahl des geeigneten Momentes an. »Setzt nach den nötigen Vorbereitungen im geeigneten Augenblick eine mächtige Leidenschaft ein,« sagt Cicero, »so wirkt sie vernichtend, furchtbar, unwiderstehlich,« und er citiert als Beispiel seinen Kampf gegen Verres. Einen sonst hochachtbaren Redner tadelt er wegen seines Mangels an Beweglichkeit: »nicht einmal daß er mit dem Fuß aufstampfte!« – Man sieht, daß auch die Erregung der Leidenschaften durch Theorien gelenkt wurde; die ausdrückliche Versicherung Ciceros, daß er seine im Kampfe wirksame Passion nicht heuchele, sondern wirklich empfinde, darf man wohl dahin verstehen, daß er an sich glaubte, daß er sich wirklich in die Illusion hineinredete, als wäre er so gerührt, so wütend u. dgl. wie er seinen Hörern scheinen wollte, um in ihnen die gleichen Empfindungen zu erwecken. Von einer wirklichen Hingerissenheit im Schmerze kann natürlich keine Rede sein; es wäre das schlimmste Zeichen für einen Redner, wenn er die Herrschaft über sich selbst verlöre, denn damit hätte er sofort auch die Herrschaft über die Zuhörer verloren; vielmehr kannte Cicero das Gesetz sehr gut, das ein Späterer in die Worte zusammenfaßte, »man darf nicht zu aufgeregt sein, wenn man andere aufregen will,« und hierin spricht sich so recht der schauspielerische Charakter der antiken Beredsamkeit aus, die deshalb eine so hohe künstlerische Ausbildung erhielt, daß sich mit ihr keine moderne, selbst nicht die der Franzosen und Italiener vergleichen kann. Eine Idee davon giebt schon die Thatsache, daß in Rom der Redekünstler viel mehr galt als selbst der Dichter; er hatte, wie der Schauspieler, die größte Sorgfalt auf seine äußere Erscheinung, auf Haltung und Toilette zu verwenden, jede Gewandfalte war studiert, und natürlich jede Bewegung, jeder Tonfall von Wichtigkeit. Der beliebte Vergleich zwischen Redner und Krieger hätte einem so kriegerisch gewöhnten Volke wie den Römern unmöglich so einleuchten können, wenn nicht der eine wie der andere seine ganze Existenz für den Kampf eingesetzt hätte, bei dem er Mut und Ausdauer brauchte, wie List und Berechnung. Cicero citiert einmal eine Wendung aus einer Rede seines auch in diesem Prozesse genannten großen Vorgängers und Vorbildes Crassus, die nicht nur durch die Kraft ihrer Worte und ihrer Bilder so übermächtig wirkte, sondern weil der Sprecher durch Mienenspiel, Augenleuchten, Körperhaltung und Stimmklang den Eindruck des siegenden Fechtvirtuosen hervorrief, der seinen Gegner in die Pfanne haut. Oft bezeichnet das einsilbige lateinische Quid?, dessen buchstäbliche Übersetzung »Was?« oder »Wie?« sich im Deutschen lächerlich und schulmäßig ausnehmen würde, mit seinem spitzen stechenden Klange die Stelle, wo der Redner mit dem Fuß aufstampfte; oft hört man ein rollendes Anwachsen und allmähliches Nachlassen oder plötzliches Abbrechen des Tones aus den geschriebenen Worten heraus; oft bemerkt man die einschlagenden Schlußkadenzen, die den dröhnenden Beifall des Publikums entfesselten, und die Pausen, in denen der geschickte Akteur dieses Kapital einheimste. Er mußte es verstehen, den Hörer in Angst zu versetzen und zu erlösen, ihn gegen den Feind zu erbittern und für sich einzunehmen; und dazu gehörten nicht nur die bestechenden Mittel des Augenblicks: es ist keine Übertreibung, wenn Cicero sagt, der perfekte Redner müsse sich eines anständigen Lebenswandels befleißigen, um anderen Leuten ihre Sünden vorwerfen zu können. Der Grund ist bezeichnend, die Selbstcharakteristik im höchsten Grade beachtenswert; vor allem aber sieht man, bis zu welchem Superlativ hier die Methode ausgebildet ist: alles, auch der Lebenswandel, muß nach den Erfordernissen des Handwerkes geregelt werden.

      Cicero verfügte über die nötigen Mittel zu solchen Effekten in vollem Maße. Talent, angeerbte Neigungen, Fleiß und Charakter verbanden sich in ihm, um ihn zum ersten Redner nicht nur seiner Zeit, sondern des ganzen römischen Altertums zu machen. Ein großer Geist, ein tiefer Denker ist er nicht gewesen; ihn zu einem bedeutenden Staatsmann oder gar Philosophen zu stempeln, das mag man ruhig denen überlassen, denen die Grammatik alles ist und die auf die klösterlichen Traditionen der mittelalterlichen Scholastik schwören. Aber einer der edelsten Charaktere, der gebildetsten Menschen seiner Zeit war er sicher; er konnte Griechisch im besten Sinne des Wortes und betrieb diese Studien, nicht weil sein Beruf es ihm gebot oder weil ihn die Prunkstücke moderner Maulhelden amüsierten, sondern weil es ihm um Plato und die Tragödie ernst war. Cicero war geistreich und human; und diese Züge waren von wesentlicher Bedeutung für seine Kunst.

      Daß die Kunst der Beredsamkeit nicht auf römischem Boden gewachsen ist, weiß jedermann; schon die kurze Spanne Zeit, in der sie sich zur Blüte entwickelte, beweist es. Selbst für die berühmten Reden des Gaius Gracchus, die ihre Wirkung wohl mehr der grandiosen Persönlichkeit ihres Schöpfers und ihrem epochemachenden Inhalt als ihrer Form verdankten, fand sich kein litterarischer Ersatz. Binnen wenigen Jahrzehnten ging jene Entwicklung vor sich: die Römer übertrugen auch hierin, was sie bei den Griechen vorfanden, auf ihr Gebiet. Aber während die meisten anderen Künste dort versagten oder versiegten, fand die Rhetorik wegen des formellen, phrasenhaften Sinnes der Nation und wegen ihrer großen praktischen Brauchbarkeit im Kampfe des Lebens den günstigsten Boden. Man hatte es zu oft erlebt und namentlich bei den Griechen mit angesehen, wie stark im Leben der Einzelnen wie der Völker die Kunst des Sprechens, der momentanen Konzentration einer Menschenkraft auf das Wort, zum Gelingen der eigenen Absicht und zur Herrschaft über andere beiträgt. Gewachsen war diese seltsame Blüte antiken Geistes zufällig in demselben Lande, das in Ciceros Leben eine so bedeutende Rolle spielen sollte, in Sicilien; hier hatten im fünften Jahrhundert, zur Zeit wo Athen der Welt die Tragödie, die Komödie, den Parthenon, die sokratische Philosophie und die Form des Staatenbundes unter einheitlicher Centralleitung schenkte, ionische Griechen die Theorie der »Kunstrede in Prosa« erfunden. Ein Ionier aus Leontinoi, jener Stadt, die Cicero nur noch als Centrum fruchtbaren Ackergebietes bezeichnet (als Stadt war sie verkommen, wie heut ihr Ackerland versumpft ist) Gorgias brachte sie im Jahre 427 nach Athen, und ihre politische Wirkung war ebenso groß, freilich auch ebenso verhängnisvoll, wie ihre literarische. СКАЧАТЬ