Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
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СКАЧАТЬ Schneeglöckchen, kleine verschüchterte Kammermägdlein des Frühlings, stehen auf dem Fensterbrett im Salon. Blitzblank ist der Teekessel, alle Tapetenrollen verschwunden – die Ruine bekommt Damenbesuch. Der Wagen rollt heran, und Harro hebt seine kleine Dame heraus. Ihre Augen strahlen, sieht sie doch zum erstenmal die Ruine, wo ihre Gedanken nun täglich wohnen. »O Harro, dein Brunnen! Einen wundervollen grünen Samtmantel hat er an. O Harro, sag ihm, er soll singen!«

      Harro zieht eine Mundharmonika heraus, auf der er in äußerst kunstloser Weise bläst: »Wer hat dich, du schöner Wald.« Und der Brunnen macht ein feines Tongemälde daraus, einige Töne läßt er aus, an anderen klingelt er herum wie Elfenfinger an einem silbernen Saitenspiel!

      »Oh, der wunderbare Brunnen! Und dort wohnt der Kaliban.«

      Frau von Hardenstein sitzt auf einem Stuhl, den ihr Harro herausgetragen hat. Sie sieht mit andern Augen als das Seelchen die Ruine an. Die hohen Mauern, der finstere Bergfried, Harros aus einem Schuttberg hervorglänzende Fenster.

      Endlich sind die Genüsse im Hofe erschöpft, und es geht ins Zimmer. Das Seelchen wird aus ihrem Mantel geschält und taucht ihr Näschen in das Schneeglockensträußchen.

      »Es riecht so herrlich bei dir, Harro.«

      »So, ich denke nach Terpentin und Lappen.«

      »Nein, nach diesem.«

      In hohen Krügen stehen frische Tannenzweige, manche mit den schweren Zapfen daran.

      »Ah, die Dekoration! Die hole ich mir jede Woche. Etwas muß man doch von seinem Wald haben. Frau von Hardenstein. Ihnen gehört der Amerikaner, für dich, Seelchen, hat der Märt ein Stühlchen gemacht, ausgemessen für deine Größe, und rot angestrichen ist es auch!«

      Seelchen muß es ausprobieren und wieder herunterhüpfen und ihre Entdeckungsreise machen. Ist es möglich, daß einige Wochen das Kind so verändert haben. Und wie wird es erst werden, wenn der Frühling kommt! Harro ist heute in strahlender Laune. Das Seelchen steckt ihm ein Schneeglöckchen an seine ganz neu aussehende Joppe, und dann machen sie Pläne, der feine Duft der Schneeglöckchen muß sie hergerufen haben. Wie das Seelchen auf dem Lindenstamm wohnen wird, wenn die Linde grün ist. Und an der Bastei, da wird sie eine Überraschung erleben. Es ist zwischen den Steinplatten eine Schnur mit einer Öse. Die Öse hält ein Pflock zwischen dem Efeu. Nun, das Seelchen kann es morgen probieren, es hilft ja nicht immer, man zieht zuweilen vergeblich daran, es gibt aber auch wunderbare Fischzüge. Vom ersten April an muß das Seelchen täglich nachsehen, und wenn es am wenigsten daran denkt, wird an der Schnur ein blühender Schlehenzweig hängen, dann wird das Frühlingsfest gefeiert. Auch wenn's schneit. Und wie das gefeiert wird?

      Man steckt den Zweig ins Wasser und macht die Augen zu, dann kommt der Duft über einen, zuerst ganz fein und leise, und dann ist man auf einmal auf einer blühenden Halde, wo alles weiß ist über grauem Stein. Das zweite Frühlingsfest wird aber draußen gefeiert. Das Zeichen ist ein frisch grüner Buchenzweig mit einem Schlüsselblumensträußchen. Da geht man den Reitweg zur Römerwiese. Da öffnet sich ein Waldweg, grün vergrast ist er. Tannen strecken ihre langen Arme darüber, und dazwischen stehen in ihren Festkleidern lichtgrüne Buchen. Der Sonnenschein liegt auf dem Weg in großen goldenen Flecken, und ein Schmetterling, ein Schwalbenschwanz fliegt langsam den Weg herunter, wie eine selige Seele auf dem Himmelsweg. Und ein Maiblumenfest gibt's, wo man in die lichten Eichen geht und dicke Sträuße nach Haus bringt. Und ein Sommerfest. Da ist das Feld golden, und man muß einen Weg gehen, wo die Ähren einem über dem Kopf zusammenschlagen. Ehe man den Weg nicht gefunden hat, der jedes Jahr wo anders ist, kann das Sommerfest nicht sein. Roter Mohn und blaue Kornblumen und steife purpurne Raden, die sich nicht mit den andern Blumen vertragen und immer einen Strauß für sich wollen, blühen darin. Das Seelchen trägt einen Kornblumenkranz. Man geht zu dem heimlichen Ort, wo man nichts sieht als Ährengold und den schwer graublauen Himmel darüber. An dem uralten Stein, worauf die Braunecker Hirschstangen eingegraben sind, da liegt im Gras ein zinnerner Krug, glänzt wie mattes Silber, und darin ist Most, und in einem Körbchen sind Stachelbeeren, von den kleinen süßen, und Bauernbrot und in frischgrüne Kohlblätter eingeschlagen kühle, frische Butter. Das ist das Festmahl. Einen silbernen Becher bringst du mit, Seelchen. Wenn der Weg und das Goldhäuschen gefunden ist, hängt zum Zeichen das Kornblumenkränzchen an der Schnur.

      Jetzt kommt ein feierlicher Tag! Es wird nicht verraten, was an der Schnur hängt – die läßt sich an diesem Tag nicht lumpen! Der Lilientag – mehr wird nicht gesagt.

      Dann gibt's ein Herbstfest. Es könnte sein, daß Kartoffeln gebraten werden im Feuer, das eine so wundervolle Rauchfahne wehen laßt, an der man sich gar nicht satt sehen kann, und daß das Seelchen sich schwarze Finger und ein schwarzes Näschen holt.

      Dann kommt die Abschiedsfeier. Dazu braucht man hohe Stiefelchen, einen Wettermantel, ein grünes Samtkäppchen. Das Zeichen ist ein Leinwandsäckchen mit Haselnüssen. Dann geht man hinaus in den weißen Nebel. Man sieht immer nur ein kleines Stückchen von der Welt. Jetzt nur das Stoppelfeld, auf dem die Mäuschen mit nassen Fellchen huschen; jetzt nur den Hohlweg, wo die Brombeerranken mit den allerletzten schwarzglänzenden Beeren hängen. Immer ist die Welt so heimlich, als schlösse der weiße Schleier einen ab von allem. Es kommt eine Wiese, smaragdgrün glänzt sie durch den weißen Schleier. Auf der Wiese stehen viele blasse Herbstkinderchen nackt und bloß, amethystenblau mit goldenen Herzen, in Trüppchen beisammen. Nun zerreißt der Schleier ein weniges, – eine Waldmauer, – zwei hohe dunkle Tannen als Wächter davor. Immer herrlicher wird das Fest. Durch den Nebel schimmert ein Gold, der Buchenwald, zwischen den Stämmen die Nebel wie mattgoldene Schleiertücher, – alle Bäume sind wie verzaubert, einer hat sich gelb gemacht, dunkelgrün war er vorher, der rot, und jetzt zerreißen alle Schleier, ein Sonnenblitz fährt auf den Weg und bewirft ihn mit Perlen und Diamanten. Die Birke ist reines Gold geworden, der Ahorn wie Blut so rot. Und zwischen den schwarzen Tannenzweigen leuchtet das Himmelsblau. Der Weg ist mit goldenen Blättern bestreut, auf denen man leise geht, daß das Reh einen hat gar nicht kommen hören und nun erstaunt gucken muß. Immer weiter geht man durch flammenden Purpur und Gold, und smaragdgrüne Wiesen leuchten durch Tannenzweige, bis man an eine graue, hohe Mauer kommt. Über die Mauer nickt eine Linde mit gelber Krone im Sonnenschein. Jetzt ist der Himmel ganz blau und glänzend wie weiche Seide.

      Es geht durch ein Tor, ein altes Försterhaus mit Hirschgeweihen, eine Steintreppe windet sich zwischen dunkeln Efeuwänden hinauf zum Schloßhof. Nun ist man in Schloß Schweigen. Das gehört dem Seelchen. Es darf in jedes Zimmer hineingehen, darf aus den goldenen Täßchen trinken, die mit Silber eingelegten Schränke aufmachen, vielleicht sogar in dem Himmelbett schlafen mit der wackeligen Fürstenkrone und den wunderbaren seidenen Vorhängen, die mit allen Blumen bestickt sind, die es gibt und nicht gibt. Wenn es sich nicht fürchtet natürlich, denn ein bißchen grauslich ist so ein altes Himmelbett immer. Es ist ein uraltes Spiegelein da, in grünlichem Bronzerahmen, darin kann es sein Näschen betrachten, es ist gut gegen die Eitelkeit. Ein Erker ist da, worin das Seelchen auf einem hohen steifen Stuhl sitzen kann. Der Erker geht auf goldpurpurne Waldberge hinaus und hat ein Fenster nach der Abend- und eins nach der Morgensonne, umarmt von Efeugeranke. Eine Ranke ist sogar ins Zimmer hereingewachsen. Dies ist das schöne Abschiedsfest!

      »Ach Harro, du sprichst ja gar nicht von der Welt, du sprichst immer vom Himmel.«

      »Närrchen, was weiß ich vom Himmel! Das Schöne ist alles da, man muß es nur zu finden wissen!«

      Das Seelchen, das wie verzaubert auf seinem roten Stühlchen saß, die Milchtasse in den Händen, erwacht wieder zum Leben und schüttelt betrübt ihre goldene Mähne.

      »Wenn das Korn golden ist, muß man lernen, und den Most aus dem Silberkrug darf man nicht trinken, weil es gemein ist. Das tun nur die Bauern. Unterwegs essen darf man nur bei einem Picknick, und da verzanken sich die Leute, weil die СКАЧАТЬ