Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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„Jesses, aber Mutter, was denkt ‘r denn?“
Leonore ward glührot und deckte eine Windel auf seinen entblößten Unterleib.
„Åber Mädl, du bist doch seine Mutter!“
„Nein, das geht nich, Mutter, nein!“
„Nu mein Gott ‘och a, du bist doch jetze verheirat’t.“ Und sie zog mit Gewalt die Unterlage wieder fort.
Da verließ Leonore flüchtend die Stube.
Die Mutter stand vor einem Rätsel. Ihr Gesicht war tief bekümmert. Langsam, wie eine mühselige, schwere Arbeit, verrichtete sie das Einbetten des Kindes.
„Dås weeß dr Himmel, wås met dem Mädel håt. As, aso . . . nä . . . aso was! . . . Dås weist nie gut. Ich möchts åber um ålls eo der Welt wessa, vo‘ wem die a Kop håt! . . . Mei Mån? . . . nä! . . . oder ich? Du mein och a! . . .“
Sie redete noch immer vor sich hin, als Leonore mit der Amme wieder hereintrat.
Stumm legte die alte Marseln dieser den Knaben in die Arme, und als sie ihrer Tochter die Hand zum Abschied reichte, gab sie ihr ein Zeichen, mit auf den Flur zu kommen.
Als sie draußen standen, ergriff die Alte hastig die Hände des jungen Weibes und indem sie tief in ihr Gesicht schaute, sagte sie in gedämpfter Härte:
„Du, Lordl, bet‘, bet‘! — Das is a biese Fleckla, å dem de stiehst. Bet‘, daß du’s iberkemmst.“
„Mag sein, ich kann nie, Mutter, dås nie; iberhaupt wenn jemand derbei is,“ antwortete sie entschieden.
Bekümmert ging die Alte.
Trotzdem war Leonore in kurzer Zeit wieder in der ruhigen, verhaltenen Stimmung, in den weichen Armen eines verborgenen Liedes.
5
Ein weiches, mehr angedeutetes Lächeln verschwand lange nicht von ihrem Gesicht. Sie lachte es auch mit jeder Bewegung ihres Leibes. In spielender Biegsamkeit, schwebend, nicht mehr in jäher Aufgeregtheit, zuckend ging und arbeitete sie. Sie gewöhnte sich eine eigene Art an, die Haare an den Schläfen zurückzustreichen. Dann hielt sie langsam, wie auf die leise Sicherheit eines bedeutsam-inneren Anstoßes hin, inne, bog wie trinkend das Haupt zurück, und während sie die entgegengesetzte Hand in weitem Bogen an ihrer Stirn vorüberführte, um danach wühlend durch die goldenen Locken über ihren dünnen Ohren zu fahren, schloß sie die Augen, und ihr Gesicht nahm einen seligen Ausdruck an. Das stärkte und erheiterte sie, gleich einem tiefen Stoßgebet.
Die Unterordnung der Dienstboten unter den klaren Willen Leonores hatte sich unterdeß auch vollzogen, und so atmete die Zeit regelmäßige, scheinbar sanfte Tage durch das große Griebelsche Haus.
Die Hände auf dem Rücken, die Lippen und das Haupt vom Sinnen eines behorchten Gesanges gefangen, schritt Leonore oft lange im Flur des zweiten Stockwerkes hin und her.
Es that ihr wohl, wenn die rollenden Falten ihres Kleides die Luft um sie aufregten, daß sie streichelnd an den Wänden hinglitt. Denn dann hatte sie die stolze Empfindung einer geheimnisvollen Stärke, einer Wirksamkeit jenseits körperlicher Grenzen. Je tiefer ihr aufgeregtes Schreiten sie in diese Empfindung hineinführte, desto lebhafter entstand ein Gewirr tiefster Töne, brennendster Farben, grellster Gedankenstücke, jähester Stimmungen in ihr, die sich in blinder Inbrunst ruhelos durcheinanderschlangen.
Alles Stärkste, Hingebende, Heilige und Reine lag darin und rann durch die Luft, die ihr Kleid um sie aufwühlte, zwecklos aus ihr hinaus, ohne wiederzukehren. Und in dieser Lücke ihres Daseins, durch das sich alles verlor, wohnte dann das Saugen eines Verlangens, das so qualvoll war, weil noch keine Richtung es abgeschwächt hatte. So kam sie zu der Überzeugung, daß sie doch ganz hilflos und umsonst lebe. In heißem Pochen gab ihr Herz diesem Gedanken recht, daß sie im Schrecken stillstand und mit fragendem Blick den Flur hinsah. Die weite, kahle Stille erbarmte sich ihrer nicht, sondern bestätigte mit herzloser Ruhe diese Befürchtung.
Beizende Thränen erfüllten endlich Leonores Blick, die so tief erschüttert war, als hätte jemand mit tausend guten Gründen die Unnötigkeit ihres Lebens bewiesen.
„Ach du mein eenziger Gott, wo sol ich denn hin! — Ich kann doch nischt derfier! — Warum geht mir’s so?“ Dann eilte sie in den großen Garten und wandelte unter den stillen Bäumen hin und her, durch deren herbstlichtere Kronen der kühl-blaue Himmel den Drang ihrer fernsten Seele beruhigte.
Bei dieser Gelegenheit kam Griebel auch manchmal in den Garten. Während sie unter den Bäumen wandelte, kroch er umher, trug dürre Ästchen zusammen, schnitt da und dort ein Wasserreis ab, band ein gelockertes Bäumchen fester, um sich dann ganz unvermittelt an sein Weib zu wenden:
„Lorla! ha, gelt, scheen Wetter, wås? — Nu, ja, ja, mr hå‘ns auch schon andersch gehåt. ‘s is ebenste: bal’e so, bal’e so, nach, met em Worte: Herbst. Dås heest eben, månchmål bloßig.“
So oder ähnlich redete er, ohne innere Teilnahme. Zu Anfang seiner Worte richtete er sich wohl wie zu etwas Bedeutsamen auf. Die letzten Worte aber streute er, teils gemummelt, teils unnötig schreiend, schon wieder so nebenher zwischen sein Gebastel und Umherstöbern. Leonore ließ ihn lächelnd gewähren. — Als er einmal neben sie trat und, gleichen Schritt haltend mit ihr umherwandeln wollte, gab sie sich anfangs den Anschein, als sehe sie es nicht. Dann aber wandte sie sich, stehen bleibend, zu ihm und maß ihn verwundert:
„Ist dås dein Ernst?“
„Ja — du lieber Gott, Ernst? — Wie dn? — Ernst, nee, zu mei’m Spaße mehr.“
„Du willst sprechen zur Freude. Macht dr so was wirklich Freude, Joseph?“
Eine frohe Überraschung machte Leonore herzlich.
„Ach, nu freilich, een-, zweemål um a Gårta rum hal‘ ich‘s aus, drnach is de Freede aus. Denn sieh’ch ein Mån, mach kee biese Gesichte —dås is wås andersch, wie Wenterloda und scheen glåtter Kåmmgarn, es is. . .“
Ärgerlich unterbrach Leonore seine langstielige Beweisführung.
„Ach nu, laß, Jesses Maria, laß doch, wenn dir’s keine Freude macht! Wer zwingt dich denn? — Ich nehm dirsch nicht ibel. Vor mir geh und mach du weiter eim Garten rum.“
Der Doktor hatte ihm neulich den Rat erteilt, ihr allen Willen zu lassen, daß sie in der begonnenen Beruhigung ihrer Nerven erstarke. Daran dachte er und begann sogleich gehorsam seine alte Beschäftigung wieder, da seine Unterhaltung nicht ihren Beifall gefunden hatte.
Leonore schien wirklich durch den Stumpfsinn ihres Mannes kaum berührt. Sie schritt am anderen Ende des Gartens, schwebend, wie hingezogen von dem durchsichtigen Licht, das sie umspielte und sie trank die schöne Stille der fruchtbunten, herbstlichen Weiten hastiger, denn das Betragen ihres Mannes hatte das saugende Verlangen stärker gemacht, das in der Lücke ihres Daseins wohnte.
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Auf einem Spaziergange mit СКАЧАТЬ