Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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Leonore kniete wieder im Bett wie immer, die Arme steif aufgestützt. Ihr Auge blitzte und ihr Atem ging heiß und scharf. Es war eine zehrende Wollust in ihr, unter der sie litt. Gar zu gern hätte sie mit ihrem Manne gerungen. Aber er ging w i e d e r fort mit seinen langen, leisen Schritten.
„Hm! — hm!!“
Ihr Kopf sank auf die Brust und lange sah sie mit starrem Auge vor sich hin. Sie bohrte ihr ganzes Wesen in diesen Blick, der sie nach und nach trunken machte, dumpf, schwer.
Dann bettete sie sich wieder hin und lag still unter der undurchdringlichen Last ihres Lebens.
2
Von Ungeduld gepeinigt sprang sie endlich vom Lager, im Morgengrauen und mitten im Tasten nach Gewißheit.
„Es muß ein Ende gemacht wer’n.“
Womit, das wußte sie nicht, und was werden sollte, war ihr ebenso unklar. Sie gehorchte der Entschiedenheit eines Affektes, und das umspannte sie. Als ihre Füße den Boden berührten, war sie sicher.
Sie fühlte sofort ein springendes Bedürfnis, zu gehen und that in Neugier ein paar entschiedene Schritte.
Nichts behinderte sie dabei. Das Hemd streifte nur schwebend die Haut ihrer Beine, leise, wie ein feines, neckisches Kitzeln und sie machte darum noch ein paar Schritte. Dabei kam ihr ein unbezwingliches Gefühl überlegener Freiheit, eine Lust, die sie verführte, lange, weiche Bewegungen auszuführen, als ob jemand in der Nähe sei, der, verborgen, sie belausche.
Sie bog sich auf die linke Seite; dann schnellte sie ihren Leib in entgegengesetzter Richtung empor, hob sich auf die Zehen, ründete beide Arme über ihrem Haupte, ließ den Oberkörper in Locken vorgleiten, schüttelte, wie von der Hast eines Griffes erschreckt, in harter Ablehnung die Woge ihres blonden Haares, wich mit abwehrend vorgestreckten Armen zurück und stand, einem Weichenden enttäuscht nachstarrend, eine Weile so — gestrafft, mit stockenden Pulsen und aussetzendem Herzschlag. — Dann, mit prickelnd feinen Zuckungen einsetzend, begann vor dem unsichtbaren Zuschauer das Spiel von neuem. Es war ein schreitender Tanz, ein stummer Lockruf und wie das Blut schneller, heißer durch ihren Leib rann, ward die Vorstellung eines Belauschenden zwingender, schloß sich der Kontakt zwischen ihr und dem geheimnisvollen Wesen unmittelbarer.
Das erhitzte sie noch mehr, und schon begann sie leise zu summen und setzte während des Ankleidens den Verkehr mit dem Unbekannten fort.
Durch einen Zwischenzustand hindurch sah sie ihn. Er stand weit, dort, wo in uns die Möglichkeit der Dimension beginnt. Seine Gestalt wuchs aus den einfachsten Regungen der Räumlichkeit, aus Linien, die in allem wiederkehren, so einfach, daß sie ihn überall sah, daß er aus allem blickte. Im Flug, auf den Wellen ihrer leichten Bewegungen, glitt sie vor ihm hin.
Durch die Dämmerung war sie ihm näher, die Undeutlichkeit machte ihn körperlicher. In der zunehmenden Helle zog er sich, immer schemenhafter, zurück. Nur hin und wieder glomm sein Bild auf, zuletzt mit dem zuckend verebbenden Spiel einfacher Linien. Ein weicher, schöner Schimmer an den Grenzen ihrer Seele starrte dem Hinschwindenden bange nach. Dann versank auch dieses, wie das tote Licht, das in durchsichtigen, trockenen Halmen wohnt. Ihr war dabei, als ob sie abblühe, einsinke, erkalte. Die Bewegungen ihres Werbens wurden müder, nüchterner, schwerer.
Nun flog der erste scharfe Strahl über den Dachfirst des gegenüberliegenden Hauses in die Stube.
Erschreckt fuhr sie empor und stampfte ärgerlich mit dem Fuße auf:
„Jesses, so eine Albernheit! Gut, daß’s niemand gesehen hat.“
Ein brummender Laut des Behagens erscholl von dem Bette ihres Mannes her und unterbrach ihren Selbstvorwurf, daß sie betroffen herumfuhr.
Aber Griebel wälzte seinen fetten Leib nur auf die andere Seite. Dann begann er wieder seine belegten, gleichmäßigen Atemzüge. Die ausströmende Luft blähte jedesmal seine Lippen ein wenig, daß die geraden Haare des harten Schnurrbartes sich bürstenartig aufrichteten.
Wie sie auf ihn hinsah, stieg ein scharfer Ärger in ihr auf, etwas wie Mißachtung. Und als Gegensatz woben die Maße ihrer feinsten Fähigkeiten ein Antlitz mit anderen Zügen um sein Gesicht, in schemenhafter Weite und nur erreichbar den Augen ihrer verborgensten Süchte. Aber die verhauchenden Linien seiner Umrisse wurden schärfer und das Bild, das noch eben fließend über dem Haupte Griebels geschwebt hatte, sank über dasselbe hin und ward körperlich: ein bleiches Antlitz mit einem feinen, schmalen Munde. Eine klingende Herbheit lag über ihm, die durch die hohe, weiße Stirn eine stille Weihe erhielt. Über den großen, tiefliegenden Augenäpfeln ruhten weiße Lider mit tausenden tiefblauer Äderchen. Ein ruheloses Prickeln und Zittern lief über ihre feine Haut, daß die langen schwarzen Wimpern fortwährend leise bebten.
Plötzlich gähnte der Tuchmacher laut wie ein Posaunenstoß und hieb im Schlaf mit der flachen rechten Hand auf die Decke.
Leonore schrak auf, daß es ihr kalt über den Rücken lief. Das fremde Bild war fort, und Griebels plumpes, gutes Gesicht mit den feisten, langen Bakken, den versteckten Augen und dem öligen Teint lag regelmäßig prustend in den zerwühlten Kissen.
„Da liegt er, hm, er!! . . . und schläft, haha!“ Mit einem Ruck riß sie sich los und glitt, herrisch aufgerichtet, eine bittere Kühle empfindend, an ihm vorüber zur Thür hinaus.
Allmählich kam der Schwung des Werbetanzes wieder über sie und brachte ihr die tiefinnerliche Sättigung eines Gebetes. Stark gemacht ging sie einher, wie nach einer rätselhaften Rechtsprechung ihres Daseins.
* * *
3
In der Küche dehnt sich die Magd, halbangezogen, herum. Als Leonore rasch hereintritt, fährt sie auf und starrt eine Weile verwundert nach ihr hin. Dann verfällt sie gleichgiltig in ihren alten Trödel.
„Wann denkst de denn, daß mr frihsticken, was?“ fragt Leonore gereizt.
„Sie?“
„Warum ich?“
„Nu . . . åch Maria, haha!“
Und sie dreht sich höhnisch lachend gegen die Wand.
„Ich verbitte mir das, verstehst de, Anna! — Und nu de Hände gerihrt und a wing dalli. Der Herr wird gleich aufstehn.“
Sie verließ die Küche und sah, ob ihr Mann schon auf sei.
Er stand am Waschtisch und wandte seinen großen Kopf mit den verwirrten Haaren herum. Als die Thür aufging, hörte er auf zu sprudeln.
„Na, auch aus den Federn, Langschläfer?“
Damit verschwand sie wieder.
„Lorla! — Du, Lorla! — Of een’n Schlag СКАЧАТЬ