Название: Die beliebtesten Weihnachtsklassiker
Автор: Martin Luther
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027237555
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»Sie sehen, daß ich meinen Paß sehr gut aufgehoben hatte; kein Spitzbube hätte ihn finden können. Ich bitte, sich nun zu überzeugen, daß Sie es wirklich mit den Schülern einer königlichen Bildungsanstalt zu thun haben!«
Als der Beamte sah, in welchem Zustande sich die Legitimation befand, wies er sie mit den freundlichen Worten zurück:
»Oh bitte, bitte, zweifeln Sie doch nicht an meiner Menschenkenntnis, die mir gleich beim ersten Blicke gesagt hat, daß ich es mit geistig hochstehenden und polizeilich unbeanstandeten Personen zu thun habe!«
»Schön!« nickte Carpio. »Wir erkennen Ihren Scharfsinn an und werden jenseits der Grenze an geeigneter Stelle erzählen, daß die Bewohner der österreichischen Länder auf ihre Polizeimacht stolz sein können.«
Indem er den wieder zusammengefalteten Paß in die Westentasche steckte, nickte er dem Gendarm in so gönnerhafter Weise zu, als ob er eine der höchsten Stellen im Wiener Justizministerium bekleide.
Als wir jeder drei Gläser Buttermilch getrunken hatten, wurden wir zum Schankbier avanciert und bekamen dazu Cigarren angeboten, welche der Wirt als zur besten Sorte Österreichs gehörig bezeichnete. Wenn ich mich nicht irre, waren es Virginias, die man zuweilen auch mit dem hochpoetischen Namen »Giftnudeln« zu bezeichnen pflegt. Als Carpio die seinige anbrannte und den lächelnden Ausdruck bemerkte, mit welchem er dabei von rundumher beobachtet wurde, machte er eine hoheitsvolle Handbewegung und sagte in geringschätzigem Tone:
»Ich will Ihren Kaiserstaaten gewiß nicht zu nahe treten, aber was Cigarren betrifft, so sind wir Ihnen in jeder Beziehung über. Diese hier zum Beispiel, welche von vorzüglicher Qualität sein soll, würde mir für den täglichen Gebrauch viel zu schwach sein. Es giebt bei uns eben ganz andere Raucher als hier bei Ihnen, meine Herren!«
Leider aber ließ er seine »Nudel« so oft ausgehen, daß er mit den Zündhölzern immer zwischen ihr und dem Asbestgläschen unterwegs war – es stand nämlich ein sogenanntes Tunkfeuerzeug auf dem Tische. Da ihm dabei der Geruch des Schwefels so oft in die Nase fuhr, zog er, ohne daß ich weiter darauf achtete, ein Papier aus der Tasche, zerriß es in lange, schmale Streifen, um Fidibus aus ihnen zu machen, und holte sich nun mit deren Hilfe das zum Anbrennen nötige Feuer von der in seiner Nähe qualmenden Öllampe. Damals gab es bekanntlich weder Gas-noch gar elektrisches Licht.
Trotz dieser immerwährenden Unterbrechungen war er, als ich die erste Cigarre geraucht hatte, schon mit seiner zweiten fertig. Man bot uns neue an, und als ich da für uns beide ablehnte, schlug Carpio diese Anmaßung in empörtem Tone zurück:
»Mische dich nicht in meine Angelegenheiten, Sappho! Eine Mondscheinnatur, wie die deinige ist, kann freilich nichts vertragen; ich aber bin aus Stahl und Stein gebaut und möchte die Cigarre kennen lernen, die meine Konstitution erschüttern könnte!«
»So ist es recht!« stimmte Franzl bei. »Ein guter Student muß ausgepicht und gegen Nikotin und Spiritus unempfindlich sein. Nummus ubi loquitur, Tullius ipse tacet. Nehmen Sie also immer noch eine!«
Und der Busenfreund nahm noch eine und hatte sie noch nicht aufgeraucht, als seine Fidibus zu Ende waren. Ich sah, daß er, wie ein Orientale sich ausgedrückt hätte, die Morgenröte seines Angesichts verlor, sagte aber nichts, weil ich ihn nicht beleidigen wollte.
Dann brachte die Wirtin das Abendessen herein. Es bestand in einer mächtigen Schüssel Fisolen und einer ebenso großen Schüssel geräuchertem Schweinefleisch. Beim Anblicke der großen, appetitlichen Fleischstücke lief mir, wie es später dem persischen Schah in London ergangen sein soll, das »allerhöchste Wasser seiner Majestät« im Munde zusammen; den Busenfreund aber schien die Lukullität dieses Nachtmahls kalt zu lassen; wenigstens lag, während meine Augen höchst wahrscheinlich vor Freude leuchteten, in den seinen ein entsagungsvoll nach innen gerichteter Blick und in seinen wehmutsvoll zusammengezogenen Mundwinkeln der Ausdruck jener schmerzlichen Resignation, mit welcher ein sonst sehr vernünftiger Bettler einst behauptet haben soll, daß es ihm niemals einfallen werde, einen Hundertthalerschein anzunehmen.
Wenn man bedenkt, daß zu diesen Fisolen und zu diesem Fleische nicht Bier, sondern Wein getrunken wurde, so wird man mir glauben, daß ich mich nicht allzu sehr nötigen ließ. Mein guter Carpio aber wollte, wie Franzl sich auszudrücken beliebte, »gar nicht anbeißen« und erklärte schließlich, als er sich durch teilnahmsvolle Fragen und Zusprüche in die Enge getrieben sah, daß er leider heute mittag zuviel gespeist und infolgedessen jetzt noch gar keinen Appetit habe. Dabei richtete er sein Auge mit der stummen Bitte um Verschwiegenheit auf mich; ich gewährte sie ihm im stillen, wurde aber dafür von ihm mit dem grassesten Undank belohnt, denn als man ihn darauf aufmerksam machte, daß doch ich nicht so ganz appetitlos sei, antwortete er wie aus einer Wolke der Erhabenheit herab:
»Es sind nicht alle Menschen gleich besaitet. Während der eine den Genüssen des Geistes und des Gemütes den Vorzug giebt, liebt es der andere, in materiellen Dingen zu schwelgen und schreckt am Ende sogar nicht davor zurück, seine Seele in Fisolen und Selchfleisch zu versenken. Weiter brauche ich wohl nichts zu sagen; Sie wissen ja: de gustibus non est disputandum, wie der Lateiner sagt.«
»Ja, ja,« nickte der Wirt, erfreut über die Gelegenheit, wieder einen Beweis seines Wissens geben zu können. »Es freut mich natürlich riesig, daß es Ihrem Kollegen so vortrefflich schmeckt, doch weiß auch ich die Vorzüge des Geistes zu schätzen und sage mit den Gelehrten des Altertums: Omne nimium nocet.«
O Franzl, Franzl, wüßtest du, was du mir soeben gesagt hast! So dachte ich, aß natürlich aber trotzdem ruhig weiter, denn ich hatte mich nun einmal so tief in das Materielle versenkt, daß man mir eine schnelle Umkehr aus dieser geistigen Verfisolung nicht zutrauen durfte. All mein psychisches Können und Wollen war, wie ich zu meiner Schande gestehen muß, in diesem Augenblicke schon so verlottert, daß ich, wenn ich überhaupt beim Essen etwas sagte, schon längst nicht mehr in Reimen sprach, kann aber zu meiner Ehrenrettung den sehr moralischen Grund hinzufügen, daß ich den Wert des delikaten Geselchten weder durch trockene Jamben und Trochäen noch durch ungeräucherte Amphibrachen und Daktylen unvorteilhaft beeinflussen wollte.
Die Stube war bis zum Essen voller Gäste gewesen; nun ich mich aber mit solcher Schweigsamkeit den beiden Schüsseln widmete und mein Busenfreund ebenso still in sein geistiges oder, was wahrscheinlicher war, in sein körperliches Innere hinunter stieg, stockte die Unterhaltung, und der Fleiß, mit welchem wir in diesen Richtungen thätig waren, legte die Vermutung, daß wir so bald nicht wieder genießbar sein würden, in einer Weise nahe, daß sich einer nach dem andern entfernte, um zu Hause dasselbe zu thun, was wir hier thaten, nämlich essen.
So kam es, daß wir noch vor Beendigung des Abendmahles mit den Wirtsleuten allein waren, doch nicht lange, denn es stellten sich neue Gäste ein, welche mein Interesse sofort in vollstem Maße in Anspruch nahmen.
Es war ein alter Mann mit einer jüngeren Frau und einem vielleicht dreizehn Jahre alten Knaben. Sie mußten arm, sehr arm sein, wie ihre Kleidung bewies, welche keinen Schutz gegen die Kälte des Winters bieten konnte. Der weißhaarige, tief gebückte Alte kam mit wankenden Schritten herein und ließ sich vor Ermüdung gleich auf den nächsten Stuhl niederfallen. Da schloß er, ohne uns zu beachten, die tiefliegenden Augen und holte in einer Weise laut und rasselnd Atem, daß ich glaubte, er müsse vollends zusammenbrechen. Der Knabe legte liebevoll und besorgt den Arm um seine Schulter und streichelte ihm mit der andern Hand die zum Erschrecken hagere Wange. Beide hatten, der eine vor Ermüdung und der andere aus kindlicher Unkenntnis, keinen Gruß gesagt. Die Frau aber grüßte, legte das Bündel, welches sie trug, neben dem Alten nieder, faltete die Hände und fragte in flehendem Tone:
»Haben СКАЧАТЬ