Название: Die Nackten und die Schönen
Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711727010
isbn:
»Delilah, hier ist Samson«, meldet sich Gärig mit seinem Codewort. »Zuerst mein Kompliment. Sie haben phantastisch ausgesehen, gestern abend in der Lipizzaner-Bar. Ich muß Sie unbedingt sprechen, hab’ einen interessanten Vorschlag für Sie. Ich versuche es in einer halben Stunde noch einmal. Sonst können Sie mich bis morgen auch noch im ›Frankfurter Hof‹ erreichen. Danke. Ende.« Der Produzent geht zu Gremlitzka an den Tisch zurück. »Entweder ist sie beim Coiffeur, oder sie pennt noch«, berichtet er. »Ich probier’s später noch einmal.«
Kurz vor elf Uhr klappt es. »Delilah«, begrüßt der Anrufer Evamarie Dutscheweit, »hier ist Samson.«
»Ach ja«, entgegnet die Kurzzeitgefährtin. Vermutlich hat sie ihn an der Stimme erkannt oder benutzt für jeden ihrer Kandidaten ein eigenes Codewort.
»Erinnern Sie sich an meinen Begleiter von gestern?« fährt Gärig fort. »Er ist Geschäftsführer und Inhaber des zweitgrößten deutschen Filmverleihs. Es wäre in jedem Fall nützlich für Sie, ihn kennenzulernen.«
»Privat?«
»Privat und geschäftlich«, entgegnet Gärig.
»Sie wissen doch, daß mir eine Filmlaufbahn wenig bietet.«
»Vielleicht war neulich mein Angebot zu schwach auf der Brust«, versetzt der Produzent schnell. »Wenn ein so großer Filmverleih auf Sie scharf ist, winken Ihnen natürlich ganz andere Summen.«
»Ehrlich gesagt, habe ich trotzdem kein übertriebenes Interesse.«
»Hören Sie sich trotzdem meinen Geschäftspartner einmal an – ganz unverbindlich natürlich«, entgegnet Gärig. »Er ist enorm einflußreich auf vielen Gebieten, und solche Protektoren kann schließlich jeder brauchen.«
»Na ja«, entgegnet Delilah, die Königin der Diskretion. »Ich bin ausgebucht wie ein Generaldirektor. Außerdem fliege ich heute nachmittag nach Paris.«
»Wenigstens zwanzig Minuten, Delilah«, drängt der Filmmann. »Bitte machen Sie es möglich – tun Sie mir den persönlichen Gefallen.«
»Zehn Minuten«, entschließt sie sich. »Punkt fünfzehn Uhr. Genau zehn Minuten später kommt das Taxi, das mich zum Flughafen bringt – Ihr Freund muß sich kurz fassen. Sagen Sie ihm bitta.« ihm das bitte.«
»Danke und guten Flug.« Gärig legt auf und macht Gremlitzka sprungbereit.
Mit dem Wagen ist es von Frankfurt nach Wiesbaden nur ein Katzensprung, aber man muß mit Staus rechnen; der Traumfabrikant hat die Zeit gleich mit eingeplant. Die Freiwillige Filmselbstkontrolle tagt ein paar Kilometer außerhalb der hessischen Landeshauptstadt in einem idyllischen Schloß, das ganz im Dienst der Flimmerkunst steht. Keiner der fast fünfhundert Filme im Jahr, auch kein ausländischer, darf in der Bundesrepublik öffentlich vorgeführt werden, wenn er die Prüfung auf Sex und Sünden nicht bestanden hat.
Es ist eine Zensur, wenn auch eine freiwillige. Die Mitglieder des Kontrollgremiums, unter ihnen natürlich auch Interessenvertreter der Filmindustrie, setzen sich nach dem üblichen Proporz zusammen. Vorsitzender ist ein evangelischer Pfarrer und Amateurcineast, der sich abwechselnd gegen den Vorwurf verteidigen muß, er leiste durch zu liberale Handhabung der Bestimmungen der Unmoral Vorschub oder er behindere als Berufsmoralist die freie Entfaltung der Filmkunst. Wie er auch entscheidet, es ist falsch, wenigstens nach Meinung der unterliegenden Partei.
Trotzdem stellt ein eigentlich Ohnmächtiger eine gewaltige Macht dar. Im Vorjahr zum Beispiel schrieb er 6483 Filmtheaterbesitzern, die über 2,7 Millionen Sitzplätze verfügen, vor, was sie spielen, und 818 Millionen Kinobesuchern – vielen also mehrmals –, was sie sehen durften. Ob Filme »jugendfrei« eingestuft werden oder das Prädikat »besonders wertvoll« erhalten, hat erhebliche kommerzielle wie steuerliche Auswirkungen.
Gärig hat Wiesbaden erreicht und fährt durch eine lange Allee nach Biebrich. Als er die Schloßeinfahrt passiert, sieht er vor dem Eingang seinen Hausautor Nurell mit betretenem Gesicht stehen. »Was ist denn los?« fährt er ihn an. »Warum sind Sie nicht in der Vorführung?«
»Verschoben auf vierzehn Uhr.«
»Warum?«
»Weil Schluckesaft nicht da war –«
»So stiehlt man uns die Zeit«, tobt Gärig. »Und wo ist der Scheißkerl jetzt?«
»Tot«, erwidert der verstörte Papierdramatiker, noch immer überrollt von einem echten Schicksal.
»Was sagen Sie da?« tönt Gärig erschrocken. »Unfall?« Er faßt sich wieder.
»So könnte man es nennen«, antwortet Nurell, der eigentlich Nuller heißt, doch mit so einem Namen in der Zelluloidbranche nicht glänzen kann. »Er hatte darum gebeten, bei der Vorführung von ›Liebe am Lago‹ dabei zu sein. Als Schluckesaft nicht erschienen war, erklärte sich der Vorsitzende bereit, die Vorführung um eine halbe Stunde zu verschieben, obwohl das Gremium zeitlich ziemlich im Druck ist. Er zog dann einen anderen Streifen vor, und ich fuhr ins Hotel, um Schluckesaft aufzustöbern.« Er unterbricht sich und schüttelt den Kopf, sein Gesicht verdüstert sich. »Als ich ankam, wurde er gerade hinausgetragen. In einer Blechwanne. Er ist beim Zähneputzen im Badezimmer einfach umgefallen. Herzinfarkt. Aus. Sense. Amen –«
»So eine verdammte Scheiße«, spricht Gärig einen ordinären Nachruf auf seinen Vielzweckdramaturgen. »So mußte es ja eines Tages kommen. Der Mann hat einfach zu schnell gelebt: zu viel Whisky, zu viele Zigaretten, zu üppiges Essen und Weiber am laufenden Band. Und zu Hause ständiger Krach mit seiner verbitterten Alten.«
»Das Schlimmste kommt noch«, berichtet Nurell weiter. »Die Polizei vernahm Gerda Forbes, unser Nachwuchs-Starlet. Schluckesaft hat gestern abend mit ihr geflirtet und sie dann in sein Hotel abgeschleppt. Dabei hat er sich übernommen.«
»Quatsch, diese Schnepfe ist doch im Bett steif wie ein Bügelbrett.« Gärig muß es ja wissen, schließlich hat er Gerda entdeckt, eine aus der riesigen Schar der Nackten und der Schönen, die ganz groß beim Film herauskommen wollen und häufig nicht auf der vertikalen, sondern auf der horizontalen Leinwand landen. »Haben Sie die Witwe verständigt?« fragt er dann.
»Das hat die Polizei übernommen«, versetzt Nurell kleinlaut.
»Tun Sie es gefälligst selbst«, fordert ihn Gärig auf. »Es ist persönlicher. Und kondolieren Sie Frau Schluckesaft in unser aller Namen.«
Nurell zögert noch.
»Los!« faucht ihn der Produzent an. »Worauf warten Sie noch?«
Schluckesaft wohnte, wie die meisten AUWAG-Leute, in Berlin, wo die Firma – sie verfügt in München noch über einen Zweitsitz – sich aus steuerlichen Gründen niedergelassen hat. Der Hausautor muß seine Kondolenzbeteuerungen telefonisch übermitteln.
»Ausgerechnet Gerda Forbes«, sagt Gärig später zu Dr. Kupski. Aufgebracht droht er: »Ich schmeiß’ diese Schlampe raus!«
»Das würde ich nicht tun, Gärig«, entgegnet der Syndikus. »Erstens redet sie dann schlecht über uns, und sie kennt ja den einen oder anderen recht gut.« Der Spott verformt СКАЧАТЬ