Название: Die Nackten und die Schönen
Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711727010
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Der Feinschmeckertempel ist klein, intim und sündteuer. In der Regel wird man nur eingelassen, wenn man oft schon Tage vorher einen Platz reservieren ließ. Aber ein Mann wie Gärig hat fast überall ein Passepartout. Immer wenn die Saga von der Auferstehung aus Trümmern und Schutt beschworen wird, steht der Selfmademan mit dem Siegerlächeln, dem Übergewicht und der Gewußt-wie-Pfiffigkeit Modell. Da seine Hofberichterstatter immer wieder den geschönten Lebensweg eines Karrieristen, der es in zwölf Jahren von Null auf viele Millionen gebracht hat, aufwärmen, ist der Produzent fast so bekannt wie seine Filmstars.
Er erhält einen kleinen Vorzugstisch in einer Nische.
Der Ober entfernt das Schild »Reserviert« und überreicht mit Grandezza die Speisekarte.
»Ich muß noch ein lästiges Telefongespräch hinter mich bringen«, sagt der Vorzugsgast und erhebt sich. »Erst wenn ich das erledigt habe, kann ich wirklich mit Genuß tafeln.« Er betritt die wattierte Kabine und übt sich in Geduld.
Es gibt noch keinen Selbstwählverkehr in die frühere Reichshauptstadt. Obwohl Gärig die Verbindung als dringend anmeldet, eröffnet ihm die Telefonistin eine Wartezeit von mindestens zwanzig Minuten. Er geht an seinen Tisch zurück, nimmt ein Vorgericht, liest dann die »Frankfurter Allgemeine« und stößt in der Feuilletonspalte auf die Kolumne Fred Schussers, der bereits eine Vorbesprechung von »Liebe am Lago« bringt.
»Wer sich von diesem Filmehen etwas verspricht, ist selbst daran schuld«, schreibt der Besserwisser. »Es ist Schund mit Schmalz, sentimentaler Kitsch, garniert mit den Nackten und den Schönen. AUWAG-Helden straucheln, aber sie stürzen nie. Seine Patienten durchleiden die schlimmsten Krankheiten, aber wenn die selbstlosen Weißkittel mit den Gesichtern von Dieter Borsche, O. W. Fischer, Hans Holt und Willy Birgel gegen den Tod antreten, bleiben sie am Ende immer siegreich. August Walter Gärig ist freilich nicht der einzige Schmarrenfabrikant, der sich geschmacklos und zynisch an den Krankheiten jeglicher Art gesund stößt.«
Mit angewidertem Gesicht legt Gärig die FAZ beiseite und überlegt einmal mehr, wie er dem Verhaßten seine Bosheiten heimzahlen könnte. »Diese Kritikaster sind doch nur dazu da«, hatte er ihm bei der letzten Premiere, umgeben von vielen Zeugen, ins Gesicht gesagt, »um bei unseren Festen die kaltwarmen Büffets leerzufressen wie Heuschrecken die Wüste Gobi.«
Er wird an das Telefon gerufen. Die AUWAG-Zentrale meldet sich, dann bricht die Verbindung wieder zusammen. Er hält in der Kabine aus. Endlich hat er den tüchtigen Molitor an der Strippe.
»Geht’s gut?« fragt Gärig und kommt sofort zur Sache: »Sagen Sie mal, mein Lieber, mit wieviel Barbestand haben Sie gestern Ihre Handkasse abgeschlossen?«
»Ziemlich viel«, erwidert der Mann mit der Prokura. »Ich sag’s Ihnen gleich genau. Sekunde bitte.«
Weil Komparsen und Kleindarsteller auf Tagesgage stehen und noch am Drehtag ausbezahlt werden, verwahren die Produktionen verhältnismäßig hohe Barmittel in ihren Kassenschränken. Film ist ein heißes Geschäft; oft gilt es, einem Konkurrenten einen Stoff im letzten Moment wegzukaufen, dem Rivalen einen Star abzujagen und dabei seinem Agenten etwas zuzuschieben, Optionen aller Art zu erwerben. Kintopp verlangt bündige Entscheidungen, bei denen es mehr als in anderen Branchen heißt: Bargeld lacht. Da manche Firmen finanziell einen schlechten Ruf haben, neigen die Partner dazu, Schecks und Wechsel mit spitzen Fingern anzufassen. Obwohl die AUWAG liquid ist, hatte es zu den Tricks des gerissenen Schluckesaft gehört, im rechten Moment enorme Summen bar auf den Tisch zu legen.
»Entschuldigung, Herr Gärig«, meldet sich Molitor wieder. »Meine Sekretärin ist bei Tisch – ich hab’ mich nicht gleich zurechtgefunden. Unser gestriger Abschluß belief sich auf einen Überschuß von zweiundsiebzigtausendeinhundertdreißig Mark und siebenundsechzig Pfennig.«
»So genau wollte ich es gar nicht wissen«, entgegnet der Produzent jovial. »Nun hören Sie bitte gut zu, Rothschild: Sie müssen mir zuliebe eine Umbuchung vornehmen. Ich brauche dringend unter dem Datum von gestern siebzigtausend Mark. Kriegen Sie das noch hin?«
»Ja, schon –«, erwidert der Prokurist, ein Stück Redlichkeit, das sich selbst der gerissene Gärig leisten muß, gedehnt. »Aber ich brauche das Geld doch heute.«
»Dann schicken Sie einen Boten zur Bank und lassen Sie es abholen«, ordnet Gärig an. »Es geht nicht um das Geld, sondern um das Datum von gestern. Ich erkläre Ihnen das in München und zeichne Ihnen dann die Quittung ab. Ich kann mich auf Sie verlassen, Meister Molitor?«
»Natürlich, Herr Gärig«, versichert der Finanzchef, besorgt, doch entgegenkommend.
Gärig wischt sich den Schweiß von seinem glänzenden Gesicht. Siebzigtausend Mark Schwarzgeld, am Finanzamt vorbeigeschleust und unter die Produktionskosten gemogelt, sind auch für ihn eine stolze Nebeneinnahme. Er wird die Summe zu Lebzeiten Schluckesafts quittieren und nach seinem Tod kassieren, denn als Absicherung für die oft verwegenen Transaktionen des Verstorbenen hatte er sich von ihm sicherheitshalber Blankounterschriften geben lassen. Und ein Toter kann bei der steuerlichen Betriebsprüfung nicht mehr sagen, wie und an wen er von einem Tag auf den anderen siebzigtausend Mark verschwinden ließ.
Das Rezept, Verstorbene zu beerben, stammt noch aus seiner Stabszahlmeisterzeit während des Zweiten Weltkriegs, als er, meistens mit dem Einverständnis der Kompaniechefs oder Bataillonskommandeure, die Zahl der Gefallenen erst Tage später meldete, so daß sie ein paar Tage länger lebten, ohne noch etwas davon zu haben. Der Falschmelder freilich konnte ihre Verpflegung, ihren Wehrsold und die Marketenderwaren mit den Überlebenden der betroffenen Einheit teilen.
Als man über die Schwarzgeschäfte des Stabszahlmeisters Gärig munkelte – er war keineswegs der einzige, der sie betrieb –, wurde er krank und durch ein militärärztliches Gefälligkeitsattest in die Heimat versetzt. Bis zum letzten Tag hatte er in einem Ersatzverpflegungsmagazin dafür gesorgt, daß dem Feind die verbliebenen Bestände an Lebens- und Genußmitteln nicht in die Hände fielen. Böse Zungen sagten hinter der vorgehaltenen Hand, die lastwagenweise auf die Seite gebrachten Güter seien der eigentliche Ursprung der AUWAG gewesen.
Gutgelaunt kehrt Gärig in das Restaurant zurück.
Auf halbem Weg fängt ihn der Ober ab. »Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse«, entschuldigt er sich. »Ich mußte einen Herrn an Ihren Tisch setzen, der schon vor zwei Tagen vorbestellt hatte.«
»Schon gut«, entgegnet Gärig entgegenkommend. »Ich hab’ doch Verständnis für Ihre Nöte.«
Seine gute Laune kippt, als er sieht, wer der neue Gast ist: ausgerechnet Dr. Fred Schusser. Einen Moment lang sind beide zu perplex, um aufeinander loszugehen.
Gärig nickt seinem Verfolger grimmig zu, als er Platz nimmt. »Ich bin überrascht, Schusser, daß Sie sich ein so teures Restaurant leisten können«, stellt er dann fest.
»Nur heute«, antwortet der Kritiker. »Sie wissen doch, ich bin freier FAZ-Mitarbeiter, und dieses führende Blatt hat heute meinen langen Artikel über Ihr neuestes Meisterwerk gebracht. Schon gelesen?«
»Allerdings, Sie Zeilenschinder.«
»Hoffentlich habe ich Ihnen nicht den Appetit verdorben.«
Gärig gelingt es, seinen Zorn zu unterdrücken. Auf einmal weiß er, wie er den Kritikaster gründlich hereinlegen kann. »Sie sind ein ziemlich fleißiger Bursche, Schusser«, lobt er scheinheilig. »Ich schätze, daß Sie auf mindestens fünfzehnhundert Mark im Monat kommen.«
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