Название: Aufbruch in die Dunkelheit
Автор: Mark Stichler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783948346225
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„Wir wollen hinübergehen. Sicher ist das Essen schon aufgetragen, und wie ich deinen Bruder kenne, sitzt er bereits am Tisch und wartet ungeduldig auf uns.“
„Soll er warten“, erwiderte Ava erbarmungslos.
„Na.“ Mandelbaum runzelte die Stirn. „Sicher will auch er wissen, wie die Besprechung mit Escher gelaufen ist.“
Tatsächlich saß Simon im Esszimmer am Tisch und blätterte in einer Zeitung, als Mandelbaum mit Ava den Raum betrat. Simon warf die Zeitung hin.
„Da seid ihr ja“, rief er lebhaft. „Ich habe schon auf euch gewartet.“
Mandelbaum lächelte.
„Du hattest recht“, flüsterte Ava, gab seinen Arm frei und setzte sich Simon gegenüber.
Von der Küche brachte das Mädchen eine Schale Knishes und einen Krug Wasser herein. Lina war eine kräftige, bleiche junge Frau, fast noch ein Kind, mit widerspenstigem, mausbraunem Haar, das sie schlampig nach hinten gebunden hatte. Sie war die jüngste Tochter einer verarmten Bauernfamilie. Ihre Eltern hatten sie zum Arbeiten in die Stadt geschickt.
Mandelbaum nahm am Kopf der Tafel Platz.
„Und?“, fragte Simon.
„Und?“, gab Mandelbaum zurück. „Sollte das eine Frage sein? Euer Benehmen lässt manchmal wirklich zu wünschen übrig.“ Er nahm ein Knish aus der Schale und goss sich Wasser ein. „Wie läuft es in der Manufaktur? Wird der Auftrag für Frankfurt diese Woche noch fertig?“
„Ich denke schon.“ Auch Simon griff zu. Er legte seiner Schwester ein Knish auf den Teller, dann sich selbst. „Wenn nicht, müssen wir am Samstag die Schicht verlängern. Aber ich glaube, wir schaffen es ohne Überstunden.“
„Mhm.“
Einen Augenblick herrschte Ruhe.
„Ich wollte eigentlich wissen, wie es bei Escher im Rathaus war“, sagte Simon dann.
„Ich auch“, rief Ava ungeduldig.
Mandelbaum verzog unwillig den Mund. Das Gespräch hatte bei ihm einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen. Es war ihm klar, dass Escher nicht wirklich über die Steuerreform mit ihm sprechen wollte. Es ging ihm um seine Aufträge. Aber die Art und Weise, wie er es anging, erregte Mandelbaums Besorgnis. Er wollte nicht in dieses System eingebunden werden, das Escher ihm indirekt angeboten hatte. Sein Vorschlag, die Steuern für die Manufaktur zu erleichtern, war wahrscheinlich noch im Rahmen der Legalität. Aber es war auch nicht ganz sauber, nicht fair anderen gegenüber, und er erhoffte sich dadurch Vorteile. Jedenfalls nahm Mandelbaum das an … Seine Sorge lief aber auf etwas anderes hinaus, das er sich nicht richtig erklären konnte. Es war mehr ein Gefühl, dass etwas nicht richtig lief und Escher sich möglicherweise auch anderer Mittel bedienen könnte.
„Es war nichts“, sagte er. „Ganz belanglos.“
In kurzen Worten schilderte er das Gespräch mit Escher.
„Und er hat nach euch beiden gefragt“, fügte er abschließend beiläufig hinzu.
„Hat er nicht versucht, einen neuen Vertrag auszuhandeln?“, fragte Simon erstaunt, ohne auf die letzte Bemerkung seines Vaters einzugehen.
„Nicht direkt“, erwiderte Mandelbaum. „Aber ich hatte schon das Gefühl, als sei er daran interessiert.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin mit dem neuen Lieferanten bis jetzt sehr zufrieden. Es gibt keinen Grund, wieder mit Escher zusammenzuarbeiten …“
„… außer um des lieben Friedens willen“, ergänzte Simon.
„Es ist nur ein Geschäft.“ Mandelbaum zuckte mit den Schultern. „Escher hatte die Preise schon wieder erhöht. Und zwar deutlich. Es ist mein gutes Recht, mich nach einem besseren Angebot umzusehen.“
„Hast du ihm von der Hochzeit erzählt?“, fragte Ava dazwischen. Sie war ein bisschen rot geworden.
Mandelbaum warf ihr einen erstaunten Blick zu.
„Ja, habe ich“, sagte er. „Warum fragst du?“
„Nur so.“ Verlegen blickte sie vor sich auf den Teller.
„Er hat sich auch nach deiner Tante erkundigt.“
Das Mädchen kam aus der Küche und brachte Fisch und Gemüse herein.
„Es geht ihr schlechter“, sagte Ava traurig. „Heute Nachmittag kommt der Arzt, um nach ihr zu sehen. Sie hat viel geschlafen. Aber es hilft ihr nicht. Sie wird einfach immer schwächer.“
„Ich besuche sie nachher.“ Mandelbaum wandte sich an das Mädchen. „Bekommt sie von dem Eintopf?“
„Ich habe ihr gerade eben welchen gebracht“, murmelte Lina. „Aber sie wollte nichts essen.“
Mandelbaum schüttelte besorgt den Kopf.
„Sie muss“, erwiderte er bestimmt. „Ich rede mit ihr.“
„Wir können doch …“ Ava zögerte. „Wir können doch am Freitag trotzdem unsere Gäste empfangen, oder, Vater?“
„Ach, ja. Bitte“, rief Simon, bevor Mandelbaum etwas sagen konnte. „Es ist so wenig los in dieser Stadt. Und es sind doch nur ein paar Leute.“
„Ich weiß nicht“, sagte Mandelbaum unschlüssig. „Man wird uns mangelnde Pietät vorwerfen. ‚Seht nur die Mandelbaums‘, werden sie sagen. ‚Die Schwester liegt todkrank im Bett und sie feiern.‘ Ich kenne doch die Leute …“
„Es ist mir völlig gleichgültig, was die Leute sagen“, ereiferte sich Simon. „Es sind doch nur ein paar Freunde. Junge Leute aus angesehenen Familien. Das ist sicher nicht schlecht fürs Geschäft. Und mit ein paar von ihnen kann man sich wenigstens ein bisschen unterhalten. Über Literatur … Politik … Das ist wirklich selten hier.“
„Literatur … Politik“, wiederholte Mandelbaum verächtlich. „Als ob es nichts Wichtigeres gäbe.“
„Was sollte es Wichtigeres geben als Politik?“, rief Simon.
„Ja, ja, ich weiß schon …“ Mandelbaum winkte ab. Die Gespräche mit seinen Kindern über dieses Thema liefen immer gleich ab. Simons dunkle Augen begannen zu funkeln, sobald das Gespräch auf Politik kam. Er wollte debattieren, argumentieren, streiten … Mandelbaum wurde durch ihn an seine eigene Jugend erinnert, als auch er sich von der Politik viel versprochen hatte. Damals war es nicht beim Debattieren geblieben. Aber gebracht hatte es letzten Endes … so gut wie nichts. Nicht für die Bürger und auch nicht für sein Volk. Seit Langem hatte er es aufgegeben, Erwartungen in die Politik zu legen. Er war nach Waldbrügg zurückgekommen und hielt sich nur an seine Geschäfte. Und er hatte Glück gehabt mit seiner Manufaktur.
„Es sollte euch nicht egal sein, was die Leute sagen“, sagte er. „Ihr dürft nie vergessen, wer ihr seid. Ihr hattet Glück. Wir alle hatten Glück. Aber ich habe auch schon andere Zeiten erlebt. Ihr seid in einer ruhigen Stadt und in einer relativ ruhigen Zeit aufgewachsen. Doch das ändert sich wieder. Und langsam wird es auch hier spürbar. Der Ton in den Zeitungen … Dieser Journalist, СКАЧАТЬ