Название: Elfenzeit 6: Zeiterbe
Автор: Uschi Zietsch
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Elfenzeit
isbn: 9783946773283
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David begann nervös auf der Stelle zu wippen. Wenn selbst eine so allmächtige Frau dem Sterben unterworfen war, war auch der eigene Tod nicht mehr weit.
»Wie können wir helfen?«, fragte Rian nun gerade heraus. »Welche Krankheit plagt Euch?«
David sah Tränen in den Augenwinkeln der Fee glitzern.
»Es geht nicht um mich«, erwiderte Nimue mit brüchiger Stimme. »Es geht um meine Tochter.«
David hob die Brauen und auch seine Schwester wirkte überrumpelt. Seit wann hatte die Dame vom See Nachkommen?
»Sie ist etwas ganz Besonders, müsst ihr wissen«, fuhr Nimue fort. »So zart und filigran wie das Netz des Morgentaus, das sich in der Dämmerung über die Blätter legt und wenige Augenblicke später bereits vergangen ist.«
»Was ist passiert?« Rians Stimme war kaum mehr als ein Wispern.
»Als die Zeit Einzug hielt, fing es an. Als würde sich ein Schatten auf Eloise legen. Wie eine Vorahnung oder tiefe Trübsal, die sich auf ihrem Gemüt niederließ«, berichtete Nimue stockend. »Natürlich habe ich nach dem Grund geforscht, habe alle mir zur Verfügung stehenden Kanäle geöffnet, meine Boten in die Welten ausgesandt, um es zu verstehen, um die Machenschaften dahinter zu durchblicken.«
Sie stöhnte auf, als würde ihr die Erinnerung körperliche Schmerzen bereiten. »Als der Getreue den ersten Stab in einen der Ley-Knoten versenkte, war es, als hätte er einen der Lebensfäden meiner Tochter durchschnitten. Und mit jedem weiteren Knotenpunkt, den die Dunkle Königin für sich gewann, schwanden die Kräfte meiner Tochter. Sie … liegt im Sterben.«
Nimue schluchzte erstickt auf und David war so erschlagen von der Welle an Schmerz, die sie ausstrahlte, dass er einen Schritt zurück wankte.
Abrupt stand die Herrin vom See im nächsten Moment auf, straffte sich und schritt auf die Tür zu. Erst an der Schwelle hielt sie inne. »Folgt mir. Ihr sollt es mit eigenen Augen sehen. Damit ihr es versteht.«
Auch Rian war aufgestanden, wechselte einen Blick mit ihrem Bruder. Gemeinsam kamen sie der Aufforderung nach. Nimue führte sie durch eine weitere Tür in einen schmalen gemauerten Gang, der nach wenigen Metern in eine Treppe mündete. Sie führte bergab. Endlose Stufen wanderten sie tiefer und tiefer. Alle zehn Schritte flammte ein magisches Licht auf, sobald sie sich der kelchförmigen Einfassung näherten. Doch der Abstieg wollte nicht enden. Weiter und weiter wanderten sie die Treppe hinab. Immer geradeaus, ohne ein Ende zu sehen. Nichts als Schwärze vor sich.
David kamen die Legenden und Geschichten, die es über diesen Ort gab, in den Sinn. Dass für Besucher draußen Jahre vergangen waren, während sie selbst glaubten, nur eine Nacht im Schloss verbracht zu haben. Bisher hatte das nur für Menschen gegolten – war das ein Irrtum? Wie lange waren sie schon hier? Wie lange liefern sie bereits Stufe um Stufe hinab?
Sein Magen krampfte sich zusammen. Was, wenn er alles verpasste? Wenn Nadja nicht nur für Tage oder Wochen, sondern für Monate oder gar Jahre in den Fängen des Getreuen blieb? Wenn sie ihr Kind gebar, ohne dass er bei ihr sein konnte?
Jeder weitere Schritt geriet zur Qual. Und gerade, als David glaubte, seine Panik hinausschreien zu müssen, sah er ein Licht am Ende der Treppe. Und ein Ende. Kunstvolle Mosaike umrahmten die hölzerne Pforte. Durch ein kleines Fenster in der Tür fiel Licht in den Gang.
Nimue vollführte eine knappe Handbewegung, um das magische Schloss zu öffnen. Als die Tür aufschwang, mussten David und Rian ihre Augen mit der Hand abschirmen, so weiß und strahlend hell war das Innere des Raums.
David sah sich blinzelnd um. Freistehende Säulen ragten in einen unerreichbar hohen Himmel. So wirkte es zumindest, auch wenn der Prinz nicht den Eindruck hatte, dass sie das Gebäude verlassen hatten. Das grelle Leuchten machte es unmöglich, die Maße des Raums abzuschätzen. Dort, wo die Wände sein mochten, erfassten Davids Augen nichts weiter als endloses Weiß.
Es gab keine Lampen und auch keine Einrichtung. Nur eine Liege in der Mitte. Auf ihr war ein ätherisches Wesen gebettet. Langes, weißblondes Haar, das wie feine Silberfäden wirkte und in seidigem Glanz über die Bettkante hinabwallte. Eine Decke umhüllte den Körper bis hinauf zum Kinn.
Rian war die Erste, die sich aus der Erstarrung löste und zögernd auf das Mädchen zuging. David folgte ihr wie hypnotisiert. Dieses Wesen war weder Mensch noch Fee noch etwas Vergleichbares, das er je erblickt hatte. So zart und zerbrechlich, wie aus Licht geformt und in einen Körper aus Glas gegossen.
»Dies ist Eloise«, sagte Nimue. Sie ging zum Kopfende der Liege, strich ihrer Tochter einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und küsste ihre Stirn. »Das Kostbarste, was es geben kann.«
»Was ist sie?«, fragte Rian so leise, dass David sie kaum verstand.
»Sie ist das Geschenk purer Liebe«, antwortete die Herrin vom See. »Und sie ist Merlins Kind.«
David klappte der Kiefer nach unten. Noch nie hatte er gehört, dass Nimue und Merlin ein Kind gezeugt hatten. Und dazu noch eines, das nach all der Zeit immer noch lebte und aussah, als wäre es kaum älter als sechzehn.
Natürlich erbte ein Spross aus dem Schoß einer machtvollen Fee ebenfalls Feenkräfte. Das eine Mal mehr, das andere Mal weniger. Und bei einem Vater wie Merlin, dessen Herkunft unbekannt war, und von dem man nicht einmal wusste, ob er zu hundert Prozent ein Mensch war, mochte sich die Macht potenzieren. Aber nie hätte David sich vorstellen können, dass solch ein geradezu göttlich wirkendes Wesen aus dieser Verbindung entstanden sein könnte.
Rian schien sich besser im Griff zu haben. Ihr Blick glitt zwar sichtlich bewundernd und staunend über das Antlitz des Geschöpfes, doch dann wandelte sich ihre Miene. Sie hielt die Hände über dem Körper und streckte ihre heilerischen Fühler aus. »Erzählt mir genau, was passiert ist.«
»Ich weiß es nicht zu sagen. Nicht mit Bestimmtheit«, erwiderte Nimue mit zittriger Stimme. Tränen standen in ihren Augen und rannen ihr in silbrigen Spuren die Wangen hinab.
»Es ist, als hätte sich die Welt verkehrt. Als wäre das, was ihr einstmals Kraft gespendet hat, nun wie Gift für sie«, versuchte sie es zu beschreiben.
»Ihr meint die Ley-Energie?«, hakte Rian mit sanfter Stimme nach.
Die Herrin vom See nickte. Tränen tropften auf das Tuch, zerliefen und bildeten flüchtige Schneeflockenmuster auf dem filigran gewebten Stoff.
David fing den Blick seiner Schwester auf und erblickte Ratlosigkeit. Wenn es so war, dass die Kraft der Ley-Linien für Eloise wegen der Besetzung zu Gift geworden waren, dann … war die Lage aussichtslos.
David sah es in den Augen seiner Schwester, dass sie dieselben Schlüsse gezogen hatte und nichts tun konnte. Diese Bitte war unmöglich zu erfüllen.
Trotzdem nahm seine Schwester sich Zeit, tastete die magische Aura ab, berührte mit Nimues Erlaubnis sogar Eloises Gesicht und ihren Körper. Rian versuchte einen Zauber, versuchte es mit Lebensenergie, Reinigungsmagie und Bannbrechern. Doch nichts davon zeigte Wirkung. Nichts davon half.
Schließlich gab sie auf, senkte den Kopf, zog ihre Hände zurück und trat einen Schritt zur Seite. David konnte sehen, wie schwer es seine Zwillingsschwester fiel, ihr Versagen auszusprechen.
»Verzeiht, Hohe Frau«, begann sie zögerlich СКАЧАТЬ