Название: Nebelrache
Автор: Nancy Farmer
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9783732011711
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„Sieh doch!“, rief Jack fassungslos. Im Süden türmten sich jetzt Wolken am Himmel auf. Aus der verschwommenen Schwärze hatten sich nebelartige Fetzen gebildet, die mit solchem Tempo auf sie zurasten, dass Jack sich instinktiv auf den Boden warf und Thorgil mit sich riss. Eine Sekunde später war das Gewitter da.
Aus der vollkommenen Stille war plötzlich ein Orkan geworden, der sie über den Boden schob. Einer der Bienenkörbe kippte um und fiel gegen die Steinmauer. Der Wind heulte so laut, dass Jack ihn nicht überschreien konnte. Auf dem Bauch robbten er und Thorgil auf einen Schafstall zu, der am Feldrand stand. Er konnte ihn nicht sehen, bis ein Blitz alles in weißes Licht tauchte, dicht gefolgt von einem Donnern, das den Boden beben ließ.
„Bei Thor!“, formten Thorgils Lippen im gleißenden Licht. Sie robbten, so schnell sie konnten, und erstarrten jedes Mal, wenn ein Blitz vom Himmel schoss. Bis jetzt regnete es noch nicht. Sie erreichten den Schafstall und quetschten sich zu den drei Mutterschafen, die dieselbe Idee gehabt hatten. Der Wind fauchte über die schützende Steinmauer hinweg, aber auf dem Boden, in einem Haufen feuchter Wolle, fühlte Jack sich beinahe sicher.
„Bei Thor!“, brüllte Thorgil wieder und zeigte nach draußen.
Jack schaute hinaus und sah eine röhrenförmige Wolke vom Himmel herunterhängen. So etwas hatte er noch nie gesehen. Sie brüllte wie tausend wütende Bienen und Jacks Haut kribbelte, als liefen Ameisen darüber. Der Mund der Röhre klaffte auf, und er sah, wie Blitze darin herumwirbelten und Äste und etwas, das aussah wie ein Teil von einem Haus. Dann war es weg.
Die Schafe blökten entsetzt und drängten sich noch dichter zusammen. Jack vergrub sich in ihnen, aber Thorgil versuchte plötzlich, aus dem Schafstall zu kommen. Der Wind schob sie wieder hinein. Sie rappelte sich erneut auf und reckte die Arme zum Himmel. Ihre Stimme war im Heulen des Sturms kaum lauter als das Zirpen einer Grille, aber Jack konnte die Worte trotzdem verstehen: „Nimm mich mit!“
„Geh in Deckung!“, brüllte Jack und warf sich gegen ihre Beine.
„Nein! Nein!“, schrie sie. Er schaffte es, sie umzuwerfen, und sie schlug ihm dafür in den Magen. Er klappte zusammen und japste nach Luft, und sie sprang wieder auf. „Nimm mich mit!“, schrie sie noch einmal. Dann fing es an zu regnen, wahre Eimerladungen voller Wasser, die den Schafstall so schnell volllaufen ließen, dass die Schafe kaum noch Luft bekamen. Ihre Hufe trommelten auf Jack herum, und eines stand sogar auf ihm. Doch dann kippte der Wind es um, und Jack hörte das entsetzte Blöken, als der Sturm das Schaf mit sich riss.
Jack hätte nicht sagen können, wie lang der Regen auf ihn herunterprasselte. Es kam ihm vor, als wären es Stunden. Es wurde plötzlich ganz kalt, und eine Weile hagelte es – dicke Körner, die wehtaten und die Schafe zum Blöken brachten. Danach rauschte wieder der Regen herab, und die ganze Zeit zuckten Blitze vom Himmel und Donner rollte über den Horizont.
Doch irgendwann beruhigte sich der Himmel wieder. Die Blitze wurden seltener und der Donner verzog sich grummelnd nach Norden. Im Süden hatte der Himmel wieder eine wunderschöne blassblaue Farbe.
Jack rappelte sich zögernd auf und musste feststellen, dass rund um ihn herum alles verwüstet war. Jeder Busch war platt gedrückt. Äste vom weit entfernten Wald lagen überall herum, und ein Stück entfernt lag das Schaf, das auf ihm gestanden hatte – tot.
Auch Thorgil lag ausgestreckt im Matsch. Er hatte nicht einmal mitbekommen, dass sie so weit vom Schafstall weggelaufen war! „Oh, Thorgil!“, rief Jack, kletterte über die Mauer und rannte zu ihr. Er hob sie auf seine Knie. „Oh, meine Liebste!“
Ihre Augen waren weit offen, der Blick starr. Aber sie waren nicht glasig wie bei einer Toten. Jack war so erleichtert, dass er sie fest drückte und sich erst dann Sorgen machte, ob sie womöglich eine gebrochene Rippe hatte. „Er wollte mich nicht mitnehmen“, murmelte sie niedergeschlagen.
„Wer wollte dich nicht mitnehmen?“, fragte Jack, der annahm, dass sie fantasierte.
„Er hat meine nutzlose Hand gesehen und gewusst, dass ich nicht länger ein Krieger bin. Er wollte mich trotzdem, aber Odin hat es verboten. Oh, Freya, ich wünschte, ich wäre tot!“ Thorgil begann zu weinen, was Jack noch mehr beunruhigte, als wenn sie angefangen hätte zu fluchen.
„Bist du innendrin verletzt?“, fragte er besorgt.
„Wenn ja, ist es nichts, das der Tod nicht kurieren würde“, antwortete sie mit einem Hauch ihrer alten Schlagfertigkeit. „Auch wenn ich ihn dann trotzdem nie wiedersehe.“
„Wen? Von wem redest du?“ Im Süden kam die Sonne heraus, und über ihnen hatten sich weiße Wolken am Himmel verteilt.
„Olaf Einbraue“, sagte die Schildmaid und seufzte abgrundtief. „Er war in den Wolken, aber er musste mich zurücklassen.“
Der Haselwald
„Wie kann sie Olaf gesehen haben?“, wollte Jack wissen. „Sie hat gesagt, Odin hätte eine wilde Jagd angeführt, aber alles, was ich gesehen habe, waren Wolken und dieses … dieses Ding, das vom Himmel herunterhing.“
„Dieses Ding ist vermutlich eine Windhose gewesen“, erklärte der Barde und warf eine Handvoll trockener Fichtennadeln ins Feuer. Ein angenehmer Duft verbreitete sich. Thorgil schlief auf einem Bett aus getrocknetem Heidekraut. Einem Schlaftrunk des Barden hatten sie es zu verdanken, dass Thorgil jetzt nicht mehr im Schlaf um sich schlug oder sich die eigenen Haare auszureißen versuchte. Es war die längste Stunde in Jacks bisherigem Leben gewesen, sie zum Haus des Barden zurückzuschleppen, ohne dass sie sich etwas antat.
Ihr Haar war im letzten Jahr deutlich gewachsen, und es war erstaunlich sauber. Es hing ihr auch nicht mehr zottelig ins Gesicht wie zu den Zeiten, als man es mit einem Fischmesser in Form gesäbelt hatte. Es war hellgolden, fast wie Sonnenschein auf Schnee. Trotz der blauen Flecken – und Thorgil kannte man eigentlich nie ohne – hatten ihre Gesichtszüge eine Feinheit, die Jack bisher nie bemerkt hatte. Erst jetzt erkannte er, dass sie sich im letzten Jahr verändert hatte, dass sie größer und hübscher geworden war.
Jack wendete sich ab, und seine Wangen glühten vor Verlegenheit. Was machte das für einen Unterschied? Sie war immer noch dieselbe ewig missgelaunte Thorgil, egal, wie sie aussah.
„Ich habe noch nie erlebt, dass eine Windhose solche Verwüstungen anrichtet“, bemerkte der alte Mann und wühlte in einer Truhe herum. „Sie hat eine Schneise in den Wald geschlagen und offenbar auch Gog und Magog mitgerissen.“
„Was?“, fragte Jack entgeistert. Nachdem er nach Hause gerannt war, um nach seinen Eltern zu sehen, hatte Jack den Rest des vergangenen Nachmittags damit verbracht, dem Barden bei der Zubereitung seiner Elixiere zu helfen. Jetzt war es Morgen, und Jack war seit dem Gewitter nicht mehr in der Nähe des Dorfs gewesen.
„Der Sohn des Schmieds hat mir erzählt, dass Gog und Magog verschwunden sind.“
„Vielleicht sind sie weggelaufen“, sagte Jack hastig. Der Gedanke, dass die beiden Männer in den Himmel gesaugt worden waren, war zu schrecklich.
„Ich fürchte, nein. Der Schmied sagt, dass sie gern bei Gewitter draußen gesessen haben. Das waren die einzigen Gelegenheiten, bei denen er sie lächeln gesehen hat, und da sie sonst keine Vergnügungen hatten, wollte er es ihnen nicht verbieten. Was anscheinend ein Fehler war.“
Jack hatte Gog und Magog auch schon während eines Gewitters im Schlamm hocken sehen. Damals schienen СКАЧАТЬ