Название: Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte
Автор: Auerbach Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788726614534
isbn:
Jener erste Fastensonntag war der kummervollste, den Luzian bis dahin noch erlebt hatte, ihm war’s so herrlich erschienen, wenn man feierlich in geschlossenem Zuge dahin wallte, und jetzt schien alles aus Rand und Band zu gehen, aller Zusammenhalt schien zerrissen. Hier zum Erstenmale erfuhr er, was es heisst, die gewohnte Ordnung aufzulösen, wenn nicht Jeder den Gleichschritt an seinem Herzschlage abzunehmen vermag. Müssen wir denn gefesselt sein durch äussere Amtsmacht? flog’s ihn einmal durch den Kopf. Er konnte den verzweiflungsvollen Gedanken nicht ausdenken, denn es galt den Augenblick zu fassen, koste es was es wolle; darum rannte er in allen Adern glühend, hin und her, schlichtete und ermahnte, und darum liess er sich von der Heftigkeit zu solcher Behandlung des Brunnenbasche fortreissen. Es gelang ihm endlich mit Hülfe des Steinmetzen Wendel und des Schmieds Urban, Ruhe und Ernst wiederum zu erwecken, und als der Zug sich nun von dem Rathhause aufmachte, begann der Schlosserkarle mit seiner schönen Stimme ein Lied, bald gesellten sich seine Kameraden zu ihm der Pfarrer schaute verwundert, zum Fenster heraus, als die Wallfahrer singend vorüberzogen.
Der Brunnenbasche war von Jedem, an den er sich anschliessen wollte, fortgestossen worden; jetzt lief er hinterdrein und murmelte vor sich hin: „Laufen die Schaf’ eine Stund weit, um sich mit ein paar Worten abspeisen zu lassen. Der Luzian ist der Leithammel. Könnt’ denn das Vieh nicht einmal einen Sonntag ohne Kirch’ sein? Ich will aber doch mit und sehen was es gibt.“
Als man in der Waldschlucht anlangte, war Luzian vorausgeeilt, von einem Felsen hoch am Wege rief er plötzlich: „Halt!“ Die ganze Schaar stand still und Luzian sprach weiter: „Liebe Brüder und Schwestern! Ich will euch nicht predigen, ich kann’s nicht und es ist hier der Ort nicht, und doch sind oft die besten Christen in den Wald gezogen und haben von dort sich ihre Religion wieder geholt. Ich hab’ jetzt nur Eins zu sagen, ein paar Worte. Wir sind von daheim fort, von der Kirch’, die unsere Voreltern gebaut haben; hier wollen wir schwören, dass wir zusammenhalten und nicht nachgeben, bis wir unsere Kirch’ wieder haben und einen Mann hineinstellen, wie wir ihn haben wollen, wir. Das schwören wir.“ Luzian hielt inne, er erwartete etwas, aber die Meisten wussten nicht, dass sie etwas zu sagen hatten, nur einige Stimmen riefen: „Wir schwören.“ Luzian aber fuhr fort: „Nein, nicht mit Worten, im Herzen muss ein Jeder den Schwur thun. Noch eins, wir kommen jetzt in ein fremdes Dorf, wir wollen zeigen, dass wir eine heilige Sache haben.“ Luzian schien nicht weiter reden zu können, er kniete auf dem Felsen nieder und sprach laut und mit herzerschütterndem Tone das Vaterunser.
Mit Gesang zogen die Wallfahrer in das Nachbardorf ein, als es eben dort einläutete. Nach der Kirche gab es manche harmlose Neckereien zwischen den Althengstfeldern und ihren neuen „Filialisten.“ Während dessen waren der Gemeinderath und Luzian beim Pfarrer, sie baten ihn, einstweilen Taufen, Begräbnisse u. s. w. in ihrem Orte zu übernehmen, da sie entschlossen seien mit ihrem neuen Pfarrer in gar keine Verbindung zu treten und auf ihrem Protest zu beharren. Ihrer Bitte wurde aber nicht willfahrt, da dies nicht anginge, Ermahnungen zum Frieden waren das Einzige, was ihnen geboten wurde.
Zu Hause erfuhr man, dass der Pfarrer nur mit wenigen Kindern und alten Frauen den Gottesdienst gehalten; dennoch aber geschah, was zu vermuthen war. Schon am nächsten Sonntage war der Auszug klein und vereinzelt, es traten dann Fälle ein, wo man den Ortspfarrer nicht umgehen konnte, und Keiner aus der Nachbarschaft wollte taufen und die letzte Oelung geben; der Gemeinderath selber gab endlich nach und trat mit dem Pfarrer in amtlichen Verkehr. So schlief die Geschichte ein, wie tausend andere. Nur in wenigen Männern war der Widerspruch noch wach, und zu diesen gehörte besonders Luzian; er ging dem Pfarrer nie in die Kirche, heute zum Erstenmale hatte er mit ihm am selben Tische gesessen und mit ihm geredet. Noch lag der Protest in letzter Instanz beim Fürsten, und Luzian wollte die Hoffnung nicht aufgeben; heute aber, er wusste nicht wie ihm war, war er sich untreu geworden, hatte sich zu persönlichem Hader hinreissen lassen; er grollte mit sich selber.
Ein alter Volksglaube sagt: wiegt man eine Wiege, in der kein Kind ist, so nimmt man dem Kinde, das man später hineinlegt, die gesunde Ruhe. Ja, unnützes Wiegen ist schädlich, und das gilt noch mehr von dem Schaukeln und Hin- und Herbewegen der Gedanken, in denen kein Leben ruht.
„Was da, Kreuz ist nimmer Trumpf, da gehen der Katz die Haar’ aus,“ mit diesen fast laut gesprochenen Worten riss sich jetzt Luzian aus dem qualvollen Zerren und Wirren seiner Gedanken. Er ging hinaus aufs Feld, um die Verheerung näher zu betrachten. Allerdings war Luzian mit dem Ertrage aller seiner Felder versichert; man würde indess, sehr irren, wenn man glaubte, dass ihm die Verwüstung nicht tief zu Herzen ginge, ja man kann wohl sagen, sein Schmerz war um so inniger, weil er ein uneigennütziger war; ihm war’s als wäre ihm ein lieber Angehöriger entrissen worden, da er diese niedergeworfenen Halme sah.
Der Künstler liebt das Werk, das er geschaffen, es ist aus ihm; die Stimmung dazu, die urplötzliche und die stetig wiederkehrende, die hat er sich nicht gegeben, er verdankt sie demselben Weltgesetze, das Sonnenschein und Thau auf die Saaten schickt. Auch der denkende Landmann hat dasselbe Mitgefühl für das Werk seiner Arbeit, und wehe dem Menschengeschlechte, wenn man ihm diese oft geschmähte ,,Weichherzigkeit“ austreiben könnte, so dass man in der Arbeit nichts weiter sähe, als den Preis und den Lohn, der sich dafür bietet.
Wenn der Boden überall in weiten Rissen klafft und die Pflanzen schmachten, da wird euch schwül und eng, und wenn der Regen niederrauscht, ruft ihr befreit: wie erfrischt ist die Natur! Noch ganz anders der Bauer; er lebt mit seinen Halmen i draussen und kummert für sie, trieft der segnende Regen hernieder, so trinkt er so zu sagen mit jedem Halme und tausend Leben werden in ihm erquickt.
Wie zu einem niedergefallenen Menschen beugte sich jetzt Luzian und hob einige Aehren auf, sein Antlitz erheiterte sich, die Körner waren nothreif, sie waren fester und in ihrer Hülse lockerer als man glaubte; noch war nicht Alles verloren, wenn auch der Schaden gross war.
Durch alle Gewannen schweifte Luzian und fand seine Vermuthung bestätigt. Die Sonne arbeitete mit aller Macht und suchte wie mit Strahlenbanden die Halme aufzurichten, aber ihre Häupter waren zu schwer und in den Staub gedrückt; hier musste die Menschenhand aufhelfen.
As Luzian, eben aus dem Nesselfang kommend, in die Gärten einbog, wurde er mit den Worten begrüsst: „Ah, guten Tag, Herr Hillebrand.“
,,Guten Tag, Herr Oberamtmann,“ erwiderte Luzian, und nach einer kurzen Pause setzte er gegen den begleitenden Pfarrer und Schultheiss hinzu: „Guten Tag, ihr Herren.“
Det Pfarrer nickte dankend.
„Ich habe mir den Schaden angesehen,“ berichtete der Oberamtmann, „der Ihren Ort betroffen hat; das hätten wir auf der letzten landwirthschaftlichen Versammlung nicht gedacht, dass wir sobald die Probe davon haben sollen, was sich bei solchen Gelegenheiten retten lasse. Wie ich höre, sind Sie der Einzige, der in der Hagelversicherung ist.“
„Ja, ich und mein Egidi.“
Luzian hatte doch gewiss das tiefste Kümmerniss über die Fahrlässigkeit der anderen, aber er konnte in diesem Augenblicke nichts davon laut geben; so leutselig auch der Beamte war, so blieb er doch immer der Oberamtmann, dem man auf seine Fragen antworten musste und vor dem kein Gefühl auszukramen ist, wenn man auch das Herz dazu hätte. Ausserdem hatte Luzian, sobald er einem Beamten nahe kam, etwas von der militärisch knappen Weise aus seiner Jugendzeit her. In diesem Augenblicke war es Luzian, der unter sich sah, als fühlte er den stechenden Blick des Pfarrers; er schaute auf, die Blicke Beider begegneten sich und suchten bald wieder ein anderes Ziel.
Man war am Hause Luzians angelangt. Er wollte sich höflich verabschieden, aber der Oberamtmann nöthigte ihn mit in das Wirthshaus, da man dort noch allerlei zu besprechen habe. Luzian willfahrte und am Pfarrhause empfahl sich der Pfarrer. Der Abend neigte sich herein, die Dorfbewohner standen am Wege und grüssten den Amtmann ehrerbietig, es schien ihnen Allen СКАЧАТЬ