Название: Nikomachische Ethik
Автор: Aristoteles
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 4064066388263
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Was die Darlegung betrifft, so muß man zufrieden sein, wenn sie denjenigen Grad von Bestimmtheit erreicht, den der gegebene Stoff zuläßt. Die Genauigkeit darf man nicht bei allen Untersuchungen in gleichem Maße anstreben, so wenig als man das bei den verschiedenen Erzeugnissen der Künste und Handwerke tut8. Das sittlich Gute und das Gerechte, das die Staatswissenschaft untersucht, zeigt solche Gegensätze und solche Unbeständigkeit, daß es scheinen könnte, als ob es nur auf dem Gesetze, nicht auf der Natur beruhte9. Und eine ähnliche Unbeständigkeit haftet auch den verschiedenen Gütern und Vorzügen an, indem viele durch sie zu Schaden kommen. Schon mancher ist wegen seines Reichtums und mancher wegen seines Mutes zugrunde gegangen. So muß man sich denn, wo die Darstellung es mit einem solchen Gegenstande zu tun hat und von solchen Voraussetzungen ausgeht, damit zufrieden geben, die Wahrheit in gröberen Umrissen zu beschreiben. Und ebenso muß man wo nur das häufiger Vorkommende behandelt und vorausgesetzt werden kann, auch nur solches folgern wollen. Ganz ebenso hat aber auch der Hörer die einzelnen Sätze aufzunehmen. Darin zeigt sich der Kenner, daß man in den einzelnen Gebieten je den Grad von Genauigkeit verlangt, den die Natur der Sache zuläßt, und es wäre geradeso verfehlt, wenn man von einem Mathematiker Wahrscheinlichkeitsgründe annehmen, als wenn man von einem Redner in einer Ratsversammlung strenge Beweise fordern wollte.
(1095a) Jeder beurteilt nur dasjenige richtig, was er kennt, und ist darin ein guter Richter; deshalb wird für ein bestimmtes Fach der darin Unterrichtete und schlechthin der in allem Unterrichtete gut urteilen können. Darum ist ein Jüngling kein geeigneter Hörer der Staatswissenschaft. Es fehlt ihm die Erfahrung im praktischen Leben, dem Gegenstande und der Voraussetzung aller politischen Unterweisung. Auch wird er, wenn er den Leidenschaften nachgeht, diesen Unterricht vergeblich und nutzlos hören, da dessen Zweck nicht das Wissen, sondern das Handeln ist. Es macht hier auch keinen Unterschied, ob einer an Alter oder an Charakter der Reife ermangelt. Denn der Mangel hängt nicht von der Zeit ab, sondern kommt daher, daß man der Leidenschaft lebt und nach ihr seine Ziele wählt. Für solche Leute bleibt das Wissen ebenso nutzlos, wie für den Unenthaltsamen, der das Gute will und es doch nicht tut. Wohl aber dürfte für diejenigen, die ihr Begehren und Handeln vernunftgemäß einrichten, diese Wissenschaft von großem Nutzen sein.
So viel stehe als Einleitung über den Hörer, über die Art, wie wir verstanden sein wollen, und über den Gegenstand, den wir zu behandeln haben.
Zweites Kapitel.
Nehmen wir jetzt wieder unser Thema auf und geben wir, da alles Wissen und Wollen nach einem Gute zielt10, an, welches man als das Zielgut der Staatskunst bezeichnen muß, und welches im Gebiete des Handelns das höchste Gut ist. Im Namen stimmen hier wohl die meisten überein: Glückseligkeit11 nennen es die Menge und die feineren Köpfe, und dabei gilt ihnen gut leben und sich gut gehaben12 mit glückselig sein als eins. Was aber die Glückseligkeit sein soll, darüber entzweit man sich, und die Menge erklärt sie ganz anders als die Weisen. Die einen erklären sie für etwas Greifbares und Sichtbares wie Lust, Reichtum und Ehre, andere für etwas anderes, mitunter auch dieselben Leute bald für dies bald für das: der Kranke für Gesundheit, der Notleidende für Reichtum, und wer seine Unwissenheit fühlt, bewundert solche, die große, seine Fassungskraft übersteigende Dinge vortragen. Einige dagegen meinten, daß neben den vielen sichtbaren Gütern ein Gut an sich bestehe, das auch für alle diesseitigen Güter die Ursache ihrer Güte sei.
Alle diese Meinungen zu prüfen dürfte der Mühe nicht verlohnen; es wird genügen, wenn wir uns auf die gangbarsten und diejenigen, die einigermaßen begründet erscheinen, beschränken.
Wir müssen hierbei vor Augen halten, daß ein grosser Unterschied ist zwischen den Erörterungen, die von den Principien ausgehen, und denen, die zu ihnen aufsteigen. Das war ja die Frage, welche auch Plato13 mit Recht aufwarf und untersuchte, ob der Weg von den Principien aus- oder zu ihnen hingehe, ähnlich wie man in der (1095b) Rennbahn von den Preisrichtern nach dem Ziele läuft oder umgekehrt. Man muß also ohne Zweifel mit dem Bekannten anfangen; dieses ist aber zweifach: es gibt ein Bekanntes für uns und ein Bekanntes schlechthin. Wir nun werden wohl mit dem für uns Bekannten anfangen müssen. Deshalb muß man eine gute Charakterbildung bereits mitbringen, um die Vorträge über das sittlich Gute und das Gerechte, überhaupt über die das staatliche Leben betreffenden Dinge, in ersprießlicher Weise zu hören. Denn wir gehen hier von dem »Daß« aus, und ist dieses hinreichend erklärt, so bedarf es keines »Darum« mehr. Wer nun so geartet ist, der kennt entweder die Principien schon oder kann sie doch leicht erlernen14. Bei wem aber weder das eine noch das andere gilt, der höre, was Hesiod15 sagt:
Der ist von allen der Beste, der selber jegliches findet.
Aber auch jener ist tüchtig, der guter Lehre Gehör gibt.
Wer aber selbst nichts erkennt, noch fremden Zuspruch bedächtig
Bei sich erwägt, der ist wohl unnütz unter den Menschen.
Drittes Kapitel.
Wir aber wollen den Punkt erörtern, von dem wir abgeschweift sind.
Nimmt man die verschiedenen Lebensweisen in Betracht, so scheint es einmal nicht grundlos, wenn die Menge, die rohen Naturen, das höchste Gut und das wahre Glück in die Lust setzen und darum auch dem Genußleben fröhnen. Drei Lebensweisen sind es nämlich besonders, die vor den anderen hervortreten: das Leben, das wir eben genannt haben, dann das politische Leben und endlich das Leben der philosophischen Betrachtung. Die Menge nun zeigt sich ganz knechtisch gesinnt, indem sie dem Leben des Viehes den Vorzug gibt, und doch kann sie zu einiger Rechtfertigung anführen, daß viele von den Hochmögenden die Geschmacksrichtung des Sardanapal teilen.
Die edeln und tatenfrohen Naturen ziehen die Ehre vor, die man ja wohl als das Ziel des öffentlichen Lebens bezeichnen darf. Indessen möchte die Ehre doch etwas zu oberflächliches sein, als daß sie für das gesuchte höchste Gut des Menschen gelten könnte. Scheint sie doch mehr in den Ehrenden als in dem Geehrten zu sein. Vom höchsten Gute aber machen wir uns die Vorstellung, daß es dem Menschen innerlich eigen ist und nicht so leicht verloren geht. Auch scheint man die Ehre zu suchen, um sich selbst für gut halten zu können. Denn man sucht seitens der Einsichtigen und derer, die einen kennen, geehrt zu werden, und zwar um der Tugend willen. So muß denn, falls ein solches Verhalten etwas beweist, die Tugend das Bessere sein. Nun könnte man ja vielmehr diese für das Ziel des Lebens in der staatlichen Gemeinschaft ansehen. Aber auch sie erscheint als ungenügend. Man kann scheints auch schlafen, während man die Tugend besitzt, oder sein Leben lang keine Tätigkeit ausüben und dazu noch die größten (1096a) Übel und Mißgeschicke zu erdulden haben, und wem ein solches Lebenslos beschieden ist, den wird niemand glücklich nennen, außer um eben nur seine Behauptung zu retten. Doch genug hiervon; diese Sache ist ja bereits in den encyklischen Schriften16 hinreichend besprochen worden.
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