Die Haut am Markt. Will Berthold
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Название: Die Haut am Markt

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711727065

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СКАЧАТЬ Händedruck, Lächeln, Ironie.

      »Werden die Demokratie aufbauen, was?«

      Demokratie: Konstruktion stimmt. Fundament schief, hängt nach rechts. Wartet auf den nächsten Windstoß.

      Wiedersehen mit dem Kreisleiter: sitzt für eine andere Partei im Landtag, hat Warschau zerstören helfen, jetzt christlich geworden, aber gleich laut geblieben.

      Wiedersehen mit dem kleinen Auer, der auf seinen Prothesen gerade zur Nachuntersuchung humpelt, weil das Versorgungsamt anscheinend befürchtet, es könnten ihm wieder richtige Beine nachwachsen. Der Dank des Vaterlands, in Holz.

      Wiedersehen mit den 131ern und den 175ern, mit der grünen Front und mit der braunen Bande.

      Wiedersehen mit der neuen Wehrmacht, jetzt Bundeswehr, geführt von den alten Generälen, Spezialisten für verlorene Kriege, Generation militärischer Versager, die sich auf Moltke berief und vor Hitler kuschte, aber sein Ritterkreuz weiter trägt, wenn auch ohne Hakenkreuz; alter Stiefel, neue Richtung, heraus aus der gestrigen Misere, hinein in die neue Karriere: Kerls, wollt ihr denn ewig leben?

      Bürger in Uniform jetzt, modulierter Stahlhelm, gereinigter Fragebogen, gesäuberter Lebenslauf, staatspolitische Umerziehung. Saum der freien Rede leicht gezähmt, Kreuzzuggesinnung sanft getönt, die Feinde von gestern Bundesgenossen von heute (teilweise). Man ist noch gefürchtet und schon wieder gefragt, lästig mitunter, führt leicht zu Mißverständnissen, atomare Sprengköpfe deutscher Mittelstreckenraketen stehen noch unter amerikanischem Verschluß. Wird sich geben, wie die dritte Strophe des Deutschlandlieds. Die gefährliche Irrlehre des Defätismus aus der Zeit zwischen den Kasernen ist längst vorbei.

      Wiedersehen also mit der Heimat, mit fremden Menschen im eigenen Land. Wiedersehen mit dem Wunderbürger zwischen Hungerödem und Entfettungspille: ein Volk, ein Haus, ein Kühlschrank!

      Früher Gauschulung, heute Weekend. Einst brauner Eintopf, jetzt internationales Schlemmerlokal. Früher Träume, heute Verdauungsbeschwerden. Sie glaubten vorübergehend an Gott und sparen auf Volksaktien. Christus predigte gegen die Gewalt; die Kirchenethik verbietet nicht unbedingt die Anwendung der H-Bombe im sittlichen Sinn. Politik interessiert nicht, oder man betrachtet sie gelegentlich im Spiegel – und wenn er nicht irrt, ist der Mann, der einst im Wahlkampf das Wègfaulen seiner Hände beschwor, falls sie wieder nach einem Gewehr griffen, heute Verteidigungsminister mit beiden Ellbogen.

      Wiedersehen mit der Bildung. Neubeginn nach acht Jahren gestohlenen Lebens. Man studiert, um etwas zu werden. Immatrikulation an der Universität mit sechzehn Semestern Verspätung. Hohe Aula, große Worte. Aber die Alma mater überlegt einen Numerus clausus. Gilt jedoch nicht für Spätheimkehrer.

      Student Kerbach stochert im Ballast europäischer Bildung, umgeben von neuen Korpsstudenten im Dünnbierrausch, hört Vorlesungen, Literaturgeschichte? Muß erst entnazifiziert werden! Theaterwissenschaft? Nur mit Lizenz des axnerikanischen Bühnen-Officers!

      Kerbach als Werkstudent. Pressevolontär Kerbach, im Vorzimmer zweier Lizenzträger. Links: Erwin Schmidt, Anstand ohne Brillanz, früher Häftling im KZ. Rechts: Dr. Schonbach, Brillanz ohne Anstand, früher Leitartikler im Signal.

      Reporter Kerbach schreibt lustlos über Kohlezuteilung, Zigarettenrationen und Quarkabschnitte. Ohnedies alles Käse. Dazwischen immer wieder der Fragebogen und der Lebenslauf, mit der Hand zu schreiben, bis zum Überdruß, Schönschreibübung der Zeit, von keinem ernst genommen und von allen verlangt.

      Mein lebenslauf

      Fast dreizehn Jahre bevor mich ein französisches Schwurgerieht zum Tode durch die Guillotine verurteilte, war ich Sybille begegnet, einem Mädchen aus Berlin, das in München lebte. Sie war möblierte Unterinieterin, blond, frisch, ehrgeizig und begabt. Sie war sinnlich und intelligent, Falkenberg-Schülerin, zwanzig Jahre alt, wollte Schauspielerin werden, berufsmäßige Exhibitionistin, stand schon in kleinen Rollen auf der Bühne und somit sehr hoch über mir, wollte nichts von mir wissen und mußte erst Karriere machen, zur Zeit in einem seichten Konversationsstück, das Küß nie in Küßnacht oder so ähnlich hieß und sich konsequent an der Zeit vorbeidrückte. Sie stand – ein hübscher, bunter Fleck inmitten des verstaubten Gebrauchsplüschs – ganz vorne an der Rampe.

      Ich saß ganz hinten. Sybille wußte es nicht. Ich kauerte zwischen Claqueuren und Banausen. Sie lachten und weinten über das Schmierenpathos, unter dem ein paar Millionen Leichen aus dem Zweiten Weltkrieg vermoderten. Sie lachten und klatschten willig an den falschen Stellen. Um ihre Gunst bewarb sich Sybille.

      Nach dem ersten Akt ging ich nach oben auf die Galerie, um mir von der Proszeniumsloge aus diesen repräsentativen Querschnitt des anlaufenden Wirtschaftswunders zu betrachten, seine ersten Nutznießer: die Kohlenhändler und Schraubenhorter, die Strumpfgewinnler und sonstigen Profiteure nebst ihren unständigen Begleiterinnen: viel Persianer, viel Haut und Schmuck, darunter die ersten Nerze der Herbstzeitlosen wie paradoxe Frühlingsblüten des Wohlstandes.

      An diesem Abend erlebte ich, der Außenseiter, die Vision eines gefährlichen Aufstiegs. Ich sah keine Gesichter, sondern Fratzen, horte keine Worte, sondern Parolen. Ich erlebte das Individuum zwischen Managern und Funktionären, korrumpiert durch Brosamen, die vom Tische fielen, gebückt durch die eigene Gier.

      Alles drehte sich vor meinen Augen. Ich sah Broschen, Brillanten und Bundesverdienstkreuze, vor dem Haus die Straßenkreuzer, Verteidigung des Abendlandes an der Börse, Kruzifix in der Küche über dem Spülbecken, wo es keiner sieht, unsichtbar auch die Freiheitsglocke im Herzen und der Hortungsgewinn in der Schweiz.

      Wieder hieß es: Rechts um, im gleichschritt marsch! Wer nachkleckerte, war wieder Rekrut und bald Verwundeter, des Booms zunächst. Es ging nicht mehr um die Schuld, sondern um die Konjunktur, nicht mehr um erfrorene Beine, sondern um hochliterige Kühlschränke, nicht mehr um Fußlappen, sondern um Nerzstolen. Dem Wahnwitz von der Kollektivschuld folgte der Irrsinn der Pauschalentlastung. Man dachte in Plakaten und hämmerte in Schlagzeilen, teils für den wirtschaftlichen Konsum, teils für den politischen Bedarf. Wir sind ein Rechtsstaat. Übrigens: man trägt wieder hut. Der Antisemitismus ist tot. Persil bleibt persil. Der Kommentator der Nürnberger Gesetze wird Staatssekretär. Denn zigarren raucht der mann.

      Ich ließ die Universität, mied Sybille, kündigte die Käseberichterstattung, setzte mich hin, um zu schreiben. Der Narr zwischen totalem Krieg und totaler Motorisierung stieg aus dem Schützengraben des Zweitem Weltkriegs um in das Treibhaus des deutschen Wunders.

      Ich kam erst weiter, als ich es aufgab, nach Besetzungsfragen zu schielen, Ausstattungskosten zu kalkulieren, mich um die Dramaturgie zu kümmern, nebst innerer Aussage, um Exponierung, Kontrastierung, um Peripetie und Finale.

      Ich wollte versuchen, wie in Blindenschrift zu schreiben. Es sollte konsequent sein, ohne Halbheit, ohne Heuchelei, ohne Moralin, ohne Verbeugung vor Wirtschaftsinteressen, vor den Interessenverbänden, vor der Markenartikelindustrie, vor der Konfessionslobby. Ich wollte keinen Bauchaufschwung machen vor dem Wohlanstand des Bürgertums, nebst seinen nationalen und traditionellen Werten, mit denen es sich täglich die Zähne putzte.

      Als ich nach meiner Vergangenheit griff, hatte ich auf einmal das Motiv; wenn auch noch keine Handlung, so doch ein Thema, ein Trauma. Ich schrieb nicht mehr, ich übersetzte bloß noch oder versuchte es wenigstens, folgte blindlings dem dumpfen Druck am Hinterkopf, wollte nur noch diesen dröhnenden, wütenden, rasenden Schmerz loswerden, mit dem sich der Trigeminusnerv СКАЧАТЬ