Die Nacht der Schakale. Will Berthold
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Название: Die Nacht der Schakale

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711726938

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СКАЧАТЬ Zeit später erschoß in der Jerusalemer Straße bei einer Massenflucht versehentlich ein Vopo einen anderen. In einer Fluchtröhre an der Heinrich-Heine-Straße kam dann ein 23jähriger ums Leben, zwei weitere blieben schwerverletzt liegen, 13 mußten vor Gericht. Einen Fluchtstollen an der Kiefholzstraße verriet eine Denunziantin; zwei Beteiligte erhielten lebenslänglich, drei bis zu 12 Jahre. Von nun an wurden die in oft monatelanger Arbeit ausgehobenen Notausgänge immer wieder zu einem Tummelplatz von Gewalt, Mißgunst, Verrat, Bestechung, Selbstlosigkeit, Mut und Mord.

      Die Volkspolizei verbesserte ihre Methoden, so daß es etwa seit dem Jahr 1965 für Amateure – von wenigen geglückten Ausnahmefällen abgesehen – praktisch unmöglich wurde, für die Menschen, die ausbrechen wollten, etwas zu unternehmen.

      In dieser Zeit entstand die organisierte, gewerbsmäßige Fluchthilfe gegen Vorauskasse. Im dunkeln operierende Fluchtfirmen traten an die Stelle idealistischer Helfer. Professionelle unterschiedlicher Qualität lösten die ehrenamtlichen Amateure ab.

      Die neuen Operateure lagen im Osten im Visier der Volkspolizei und im Westen im Kreuzfeuer der Vorwürfe, aber wer ihnen in den Arm fiel, versperrte DDR-Bürgern die oft einzige Chance, die Mauer hinter sich zu lassen, und damit den Kindern den Weg zu ihren Eltern, den Frauen ein Zusammenleben mit ihren Männern.

      Ein Verbrechen ›Republikflucht‹ kennt der Westen nicht. Wer Beihilfe leistet, kann sich somit auch nicht schuldig machen, es sei denn durch die Verwendung gefälschter Pässe. Da aber nicht selten Geheimdienste im Staatsauftrag solche selbst ausstellen, herrschte bald eine beispiellose Rechtsunsicherheit. Typisch dafür ist, daß im Fall Gartenschläger die Staatsanwaltschaft Lübeck gegen die Helfer des Getöteten ein Strafverfahren wegen ›Diebstahls einer einem Dritten gehörenden Sache‹ einleiteten: Der ›Dritte‹ war die DDR, die ›Sache‹ eine demontierte Selbstschußanlage, wie sie einst im Auftrag von KZ-Kommandanten entwickelt worden war. Um die dubiosen Firmen, die unter Lebensgefahr gegen horrende Summen Menschenschmuggel betrieben, lag und liegt ein Dunstkreis von Duldung, Heuchelei, Zweckdenken, Drohung und Opportunismus.

      Fluchtfirmen werden beargwöhnt, ausgenutzt, finanziert, verachtet und benötigt.

      Es gab bessere und schlechtere, erfolgreichere und nutzlose, und mit den Jahren wurden die Trasco sozusagen eine seriöse Adresse in einem unseriösen Gewerbe, ein Markenartikel des Untergrundes. Während man im Schnitt einem von professionellen Fluchthelfern arrangierten Versuch, den Staat der Werktätigen zu verlassen, eine Chance von 60 Prozent einräumte, wie Dresslers Erfolgsbilanz – trotz einiger Pannen – eine Quote von mehr als 90 Prozent auf. Die Trasco arbeitete gründlicher und raffinierter als ihre Rivalen, nahm doppelt soviel Geld und verbürgte sich für ein entsprechend besseres Resultat; sie verwendete modernste Hilfsmittel, und Dressler half keinem weiter, den seine Leute nicht zuvor auf DDR-Gebiet beobachtet und angesprochen hatten. Er setzte sogar Flugzeuge an, die im Grenzgebiet den Radarschirm unterflogen, und er war schlagartig bekannt geworden, als er in einem Omnibus 35 Schweizer Touristen auf einer Sightseeingtour durch die Tschechoslowakei karrte.

      Auf einmal rollte ein zweiter Bus an, wiederum mit einem Schweizer Kennzeichen versehen. Er übernahm die eidgenössischen Touristen zur Weiterfahrt nach Prag; das erste Gefährt fuhr mit 35 DDR-Flüchtlingen, ausgestattet mit falschen Pässen, ungehindert in die Freiheit.

      Solcherlei Husarenstücke riskierte Dressler immer wieder. Bis vor zwei Jahren hatte er an den gefährlichen Ausflügen in den roten Machtbereich sogar noch selbst teilgenommen. Seitdem organisierte er die Durchbrüche von Westberlin aus. Die Trasco unterhielt Zweigsitze in München, Frankfurt und Berlin, und sie übernahmen selbst Fälle, die andere Fluchthelfer abgelehnt hatten, freilich nur gegen Kasse.

      Mauro Dressler trat gern als Vorkämpfer gegen den Zwangsstaat im Osten auf, aber seine Gesinnung war weder rot noch schwarz und seine politische Heimat weder der Westen noch der Osten – sein Vaterland war das Geld, und je höher sich die Summe addierte, desto patriotischer wurde er.

      Die Stasi-Männer von General Lupus hatten sehr bald ihre Chance erkannt, ihre Gegenspieler auszuhorchen und zu unterwandern. Sie schleusten Spitzel in die Fluchthelferfirmen ein und ließen kleine Fische davonschwimmen, um die großen zu fangen. Schon in der Tunnelzeit war es ihnen gelungen, erstklassige Agenten unter verzweifelte Flüchtlinge zu schmuggeln. Unverdächtiger als ein Mensch in Not, der im Osten alles zurückläßt und unter Lebensgefahr im Feuerhagel durch die Fluchtröhre hetzt, kann wohl keiner wirken, so bot man ihm im Westen bereitwillig die Hand – und brachte ihn an seinen Zielort.

      Als die ersten Fälle bekannt wurden, begünstigte ein weiterer Nebeneffekt die Menschenjäger der Normannenstraße: DDR-Bürger auf der Flucht mußten sich jetzt auch noch dem Verdacht aussetzen, Sendlinge aus dem Osten zu sein.

      Tücke und Infamie gehören zu den Spielregeln des deutschdeutschen Kriegs im Frieden. Beide Seiten kochten mit dem gleichen Schmutzwasser, an einem Tag erfolgreich, am nächsten schon wieder hereingelegt. Wenn eine Fluchtfirma auf die Dauer besser abschnitt als die Konkurrenz, geriet sie automatisch in Verdacht, vom DDR-Staatssicherheitsdienst protegiert zu sein. So betrachtet, war die trasco ag schon seit langem suspekt, aber Mauro Dressler konnte nachweisen, daß er mit professionellen Männern, mit üppigeren Mitteln, mit größerer Sorgfalt, mit raffinierteren Einfällen und mit erheblich größerem technischen Aufwand arbeitete als seine Konkurrenz.

      Es erklärte vieles, aber nicht alles.

      Zwar war Dressler ein Prahlhans, aber wie kam er – ein Mann, für dessen Winkelzüge Verschwiegenheit so notwendig war wie für einen Fisch das Wasser – dazu, gewissermaßen seinen geheimen Geschäftsbericht an einen amerikanischen Journalisten zu verkaufen? Arbeitete Erwin Forbach, der den ersten Hinweis auf die Affäre Sperber gegeben hatte, mit oder ohne Wissen Dresslers auch für die BND-Zentrale in Pullach? Hatte Dresslers Geschiedene, mit der er geschäftlich nach wie vor liiert war, bei einem Tête-à-tête in Berlins Blauem Haus vom Genossen Konopka tatsächlich subversives Material übernommen und weitergegeben? Falls ja: Wußte Dressler von diesen Machenschaften Madeleines, oder kochte sie ihre eigene Giftsuppe?

      Die 747 hatte den Atlantik überquert und näherte sich dem Kanal. Der Flug von Westen nach Osten hatte mich wieder einmal um sechs Stunden Schlaf gebracht, aber das wäre das wenigste. Die Stewardeß brachte das Frühstück; ich sah auf die Uhr.

      »Wir werden voraussichtlich pünktlich auf dem Rhein-Main–Flughafen landen«, sagte sie mit einem Lächeln für jedermann.

      Sie behielt recht; ich stieg in eine Lufthansa-Maschine zum Weiterflug um und landete wiederum flugplanmäßig in München-Riem.

      Ein Mann, den ich nicht kannte, nahm mich in Empfang und schleuste mich an Zoll und Einreisekontrolle vorbei zu einem Lieferwagen; er sah sich um, öffnete höflich die Tür, und ich stieg zu.

      Der Mann, der hier auf mich wartete, war mir wohlbekannt: Steve.

      »Schöner Urlaub, was?« begrüßte er mich mit einem Grinsen.

      »Müde?«

      »Nicht die Bohne«, erwiderte ich.

      »Um so besser«, sagte er und lächelte, mehr mit den Schneidezähnen.

      In Stichworten gab mit Steve schon während der Fahrt einen Zwischenbericht über den Stand der Ermittlungen, sachlich, exakt, kein Wort zuviel, kein Fact zu wenig. »Am besten fliegst du gleich nach Zürich«, sagte er am Schluß, »und siehst dir Madeleine Dressler an, bevor ihr Ex-Mann zurückkommt.«

      »Wo ist er zur Zeit?«

      »Unter Kontrolle«, erwiderte СКАЧАТЬ