Название: Die Nacht der Schakale
Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711726938
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»Wie Joghurt und Corn-flakes«, verspottete ich seine frugale Lebensweise.
»Okay, Lefty«, überging er es. »Passen Sie auf sich auf. Ich möchte nicht, daß Amerika einen tüchtigen Nachwuchsdiplomaten in spe verliert.«
Sein Greisengesicht zeigte wieder das Vexierspiel mit Falten und Runzeln. »Ich werde hier in Langley verbreiten lassen, das Sie nach Erstellung eines Gutachtens wieder Holiday in Fernost machen – für alle Fälle.«
Die Schaffung einer neuen Identität dauerte sonst Wochen, wenn nicht gar Monate. Diesmal blieb keine Zeit mehr, gründlich in die Haut eines anderen zu schlüpfen, denn Steve erwartete mich dringend in München, und Brian Singer, der Mann mit dem unbeschriebenen Lebenslauf, machte es mir ohnedies leicht. Wie ich Gregory einschätzte, gab es ihn tatsächlich, und er machte im Gegensatz zu mir an irgendeinem entlegenen Fleckchen der Welt Ferien auf CIA-Kosten, während ich unter seinem Namen und mit einem darauf amtlich ausgestellten, wenngleich falschen Paß in die Ost-West-Schlammschlacht zog.
Mit einem Umweg über New York, damit die Verlagsangestellten wenigstens antworten konnten, falls sie nach dem Aussehen ihres brandneuen Mitarbeiters Brian Singer gefragt würden. Es war nur ein Minimum an Tarnung, aber das ist immer noch mehr als gar keine.
Ich saß in der Maschine nach New York, die nach Boston weiterflog. Als der Flugkapitän bei der Begrüßung dies seinen Passagieren mitteilte, spürte ich einen Stich in einer vernarbten Wunde. In Boston hatte Vanessa gelebt, aus der auf einmal Madge geworden war. Ich fragte mich ziemlich töricht, welcher der beiden Namen ihrer Persönlichkeit mehr entspräche. Es war müßig und auch unwichtig, darüber nachzudenken, denn ich konnte die selbstgestellte Frage ohne weitere Nachforschungen nicht beantworten – und ich würde mich natürlich an die Absprache mit Gregory halten und jeden Kontaktversuch vor Erledigung meines Auftrags unterlassen. Zudem wußte ich auch gar nicht, wo sie sich aufhielt und ob ich diesen Einsatz überleben würde. Vielleicht riskierte der große Gregory, mich noch kurz vor Torschluß zu verheizen, weil er es einfach nicht ertragen konnte, einen bisher nicht enttarnten Agenten ›unblutig‹ an das US-State-Department zu verlieren.
Ich versuchte, Vanessa zu verdrängen, aber sie geisterte wie ein Irrwisch durch mein Bewußtsein. Ich redete mir ein, daß Liebesträume nichts anderes seien als eine Infektionskrankheit der Psyche, aber gegen diese Ansteckung gab es vorderhand noch keine Antibiotika, und selbst das Training der Jahre, das Verlangen einfach abzustellen wie Wasser oder Strom, war vergebliche Anti-Liebesmühe.
Ich dachte nicht an das Verlangen nach Vanessa: Es dachte an mich.
Um drei Uhr p. m. landete die Maschine aus Washington pünktlich auf dem La-Guardia-Flughafen in New York, und da ich nicht zu den Passagieren gehörte, die nach Boston weiterfliegen durften, stieg ich aus, nahm ein Taxi und fuhr nach Manhattan. Wenn ich meine Vorstellung in Barry Wallners Verlagshaus schnell über die Runden brächte, könnte ich die Nachtmaschine nach Frankfurt noch erreichen und hätte dort sofort Anschluß nach München.
Das Fairway House lag gegenüber dem PanAm Building. Das Portal war mit Marmor ausgeschlagen, und am Empfang saß eine Blondine, die aussah wie Brigitte Bardot in ihren besten Jahren, in ihren allerbesten.
Sie fragte mit polierter Arroganz nach meinem Begehren.
Als ich meinen Namen nannte, schloß ich aus ihrem Verhalten, daß Gregorys langer Arm natürlich auch nach New York reichte.
Ich wurde ohne Umwege und Vorzimmer in das Office des Managing Direktor geführt, mit dem der CIA-Vize den Zweck meines Besuches abgesprochen haben mußte. Der Mann reichte mir die Hand, stellte keine Fragen, bot mir eine Tasse Kaffee an und trommelte dann seine wichtigeren Mitarbeiter zusammen.
»Ich halte Sie nicht lange auf«, sagte er zu ihnen. »Ich möchte Ihnen nur Brian Singer vorstellen, von dem Barry so viel hält. Mister Singer wird am nächsten Barry-Wallner-Buch mitarbeiten.«
Sie lächelten mir zu, wünschten mir gewohnheitsmäßig alles Gute. Keiner von ihnen wußte, daß mein angeblicher Chef abgestürzt war. Es war mir bekannt, daß in der Regel der Wert eines Autors sinkt, wenn er nicht mehr am Leben ist, deshalb versucht mancher Verlag ein halbfertiges Manuskript von einem Ghostwriter fertigstellen zu lassen und zu verschweigen, wer diese Ergänzungen besorgt hat. Daß man aber auch den Tod des Verfassers verheimlicht, war wohl neu in der Branche.
Die taxierenden Blicke der weiblichen Mitarbeiter erinnerten mich daran, daß der Verblichene von seinen engsten Mitarbeitern wohl mehr erwartet hatte als erstklassiges Researching, aber im Verlagsmillieu war man mit Exoten aller Art vertraut. Nur eine rothaarige, kesse Lektorin mach die Probe aufs Exempel und fragte mich, ob ich heute abend mit ihr ausgehen wolle.
»Da sitze ich leider schon im Flugzeug«, erwiderte ich und setzte hinzu: »Vielleicht ein andermal, wenn ich wieder nach New York komme.«
»Vielleicht«, entgegnete sie schnippisch und tauschte besserwisserische Blicke mit ihren Kolleginnen.«
Eine halbe Stunde später war die Prozedur überstanden; ich fuhr zum Kennedy Airport, rief von dort Steve Cassidy an und teilte meine Ankunftszeit in München mit. Die 747 war nur halb besetzt; es war angenehm, auch wenn man nicht First Class Passenger war.
Ich dachte über meinen Einstieg in Germany nach: Wir hatten zwei verschiedene Enden des Falls Sperber in der Hand. Steve saß an dem einen in Pullach und beteiligte sich im Camp an dem Katz-und-Maus-Spiel um den noch unbekannten Überläufer aus der Umgebung des Stasi-Generals Lupus. Ich würde bei der Trasco da fortfahren, wo Barry Wallner aufgehört hatte, und das hieß, Dressler und die beiden anderen Informanten kontaktieren und observieren. Ich konnte mich dabei ebenso auf Steves wie auf Barrys Vorarbeiten stützen und, ohne persönliche in Erscheinung zu treten, im Bedarfsfall durch Telefonanruf nach Nennung eines Codewortes die europäischen CIA-Filialen für Hilfsdienste in Anspruch nehmen, in München, Zürich, Westberlin ebenso wie Ostberlin (da natürlich nicht über den Fernsprecher).
Organiserte Fluchthilfe aus dem einen Teil Deutschland in den anderen gab es seit Berlins schwarzem Sonntag, dem 13. August 1961. In den Morgenstunden hatten von Vopos abgeschirmte Arbeiter begonnen, eine 45 Kilometer lange, drei Meter hohe und mit Stacheldraht bestückte Mauer zwischen Schönefeld und Rosenthal quer durch Berlin zu ziehen wie eine häßliche Narbe. Am Montagmorgen fehlten bereits 75000 Pendler an ihren Westberliner Arbeitsplätzen. Zwar war am schwarzen Sonntag noch einmal 15000 Menschen die Flucht gelungen, die ›Volksabstimmung mit den Füßen‹, aber der Fahrpreis in die Freiheit, der bislang für ein S-Bahn-Billett für zwei Groschen erhältlich gewesen war, konnte nunmehr das Leben sein.
Die Mauer erhielt bald ihre Bluttaufe. Als erste starb eine 66jährige Frau, die in der Bernauerstraße – sie verlief direkt an der Sektorengrenze in einer Länge von zwei Kilometern – aus dem Fenster in den freien Teil Berlins gesprungen und dabei unglücklich aufgekommen war. Kurze Zeit später blieben drei weitere Flüchtlinge zerschmettert an der Mauer liegen. Die Fenster der Bernauerstraße, die nach Westen gingen – die Hauseingänge lagen im Osten –, mußten zugemauert werden.
Weitere Fluchtversuche endeten unter den MP-Feuerstößen der Vopos und Grepos.
Zählt man Bayern und Baden-Württemberg zusammen, dann hat man den ungefähren Umfang des DDR-Territoriums; urdeutsches Gebiet in dieser Größe hatte sich in ein Zuchthaus für 17 Millionen Menschen verwandelt. Für viele Westberliner war es eine Ehrensache, ihren Bekannten und Freunden – oder auch nur Landsleuten – das Entkommen aus dem Osten zu ermöglichen. Sie erwiesen sich als selbstlose Fluchthelfer der ersten Stunde und trieben vom Westen aus Tunnel auf die andere Seite vor. Auf diesem unterirdischen СКАЧАТЬ