Название: Malmedy - Das Recht des Siegers
Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711727348
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„Wenn Sie mir nicht helfen“, sagt sie leise und bestimmt, „wird ein Unschuldiger gehängt.“
„Können Sie mir einen Deutschen zeigen, der nicht schuldig ist?“
„Ja“, erwidert sie.
Sie steht auf. Ihr Blick wird auf einmal merkwürdig starr, als ob sie in eine imaginäre Ferne sähe, als ob sie Raum und Zeit vergäße, als ob sie entsetzlich allein sei.
„Ja“, sagt sie noch einmal. Ganz leise.
„Meinen Bruder.“
In der ersten Sekunde begreift es der Leutnant nicht. Dann ist es soweit. Er würgt den Fluch hinunter, betrachtet Vera Eckstadt, lächelt dümmlich dabei, versucht die Zigarette noch einmal anzuzünden, schnappt sein Whiskyglas, trinkt es in einem Zug leer. Die Minute ist aus Gummi. Sie ist endlos, gemein und quälerisch …
An diesem Tag zweifelt Colonel Evans zum erstenmal in seinem Leben an Gott. An der Weltordnung. An der Würde des Menschen. An der Humanität seines Landes. Am Fortschritt. An diesem Tag fürchtet der Oberst alles zu verlieren, an das er bisher glaubte …
An diesem Tag verflucht der Oberst die Tatsache, daß er Jurist ist. Daß er Englisch spricht. Daß er als Amerikaner zur Welt kam. Daß er die Uniform eines Obersten der Vereinigten Staaten trägt. Daß er sein Land liebt.
An diesem Tag glaubt er, es zu hassen.
Colonel Evans ist mittelgroß und zierlich, hat ein intelligentes, kantiges Gesicht, lebhafte, scharf beobachtende Augen. Er stammt aus Atlanta, der Hauptstadt von Georgia, und der energische, fast asketisch wirkende Mann ist schon auf den ersten Blick der Typ des Gentleman aus den Südstaaten.
Der Krieg spült ihn nach Deutschland. Er hatte keinen Grund, es besonders zu lieben. Und er liebte es auch nicht besonders. Er tat seine Pflicht. Er diente in der Army. Er brachte es bis zum Obersten. Eigentlich sollte er längst zurück sein, um sich um seine Rechtsanwaltspraxis zu kümmern. Er war jetzt bald an der Reihe und stand kurz vor der Rückreise in die Vereinigten Staaten.
Da kam der Auftrag.
Er sagte zunächst nein. Er hatte sich Ideale bewahrt. Schwachen, verführten, gescheiterten Menschen zu helfen, dazu war er jederzeit zu haben. Aber Verbrechern? Mördern? Dutzendfachen Mördern? SS-Henkern, die wehrlose Kriegsgefangene niederschossen? Die ihre letzten Schreie, ihre letzte Verzweiflung, ihre letzten Gebete ignorierten? Die sie gemeiner, erbarmungsloser abschlachteten als die Viehmärkte ihren täglichen Schweineauftrieb? Vertierten Unmenschen, die aus nächster Nähe mit der Maschinenpistole ihren Opfern zwischen die starren, entsetzten Augen schossen, daß die Gehirne herausspritzten wie der Tomatensaft aus einer nachlässig geöffneten Konservenbüchse? Mörder vertreten, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt hatten?
Man hatte ihm die Chefverteidigung des sogenannten Malmedy-Prozesses angetragen. Er kannte den Fall Malmedy wie jeder andere Amerikaner aus den Zeitungsberichten. Er wußte, daß Generalfeldmarschall Rundstedt in einem letzten Aufbäumen vor der totalen Niederlage Weihnachten 1944 seine Truppen weit nach Belgien hineingetrieben hatte. Daß es ihm gelungen war, einen letzten, wenn auch zeitlich sehr begrenzten Sieg zu erringen.
Soweit war die Sache in Ordnung. Was aber Malmedy zu einem unauslöschlichen Brandmal des Krieges machte, waren die Begleiterscheinungen der Ardennenoffensive. Voraustruppen der SS, teilweise in amerikanischer Uniform, ausgesuchte Leute, meist fanatische Nationalsozialisten, die fließend Englisch sprachen, waren in das Hinterland vorgestoßen und hatten Gefangene gemacht.
Und sie hatten sie, wie sie es zu nennen pflegten, umgelegt. Dafür standen sie jetzt vor Gericht. Vor einem bemerkenswert fairen Gericht. Vor Richtern, die sich redlich bemühten, unvoreingenommen die Taten zu beurteilen. Die meisten hatten ihre Geständnisse unterschrieben, sie hatten zugegeben, Gefangene ermordet zu haben.
Juristisch lag der Fall damit klar. Was nun kommen mußte, war das Urteil. Auch hier konnte es keinen Zweifel geben. An den Galgen von Landsberg war noch Platz für viele.
Für viele, die zu verteidigen Mr. Evans keine Lust hatte. Gut, man hatte ihm die Akten geschickt, und er hatte schließlich mit der natürlichen Neugier des Juristen, der kein Dossier vorbeiziehen lassen kann, darin geblättert.
Und dann war er auf Widersprüche gestoßen …
Da sollten Menschen an einer Friedhofsmauer erschossen worden sein … wo der Friedhof nicht eingesäumt war. Da sollte eine Belgierin auf einem Stuhl in ihrer Wohnung exekutiert worden sein, die in Wirklichkeit von einer amerikanischen Bombe erschlagen wurde. Da hatten frühere SS-Leute in schriftlichen Geständnissen zugegeben, Menschen ermordet zu haben … die noch lebten!
Soviel Zufälligkeiten, so viele Irrtümer auf einmal konnte es nicht geben. Das übersah der Colonel mit einem Blick. Hinter diesen Unstimmigkeiten mußte sich etwas Gräßliches, etwas Entsetzliches, etwas Ungeheuerliches verbergen.
Waren die Geständnisse erpreßt worden? Hatten die US-Ermittler ähnliche Methoden angewandt, wie sie durch die Gestapo weltbekannt und berüchtigt geworden waren?
Hier, an dieser Stelle seiner Untersuchung, drohten den Obersten Phantasie, Logik und Anstand zu verlassen. Hier konnte er einfach nicht mehr folgen. Hier war er am Ende seiner Vorstellungswelt angelangt.
Ein anderer hätte die Akten ohne weiteres in den Papierkorb geworfen und sich eine Fahrkarte nach Amerika besorgt.
Nicht so Colonel Evans. Er wird sich nichts schenken. Nichts sich, nichts seinem Land, nichts seiner Uniform, nichts seinen Farben. Seine Intelligenz wird das Gericht kennenlernen. Seinem Anstand werden die Angeklagten fassungslos gegenüberstehen. Seinen Mut wird die Presse in aller Welt rühmen.
Seinen inneren Kampf aber wird er mit sich selbst abmachen müssen.
Den Colonel geht mit großen Schritten in seinem Büro hin und her. Er hatte alle Einzelheiten der Akten im Kopf. Immer noch hofft er, daß sich die Widersprüche als ein Irrtum herausstellen werden, für den es eine ganz natürliche Erklärung gibt. Er unterbricht seinen Fußmarsch, geht auf das Aktenbündel zu, liest, schüttelt den Kopf, rennt wieder hin und her, reißt das Fenster auf, schließt es im nächsten Augenblick, zündet sich eine Zigarette an, wirft sie weg, tritt sie aus.
Leutnant Henry F. Morris ist eingetreten. Er wartet, bis der Oberst aufsieht.
„Eine Dame möchte Sie sprechen, Sir“, sagt er dann.
„Welche Dame?“
„Fräulein Eckstadt.“
„Kenne ich nicht“, versetzt der Colonel abweisend.
„Die Schwester eines Angeklagten.“
„Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, daß ich keine Familienbesuche mag.“
„Es ist eine Bekannte von mir. Sir … Nur fünf Minuten.“
„Von mir aus“, knurrt der Colonel.
Er mustert Vera Eckstadt flüchtig, stellt sich vor, ohne ihr die Hand zu geben, sagt, daß er leider wenig Zeit hätte.
„Ich fasse mich kurz“, beginnt das Mädchen. „Mein Bruder ist einer СКАЧАТЬ