Название: Die Rabenringe - Gabe (Band 3)
Автор: Siri Pettersen
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9783038801153
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Er hatte auch Rime schon beherbergt. Als Rabenträger. Als Damayanti ihm den Schnabel gegeben hatte. Und jetzt als entehrten Ratssohn und Totgeglaubten.
Das Feuer flackerte auf und begann zu knistern. Tauchte Lindri, der vor den Flammen hockte, in ein warmes Licht. Er war im Nachthemd, wie Rime jetzt sah. Mit einer Strickjacke darüber, die sich an den Ärmeln auflöste.
Er erhob sich mit sichtlichem Unbehagen und nahm Rime gegenüber Platz. Das Alter hatte seine Augen zuwachsen lassen, hatte sie klein und rund gemacht. Er legte eine schwielige Hand auf Rimes. Die Wärme brannte sich durch eine Schicht von Einsamkeit.
Rime schluckte. »Du glaubst also nicht, was sie über mich sagen?«
»Erzähl mir, was passiert ist, dann werde ich dir sagen, was ich glaube«, erwiderte Lindri mit besänftigender Ruhe.
Rime lachte halb erstickt. Er ließ den Strom der Worte kommen, obwohl er wusste, dass nichts von dem, was er sagte, einen Sinn ergab. Er konnte nicht aufhören. Es war, als ob er zum ersten Mal in seinem Leben etwas Echtes teilte. Also erzählte er. Vom Besuch in der Menschenwelt. Von den Brüdern Graal und Naiell. Einer tausend Jahre alten Feindschaft. Der eine im Exil, der andere der Seher persönlich. Der Seher, den er getötet hatte.
Die Lüge, mit der er aufgewachsen war, existierte nicht mehr. Stattdessen hatte er die Geschichte von dem Blinden gefunden, der sein eigenes Volk verraten und Ymsland erobert hatte.
Er erzählte von Hirka und ihrer Abstammung. Dass sie eine von ihnen war. Von denen, die durch die Tore brechen und nach Ymsland kommen würden, um sich zurückzuholen, was sie einst verloren hatten. Und es gab nichts, was er tun konnte, um sie aufzuhalten. Jetzt nicht mehr. Jetzt, da er das bisschen Macht, das er besessen hatte, vergeudet hatte.
Er redete, bis er keine Worte und keine Kraft mehr hatte. Faltete die Hände und stützte das Kinn darauf. Sah Lindri an. Wartete auf eine Reaktion auf all das, was er gesagt hatte, aber es kam keine. Lindri saß da und nickte vor sich hin. Seine Lider waren so schwer, dass Rime für einen Moment glaubte, er sei eingeschlafen. Aber dann richtete Lindri sich auf und schlug die Hände auf die Schenkel.
»Die Welt wird also untergehen? Ist es das, was du sagst?«
»Das ist eine gute Schlussfolgerung«, erwiderte Rime.
»Ja, dann bleibt nur eins zu tun.« Lindri erhob sich langsam. Die Falten in seinem Gesicht wurden tiefer, verrieten die Schmerzen in den Knochen.
»Und was?«, fragte Rime.
»Tee machen.«
Lindri ging zum Tresen und zündete eine Kerze unter einer der schwarzen gusseisernen Kannen an. Sie standen in einer Reihe, zeigten alle mit ihren Tüllen in dieselbe Richtung.
»Tee machen? Ist das die Antwort auf den Untergang der Welt?«
»Hast du einen besseren Vorschlag?«
Rime starrte auf die Tischplatte. Sie war grob wie Treibholz, voller Kerben und Wunden.
Nein, er hatte keinen besseren Vorschlag. Der Sturm würde kommen, ganz egal, was er tat.
Lindri stellte die Kanne vor ihn auf den Tisch. Ein satter Duft stieg auf. Es roch verdächtig nach etwas sehr viel Stärkerem als Tee. Lindri setzte sich wieder und schob Rime einen vollen Becher hin.
»Du hast also den Seher getötet? Den Bruder ihres Vaters?«
»Er hätte sie getötet, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen hätte.«
Rime legte eine Hand auf seine Hosentasche. Spürte die Konturen der Muschel, des Amuletts, das er ihr geschenkt hatte, damals, als sie Ymsland verließ. Jetzt gehörte es wieder ihm. Überreicht von Graal, ohne Erklärung. War das Graals Art, ihm zu sagen, dass er sie vergessen sollte? Dass sie eine halbe Totgeborene war, der ein ganz anderes Schicksal bestimmt war als Rime?
Er hoffte es, denn die andere Möglichkeit war schlimmer: dass Hirka Graal gebeten hatte, ihm die Muschel zu geben. Dass es ihr Wunsch gewesen war.
Die Brust wurde ihm eng. Er griff nach dem Becher und leerte ihn in einem Zug. Das Gebräu war wohltuend stark. Brannte sich seinen Weg hinunter in den Magen.
Er hatte nicht geahnt, wie stark das Verlangen war, bis er sie wiedergetroffen hatte, in dem Raum, der vor Musik pulsierte. Der so lebendig war, voller Menskr. Odinskinder, so weit das Auge reichte. Aber er hätte genauso gut mit ihr allein sein können, denn er hatte alles und jeden um sich herum vergessen.
Er hätte sie genommen, auf der Stelle, wenn er die Chance dazu gehabt hätte. So stark, so überwältigend war es.
So zerstörerisch.
Er hatte idiotische Dinge getan – ihretwegen. Dinge, die nicht nur ihn selbst vernichtet hatten, sondern die nun auch drohten den Rat zu vernichten. Ravnhov. Ymsland.
Er hatte den Schnabel genommen. Hatte sich selbst zum Sklaven gemacht. Etwas, das er weder Jarladin noch Lindri erzählt hatte. Niemand durfte wissen, dass er eigentlich machtlos war. Graals Launen ausgeliefert.
Graal war gefährlicher, als es Hirka bewusst war. Er würde sie beide gegeneinander ausspielen, wenn er musste. Die einzige Hoffnung war, dass auch Graal sie liebte. Rime hatte den Vaterstolz in seinen Augen gesehen. Aber auch eine hemmungslose Bereitschaft, über Leichen zu gehen.
Dasselbe sagt sie auch über mich.
»Ich weiß, was du bist und was nicht, Rabenträger.« Lindri füllte den Becher erneut. Er redete, als hätte er Rimes Gedanken gelesen.
»Ich bin kein Rabenträger mehr, Lindri. Ich bin tot, nach allem, was die Leute wissen.«
»Wenn du gestattest, Rime An-Elderin … Du hast mir erzählt, was passiert ist, und jetzt werde ich dir erzählen, was ich glaube. Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen und ich erinnere mich gut an den Tag, an dem du geboren wurdest. Das ist noch nicht so lange her.«
»Das war vor fast zwanzig Wintern, Lindri.«
Der Alte lächelte, dass die Krähenfüße sich bis zu den Schläfen hinzogen. »Das Kind, auf das alle gewartet hatten. Das Kind, von dem der Seher sagte, es werde leben. Ich dachte, was ist denn das für ein Leben für einen Jungen. Mit einer solchen Bürde aufzuwachsen. Schon am selben Tag haben sie Amulette mit deinem Bild verkauft, wusstest du das?«
Rime wusste es nur allzu gut. Er kratzte mit dem Fingernagel an einer Kerbe im Teebecher. Sie kam ihm bekannt vor, hatte er nicht schon früher aus diesem Becher getrunken? Er nahm einen neuen Schluck. Der Geruch stach ihm in die Nase.
»Wie ich das sehe, Rime, bist du in einem Käfig aufgewachsen. Ein Käfig, um den alle Welt dich beneidet hat, aber dennoch ein Käfig. Alles war darauf ausgerichtet, dass du einer von ihnen werden solltest. Sie haben sich geirrt. Du wurdest stark genug, um deinen eigenen Weg zu wählen. Ich billige bei Weitem nicht alles, was du getan hast, aber an deinem Willen ist nichts auszusetzen.«
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