Название: Die Rabenringe - Gabe (Band 3)
Автор: Siri Pettersen
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9783038801153
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Ǫni übersetzte ihr alles. Sie flüsterte Hirka ins Ohr, sich offenbar nicht bewusst, wie weh die Worte taten.
Wie war es dazu gekommen? Wie war sie in eine Situation geraten, in der sie eine Art Rettung für eine totgeborene Familie war? Das waren Fremde! Mit fremden Leben und fremder Lebensart, und was ihnen wichtig war, zählte für Hirka nicht. Weder Haus noch Ehre. Für sie gab es nur eins, was zählte, und das war die Gabe. Das Wissen dieser Leute war der einzige Weg, den Schnabel zu verstehen.
Hirka beugte den Kopf zu Ǫni. »Sag ihnen, dass ich einen Seher treffen muss. Sag, dass es wichtig ist.«
Ǫni schüttelte den Kopf. »Andere Dinge sind viel wichtiger.«
Hirka bestand darauf. »Sag es.«
Ǫni übersetzte. Die anderen sahen sich an, als verstünden sie die Bitte nicht. Vana lachte hochmütig in ihrem Sessel, aus dem sie sich immer noch nicht erhoben hatte. Seltsam für eine Dreyri, nach allem, was Hirka gelernt hatte.
Es war Uhere, die antwortete. Ihre Großmutter, die aussah, als wäre sie um die dreißig Winter alt, und so sah sie sicher schon seit einer ganzen Ewigkeit aus. Das schwarze Stirnhaar hing ihr vor den Augen. Ein Anflug von Sorge streifte ihr Gesicht. Sie trug einen Halsschmuck, der erdrückend eng aussah.
»Kein Seher kann dir helfen bei dem, was du jetzt tun musst. Die Zeit ist knapp. Hods Haus weiß, dass du hier bist, und sie werden dich bald sehen wollen. Wenn wir Glück haben, kannst du bis dahin einen Satz auf Umǫni zustande bringen. Und wenn wir noch mehr Glück haben, kannst du dich bewegen und kleiden, wie es sich gehört. Bis dahin ist kein Platz für etwas anderes.«
Hirka blickte zu Boden.
Raun hob ihr Kinn mit einer Klaue an. »Kleinigkeiten. Sie wird bereit sein. Sie ist unser Blut. Unser jüngstes Blut.« Hirka bemerkte, dass Skerri und Vana sich Blicke zuwarfen.
»Du bist die beste Nachricht seit …« Raun vollendete den Satz nicht.
»Nicht für ihn«, kam es schnippisch von Vana, die zum anderen Ende des Raums nickte.
Ein glatzköpfiger Diener, den Hirka bisher noch nicht gesehen hatte, kam mit Kolail im Schlepptau herein. Der Gefallene blieb ein Stück vor ihnen stehen. Er machte ein Gesicht, als langweilte er sich. Nicht, als hätte er nur noch wenige Augenblicke zu leben.
Hirka merkte, wie es ihr kalt über den Rücken lief. Sie hatte so etwas wie einen Plan gehabt. Eine Idee, die sie noch vor einer Weile ganz brauchbar gefunden hatte. Jetzt zerrann sie wie feiner Sand.
»Keskolail! Komm!« Raun winkte ihn näher heran. Kolail gehorchte. Er vermied es, Hirka anzusehen.
»Skerri sagt, du hast einen Pfeil abgeschossen, es habe nicht viel gefehlt und du hättest eine Dreyri getroffen. Stimmt das?«
Kolail nickte. Hirka fiel die Kinnlade herunter. Hätte sie dichter bei ihm gestanden, hätte sie ihm einen Fußtritt versetzt. Konnte er nicht wenigstens versuchen, die Sache zu erklären?
»Und du hast es bei schlechter Sicht getan, in vollem Bewusstsein des Risikos?«
Kolail nickte wieder. Sein stahlgraues Haar stand in alle Richtungen ab, was von dem Wetter draußen zeugte. Hirka machte einen Schritt auf Raun zu. »Er musste. Er hat getan, was ihm befohlen worden war.«
»Ja, das will ich doch sehr hoffen«, erwiderte Raun. Skerri lächelte schief. Hirka war wie gelähmt. Wut und Verzweiflung brauten sich in ihr zusammen. Es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben, aber sie musste. Wenn sie ihren Gefühlen nachgab, hatte sie verloren.
Raun sah sie an. »Dies ist Dreysíl. Er wusste, was er tat, er kennt die Regeln. Aber du bist diejenige, die er belästigt hat. Wie also ist dein Urteil, Hirka?«
Hirka atmete tief ein, um ihren Herzschlag zu beruhigen. »Er hat sein Ziel getroffen. Im Schneesturm und aus großem Abstand«, sagte sie. »Das beweist, dass ich nie in Gefahr war. Er ist ein hervorragender Schütze, und wo ich herkomme, bestraft man die Leute nicht dafür, dass sie ihr Handwerk verstehen.«
Raun nickte und strich sich über den Bart, als würde er nachdenken. Skerri stöhnte resigniert. Öffnete den schwarzen Mund, um etwas zu sagen. Hirka sprach weiter, um ihr keine Möglichkeit zu geben, alles kaputt zu machen.
»Aber ich verstehe, dass Regeln befolgt werden müssen. Deshalb habe ich mir überlegt …« Sie schloss einen Moment die Augen. Unsicherheit war jetzt fehl am Platz. Sie musste deutlich werden. »Meine Strafe ist, dass er mir dienen soll. Er soll mich alles über das Leben und die Leute hier lehren. Alles, was ich wissen muss.«
Raun verschränkte die Arme vor der Brust. »Ǫni ist die beste Lehrerin, die du dir wünschen kannst. Du brauchst niemand anderen.«
Hirka hob das Kinn ein wenig an. »Ǫni kann mich über das Leben an der Spitze unterrichten. Ko… Keskolail kann mich über das Leben am Boden unterrichten. Nur ein Dummkopf würde eins von beiden ignorieren.«
Raun zog eine Augenbraue hoch. »Einer der Gefallenen hat dein Leben in Gefahr gebracht und du willst ihn bestrafen, indem du ihm das Leben schenkst?«
Hirka zuckte die Schultern. »Nach dem, was ich gehört habe, ist es sowieso kaum lebenswert. Warum es also nicht für etwas Nützliches verwenden?«
Raun warf den Kopf zurück. »Haaaah!« Sein Lachen war ein Siegessignal. Hirka versuchte, ihre Erleichterung zu verbergen. Sie wusste, dass sie gewonnen hatte.
»So, Keskolail«, sagte Raun. »Ich nehme an, wir brauchen mit diesem Urteil nicht vor den Rat zu treten. Nimmst du es an?«
Kolail nickte wieder. Das war alles, was er getan hatte, seit er gekommen war.
»Gut! Du kommst, wenn du gerufen wirst, und tust, was sie dir sagt, bis sie es für gut befindet, dich gehen zu lassen. Andere Gelegenheitsarbeiten darfst du weiterhin übernehmen, solange sie dich nicht braucht. Du darfst jetzt gehen.«
Kolail warf Hirka einen Blick zu. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie wusste, was er ihr zu sagen versuchte. Sie war eine Närrin. Sie hatte gewonnen, aber sie hatte Skerri getrotzt.
Dafür würde sie bezahlen müssen. Mochten die Götter wissen, womit.
Die Quelle
Rime war dem Netz aus Pfaden und Hängebrücken, das die Schwarzröcke angelegt hatten, so tief nach Blindból hinein gefolgt, wie es ging, aber noch bevor er den halben Weg nach Ravnhov hinter sich gebracht hatte, war auch damit Schluss. Danach musste er seinem Instinkt folgen, um durchs Gebirge zu kommen. Das türmte sich um ihn herum auf, in Windrichtung mit Streifen von Schnee. Das Gelände veränderte sich mit den Jahreszeiten. Was beim letzten Mal noch ein sicherer Weg gewesen war, konnte diesmal zur Todesfalle werden. Man musste aufpassen.
Die Kälte war weniger grimmig als noch vor einem Tag. Es war bald Frühlingsanfang, der Schnee war schon weitgehend geschmolzen. Zumindest ermöglichte er ihm das Vorankommen. Er ließ mit sich handeln.
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