Название: Nach mir komm ich
Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711726983
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Wenn die kalte Jahreszeit der Flora zusetzt, blüht zumindest noch der Klatsch, und der nicht nur zur Winterszeit. Die Wahlbürger der Prominenten-Oase begrüßen einander mit ›Buon Giorno‹ oder ›Buona Notte‹, aber – so spotten die Eingeweihten – die echte Ascona-Floskel müßte lauten: ›Wie geht’s mir?‹, da der Gesprächspartner immer besser weiß, wie es um den Begrüßten steht.
Ascona ist zu klein für Diskretion oder Geheimnisse. Die ausländischen Privilegierten der schweizerischen Sonnenstube – neben Nordschweizern, Italienern, Deutschen und Amerikanern, Engländern und Schweden auch ein paar Exoten – verkehren in den gleichen Cafés, speisen in denselben Restaurants und amüsieren sich in den nämlichen Nachtklubs. Wie in den Salons und in den Betten, bei den Friseuren und in den Schönheitswerkstätten so werden auch in den Lokalen Tag und Nacht Gerüchte gargekocht, Beobachtungen weitergegeben, ausgeschmückt oder erfunden – die Fama als Tausendfüßler.
Der Verleger schlendert unter den Platanen entlang. Er sieht, wie ihn in den Straßencafés auf der anderen Seite die Gäste erkennen, die Köpfe zusammenstecken und tuscheln. Kein Wunder. Die Szenen einer Ehe, die sich Carlotta und er ständig liefern, sind für die Tessiner Neubürger von höchstem Unterhaltungswert. Kronwein denkt an Carlotta, und der Magensaft gärt ihm im Mund.
Seiner Frau gegenüber ist er ohnmächtig, und das macht ihn rasend. Erstmals ist er entschlossen, den gordischen Knoten um jeden – fast um jeden – Preis zu zerschlagen. Er überlegt seine nächsten Schritte, erwägt, nach München zu reisen, um sich mehr um seinen Verlag zu kümmern und dabei die Scheidung vorzubereiten. Dann begreift er, wie nutzlos das wäre; Carlotta, die ihre Spitzel im Haus hat, würde es sofort erfahren, ihm nachfolgen, überall herumschnüffeln und dabei womöglich noch auf ganz andere Dinge stoßen als diese lästige Melber-Affäre.
Was tun? Der Verleger bleibt ratlos, sicher nur in einem: Daß er heute nicht in die häusliche Schlangengrube zurückkehren wird.
»Hallo, Kronwein!« ruft Grevenich über die Straße. Der frühere Abgeordnete des Bundestags erhebt sich und winkt: »Keine Lust auf einen Frühschoppen?«
Der Verleger sieht auf die Uhr. Er hat noch reichlich Zeit bis zu seiner Verabredung mit Henry Kamossa. »Keine schlechte Idee«, entschließt er sich und geht auf die andere Straßenseite.
Die Piazza ist bereits seit Stunden überfüllt. Im ›Al Pontile‹ sitzen die Gäste dicht gedrängt, aber für einen Mann wie Kronwein wird immer ein Stuhl herbeigeschafft. Sie sitzen in der letzten Reihe, mit dem Rücken zur Wand, abgeschirmt gegen den Straßenlärm, sicher vor Zuhörern.
»Was trinken Sie?« lädt ihn Grevenich ein.
»Zunächst einmal einen ›Rémy-Martin«, erwidert der Verleger.
»Cognac am Morgen, Kummer und Sorgen«, albert der Frankfurter Rechtsanwalt. »Wie kann man nur an einem solchen Tag eine so saure Miene zeigen?« bemerkt der Ex-Politiker.
»Ich hab einen fürchterlichen Auftritt mit meiner Frau hinter mir«, versetzt der Verleger nach kurzem Zögern.
»Das Allerneueste«, erwidert der massive Mann mit der fettigen Stimme lachend. Im Parlament war er ein Hinterbänkler, der über Nacht bekannt wurde, als er von der Regierungspartei in die Opposition übertrat und ihr dadurch in einem Länderparlament die knappste Mehrheit verschaffte. Man munkelte hinter vorgehaltener Hand, daß bei dem politischen Gesinnungswandel Kamossas Geld die Hauptrolle gespielt habe, aber es gab keine Beweise dafür, auch wenn sich Grevenich ein Jahr später eine Tessiner Villa leisten konnte.
»Wollen Sie sich wieder mal scheiden lassen?« fragt der Anwalt belustigt.
»Diesmal ist es mir ernst«, erwidert Kronwein. »Ich muß sehen, wie ich das schaffe.«
»In Ihrem Fall geht das natürlich nicht auf Armenrecht«, spottet Grevenich. »Wenn Sie sich wirklich schlüssig sind, rufen Sie mich an. Ich berate Sie gern. Kostenlos. Nichts ist aussichtslos«, tröstet er seinen Vielleicht-Mandanten. »Etwas geht immer.«
»Sie haben Erfahrung mit schwierigen Scheidungsprozessen?«
»Wovon lebte ein Anwalt Ihrer Meinung nach, bevor er Abgeordneter wurde?« entgegnet der Rundliche.
»Sagen Sie mir bitte, wie man eine Frau los wird, die man zu zwanzig Prozent am Unternehmen beteiligt hat?«
»Da gibt es schon Möglichkeiten«, versetzt der Jurist. »Sie könnten zum Beispiel Ihre Verlagsgruppe umgliedern und Ihrer Frau dabei ein Fünftel als selbständigen Teil abtreten.«
»Dazu bräuchte ich ihr Einverständnis – aber daran ist nicht zu denken.«
»Dann müssen Sie eine saftige Kapitalerhöhung vornehmen, bei der Ihrer Geschäfts- und Ehepartnerin, die Luft ausgeht.«
»Daran hab ich auch schon gedacht.«
»Das heißt natürlich opfern, nicht spenden«, erklärt Grevenich und lacht wie über einen guten Witz. »Seit wann ist Ihre Frau Teilhaberin?« Er wird wieder ernsthaft.
»Das war mein Hochzeitsgeschenk vor fünfzehn Jahren.«
»Die Morgengabe. Und Ihre Frau weiß Bescheid über Ihre geschäftlichen Aktivitäten?«
»Wie sollte ich das verhindern?« antwortet Kronwein kleinlaut.
»Vermutlich kennt sie auch Geschäfte, die Sie schon vor Ihrer Eheschließung praktiziert haben?«
»Auch das, fürchte ich …«
»Schlimm. Sie stehen also unter Pression«, erwidert der Scheidungs-Spezialist. »Ihre Frau droht Ihnen mit ihrem Wissen?«
»So ungefähr.«
»Nun nehmen die Gerichte eine rachsüchtige Frau nicht so schrecklich ernst«, doziert Grevenich. »Es sei denn, sie hätte Beweise. Wie sieht’s denn damit aus?«
»Teils, teils«, antwortet der Scheidungs-Anwärter.
»Dann wäre also zunächst zu überprüfen, wieweit strafrechtliche Vorgänge bereits verjährt sind – einen Mord werden Sie schon nicht begangen haben, Kronwein.«
»Sie Witzbold«, entgegnet der Konsul. »Sie meinen also, ich …«
»Ich weiß«, versetzt der Pykniker großmütig. »Wer wie Sie in den Gründerjahren ganz nach oben kommen wollte, hat häufig Dreck am Stecken.«
Er winkt das Serviermädchen herbei, ordert neue Getränke. »Ich hab mich zwar schon weitgehend zurückgezogen, aber meine Praxis, geführt von meinem Sozius, besteht weiterhin. Ich will mich nicht aufdrängen, doch wenn Sie wollen, übernehme ich Ihren Fall. Dann freilich nicht mehr aus reiner Freundschaft.«
»Betrachten Sie mich als Ihren Klienten«, entgegnet Kronwein.
»Überschlafen Sie Ihren Vorsatz noch eine Nacht lang. Wenn Sie dann immer noch der gleichen Meinung sind, kommen Sie morgen früh zu mir ins Haus. Sagen wir ab neun Uhr.« Der Anwalt wechselt das Thema. »Haben Sie schon von der Sache mit Kamossa gehört?« fragt er und dämpft die Stimme. »Heute nacht sind in Ascona angebliche Fahndungsplakate angeklebt worden, auf denen Kamossa СКАЧАТЬ