Название: Nach mir komm ich
Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711726983
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»Viele«, versetzt Budde. »Neider, Konkurrenten. Sie wissen ja, Signor Farinelli, je höher ein Denkmal steht, desto mehr wird es vom Spatzendreck besudelt.«
Der Polizeichef lacht. »Wir werden unsere Streifentätigkeit verstärken«, verspricht er. »Wir werden versuchen, die Druckerei ausfindig zu machen, die das Pamphlet erstellt hat. Die Plakate wurden bereits entfernt, bevor sie die Öffentlichkeit richtig sehen konnte; ich glaube nicht, daß sie zum Tagesgespräch werden.«
»Dafür bin ich Ihnen dankbar. Ich möchte Sie noch bitten, die Geschichte streng vertraulich zu behandeln und mich mit den Fahndungsergebnissen auf dem laufenden zu halten. Zudem möchte ich – intern natürlich – eine Belohnung von 5000 Schweizer Franken aussetzen.«
»Das ist sehr großzügig von Ihnen. Ich denke, wir werden den Fall im Handumdrehen klären.« Farinelli gibt sich optimistisch. »Sagen Sie bitte Herrn Kamossa, daß ich mich ausdrücklich entschuldige, daß so etwas bei uns passieren konnte.«
Er sieht den beiden nach. Immer Ärger mit den Fremden, aber das schweizerische St. Tropez verdankt ihnen mehr als überfüllte Parkplätze, Autoraserei, Preissteigerungen, den Lärm der Motorboote auf dem Lago und nächtliche Alkoholexzesse.
Ascona ist tolerant, seitdem den ›Grasfressern‹ – so hatten die Einheimischen die Naturapostel auf dem Monte Verità verspottet – Exoten aller Art gefolgt waren: Schriellheiler, Zukunftsdeuter, Sektengründer, Scharlatane, Kartenleger, Gesundbeter, Meditations-Gurus, Gaukler und Sexprediger mit den Schwulen und den Lesben im Gefolge. Es kamen aber auch Künstler auf der Weltflucht, berühmte Maler neben solchen, die es sein wollten; weltbekannte Schriftsteller neben Schreibern, die sich ihr Manuskriptpapier erst noch verdienen mußten und in den Hinterstuben der Gasthöfe vor drei, vier mitleidigen Zuhörern ihrer Dichterlesungen veranstalteten.
Ein Ort, den man kaum auf der Landkarte gefunden hat, ist weltberühmt geworden, weil das einstige Fischernest allen Gastfreundschaft gewährt hatte, den Aussteigern wie den Einsteigern, den Satten wie den Hungrigen, den Verschwendern wie den Nassauern.
Problemgäste, so dämmert es Polizeichef Farinelli, sind erst die letzten Zuwanderer, die Millionäre mit ihrem Schikkeria-Troß.
III
Schon am frühen Morgen strengt sich der neue Sonnentag an, als wolle er den gestrigen an Glanz noch überbieten. Um neun Uhr morgens wirken die Hänge über dem Westufer des Lago wie mit Gold überzogen. Die Sonne klettert weiter, dem Gipfel des Ghiridone entgegen. Der Schönwetterdunst hebt sich wie ein Vorhang über dem See, der Blick reicht jetzt über die Inseln weit nach Italien hinein.
In den Luxusvillen mit den Parkgrundstücken der Steinreichen, Neureichen und Scheinreichen schlafen die Bewohner noch. Etliche müssen sich vom nächtlichen Alkoholgenuß und Bargeschwätz erholen und Kräfte für die Strapazen des heutigen Müßiggangs sammeln, aber es gibt eine schweigende Mehrheit von Neusiedlern, die keine Schlagzeilen macht und im Tessiner Paradies zurückgezogen und unauffällig lebt, ohne an dem Narrentreiben des Amüsierpöbels teilzunehmen.
Nicht nur Schwärmer nennen die Region zwischen Locarno und Brissago den schönsten Landstrich der Südschweiz. Noch verschleiert die Blütenpracht, daß der traumschöne Fleck mit der herrlichen Aussicht auf die schneebedeckten Berge von Herrschaftssitzen und Ferienhäusern zersiedelt wurde. Hübsche architektonische Einfälle stehen neben monströsen Protzbauten. Einem der Superreichen ist es gelungen, die untere Strecke eines zweitausend Jahre alten Römerwegs einreißen und für seine Autozufahrt asphaltieren zu lassen. Die Legionärsstiefel des großen Geldes trampeln über Geschichte, Kultur und Landschaftsschutz hinweg.
Der Verleger Kronwein wohnt in Moscia, in dem weißen weiträumigen Gebäude inmitten einer schönen Gartenanlage, zwei Kilometer von Ascona entfernt und fünfzig Meter hoch über dem Schweizer Becken des Lago Maggiore. Überzeugt, daß Kamossa sein Desinteresse an dem Manuskript nur vortäuscht, in Wirklichkeit jedoch darauf brennt, es einzusehen und einzusargen, hat er gestern den ganzen Nachmittag über vergeblich auf einen Rückruf des Macht-Moguls gewartet. Am Abend war es dem Ungeduldigen mit dem leicht schwammigen, aber noch immer jungenhaften Gesicht gelungen, sich aus dem Haus zu stehlen und Carlotta ein paar Stunden zu entfliehen, um Abwechslung im Dorf zu suchen und dabei vielleicht Kamossa ›zufällig‹ zu begegnen.
Der Endfünfziger hat mit nichtssagenden Leuten gespeist und ist dann im ›Club‹ hängengeblieben. Whisky auf Vorrat in sich hineinschüttend, hat er verdrossen den hübschen Mädchen auf dem Parkett zugesehen. Sicher hätte er die eine oder andere beim Blondschopf packen können, aber er wollte mit ihr ins Bett und nicht aufs Parkett. Es ist schon ziemlich spät geworden, als er mißmutig in die häusliche Schlangengrube zurückfindet, die ausgerechnet den romantischen Titel ›Villa Paradiso‹ trägt. Carlotta hat sich in ihr Schlafzimmer eingesperrt – es wird Ärger geben.
Der Spätheimkehrer quartiert sich in seinem Arbeitszimmer ein wie in einer Ausnüchterungszelle. Er kann nicht richtig schlafen und erhebt sich beizeiten, ergeht sich im Garten, immer in Hörweite des Telefons.
Zehn Uhr. Der schweizerische Rundfunk bringt Nachrichten. Nichts Besonderes. Am Ende der Wetterbericht: Die Meteorologen sagen für die Südschweiz ein langes Hoch voraus, aber in diesem Moment hört der Verleger, daß seine Frau aufgestanden ist, und stellt sich auf ein Sturmtief ein.
Die Unterlippe hängt durch wie ein schlaffes Sprungseil; er fürchtet, haßt und begehrt Carlotta. Er hatte ihr schon nachgestellt, als sie noch mit einem bekannten Regisseur verheiratet war, dessen Karriere in einer Trinkerheilanstalt beendet wurde. Inzwischen sind fünfzehn Jahre Gemeinsamkeit über das Verlegerpaar hinweggewalzt; eine Zeit enormen wirtschaftlichen Erfolgs über den Abgründen des Privatlebens. Die Gefühle der Kronweins – so es sie je gegeben hat –, wurden zersägt wie die Jungfrau in der Schaubude.
Carlotta hat ihrem Mann nicht nur das Trinken, sondern nahezu alles verboten, und er übertritt nahezu alle Zwänge mit Wonne. Er wird von ihr laufend auf Abwegen ertappt – und dafür bestraft. Die Versöhnungen arten jedesmal in Exzesse aus.
In letzter Zeit sind sie seltener geworden. Kronwein ist der abwegigen Spiele müde. Er ist es leid, von seiner Frau als ewiger Zweiter behandelt zu werden, weil ihm von Carlotta der Regisseur ständig als der Genialere, Berühmtere und Attraktivere vorgehalten wird. Dabei hat der Verleger im ersten Liebesrausch seine Frau zur Mitbesitzerin seines Unternehmens gemacht. Das war sein größter Fehler; daß er es nunmehr täglich feststellt, ändert nichts an der Tatsache.
Carlotta ist keine stille, sondern eine laute Teilhaberin. Sie hat sich in München neben seinem Arbeitszimmer ein Studio als Beobachtungsstand eingerichtet. Von hier aus mischt sie sich ständig in Geschäfte ein, von denen sie nichts oder wenig versteht. Sie fuhrwerkt in der Personalpolitik herum, verfügt Einstellungen oder Entlassungen nach hausgemachten astrologischen und graphologischen Gutachten. Trotzdem kann sie nicht verhindern, bei ihrem Mann immer wieder Taschentücher zu finden, die dieselben roten Flecken aufweisen wie das Rouge auf den Lippen ihrer weiblichen Günstlinge.
Bei Carlotta wurde es zum Wahn, den Ungetreuen an die Dressurleine zu nehmen, wie es bei ihm zum Zwang wurde, sich von seiner Herrscherin loszureißen.
Kronwein hört sie kommen; gleichzeitig klingelt das Telefon.
Der Anrufer ist Kamossa, er trifft eine Verabredung zum Mittagessen.
»Also 13 Uhr 30 im ›Ascolago‹, Herr Kamossa«, bestätigt der Verleger, legt auf und wendet sich der Eintretenden СКАЧАТЬ