Название: Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik
Автор: Arthur Rosenberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: eva digital
isbn: 9783863935061
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Neben den Welfen gewann das Zentrum noch zwei Mitkämpfer, die der Regierung Bismarcks besonders unangenehm waren. Die Verteidigung des Katholizismus gegen die protestantisch orientierte Staatsgewalt brachte ein Bündnis zwischen Zentrum und Polen. Ferner hatte die katholische Kirche Deutschlands schon seit einem Menschenalter begonnen, die in ihren Bereich gehörigen Industriearbeiter zusammenzufassen. In Deutschland ist eine selbständige Arbeiterbewegung parallel von zwei Seiten her geschaffen worden. Neben der marxistischen Bewegung steht die katholische. Es ist zweifelhaft, ob in den siebziger Jahren den herrschenden Klassen Deutschlands die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Berlin und Sachsen viel unangenehmer war als die katholische Arbeiterbewegung in Oberschlesien4 und am Rhein. In Oberschlesien prägte sich der Klassengegensatz besonders scharf aus, wo der polnisch-katholische Bergmann dem deutsch-protestantischen Werksdirektor gegenüberstand.
Das Zentrum war in seinem sozialen Charakter schon in der Kulturkampfzeit überaus buntscheckig. Aber alle Schichten, die es vereinte, waren damals ihrem Wesen nach antibürgerlich: Der Priester und der Aristokrat, der Bauer und der Arbeiter hatten insgesamt kein Interesse, die bürgerliche kapitalistische Entwicklung in den Städten zu fördern, und sie alle waren gegen den preußischen, militärischen und autokratischen Zentralismus. So war das Zentrum der gegebene Antibismarckblock. Alle Grundgedanken des Bismarckschen Reichs wurden vom Zentrum verneint. Es sollte ein Verhängnis für das bismarckische Kaiserreich werden, daß der deutsche Altkonservatismus sich nach 1866 nicht als wunderliche Laune auf einige rheinische Adelsschlösser, auf Nonnenklöster und kleine Höfe beschränkte, sondern daß wuchtige breite Volksschichten in den christlichen Bauernvereinen und den christlichen Gewerkschaften sich der katholischen föderalistischen Bewegung anschlossen. Das Bismarcksche Reich erhielt so, neben dem nie ausgeglichenen Konflikt zwischen Preußentum und Bürgertum, eine weitere schwere Belastung.
Bismarcks Kulturkampf war die Fortsetzung des Krieges von 1866 mit neuen Mitteln. Bismarck gab sich darüber keiner Täuschung hin. Einige Jahre fürchtete er, daß Deutschland einen Revanchekrieg mit dem klerikalen Frankreich und mit den Habsburgern zu führen haben würde. Dabei würde die geistliche Leitung des Angriffs gegen Deutschland beim päpstlichen Stuhl in Rom liegen, und das Zentrum, die Polen und die Weifen in Deutschland würden als Verbündete des Wiener und Pariser Revanchestrebens auftreten5. Bismarcks Verdacht, daß die Führer des Zentrums damals irgendwelche landesverräterische Pläne hegten, war völlig unbegründet. Aber es ist klar, daß ein unglücklicher Ausgang eines Krieges gegen Österreich und Frankreich eine föderalistische Neugestaltung Deutschlands und die Rückgängigmachung der Ergebnisse von 1866 und 1870/71 gebracht hätte.
Der Kulturkampf brachte eine so weitgehende Annäherung zwischen Bismarck und den Liberalen wie niemals zuvor oder danach. Das liberale Bürgertum stürzte sich mit Begeisterung in den Kampf. Zunächst weil der Antiklerikalismus seiner Ideologie völlig entsprach. Dann aber vor allem, weil der Kulturkampf die Gelegenheit zu bieten schien, das parlamentarische System und die Herrschaft der Liberalen doch zu verwirklichen6. Für das Bürgertum schien jetzt die Situation gekommen, um das nachzuholen, was man 1871 bei der Reichsgründung und der Festlegung der Reichsverfassung versäumt hatte.
Ein Teil des preußischen Adels wurde über die Entwicklung bestürzt. Man hatte in diesen Kreisen den Kurs Bismarcks seit 1866 nicht ganz begriffen. Bismarck schien alles zu tun, um das Städtertum auf Kosten des Landes hochzubringen: Der Milliardensegen der französischen Kriegsentschädigung sei von »Juden« und anderen Börsianern verschlungen worden. Das Gründer- und Schiebertum mache sich breit, während der solide Landwirt und Handwerker in seinem Einkommen zurückging. Sollte so das Deutsche Reich aussehen, das von Preußens Heer auf den Schlachtfeldern von Metz und Sedan geschaffen worden war? Nun zerstörte Bismarck auch noch die geistliche und sittliche. Autorität der Kirche. Er behaupte zwar, daß der Kampf nur gegen den Katholizismus ging. Aber die Kulturkampfgesetze mit ihrer Verweltlichung der Schule und mit der Zivilehe träfen die evangelische Weltanschauung genau so schwer. Die Ära Falk bringe die Herrschaft des liberalen Unglaubens über Preußen. Bismarck sei jetzt durch seinen falschen Kurs gezwungen, sich demselben parlamentarischen System in die Arme zu werfen, das er in der Konfliktszeit niedergezwungen hatte. Unter diesen Umständen müßten alle ehrlichen altpreußisch gesinnten Männer in Opposition gegen Bismarck treten. Der Kulturkampf müsse beendet werden. Die evangelischen und katholischen Christen Deutschlands müßten sich statt dessen zusammenschließen, um gemeinsam gegen Liberalismus, Unglauben und Schiebertum Front zu machen. Der begabteste Vorkämpfer der konservativen Opposition gegen Bismarck, der Hofprediger Stöcker, ging noch einen Schritt weiter: Wenn in den Großstädten das Industrieproletariat vom Kapitalismus und vom »Judentum« bedrückt wurde, war es da nicht die Pflicht des preußischen Königtums wie der evangelischen Kirche, diesen Armen zu Hilfe zu kommen, ihre berechtigten Forderungen zu erfüllen und sie so der sozialdemokratischen staatsfeindlichen Agitation zu entziehen?
Während Bismarck, verbündet mit den Liberalen, im heftigsten Kampf mit dem Zentrum lag, wurde er im Rücken von dem Kern des altpreußischen Adels und der evangelischen Pastorenschaft angegriffen. Die konservative Opposition gegen Bismarck war der Ausdruck bornierter Engherzigkeit. Der preußische Adel wollte nicht einsehen, was er dem Werke Bismarcks verdankte und daß seine beispiellose Machtstellung innerhalb der deutschen Nation, wenn überhaupt, so doch nur durch die Methoden Bismarcks zu behaupten war. Der Angriff der Konservativen war der gefährlichste, der für Bismarck denkbar war7. Denn bei andauernder systematischer Feindschaft des konservativen Elements wurde der Ast abgesägt, auf dem Bismarck saß. Noch hielt Wilhelm I. fest zu Bismarck; trotz aller Angriffe der »Kreuzzeitung«. Aber würde der König von Preußen in der Lage sein, auf die Dauer gegen all das zu regieren, was in Preußen an monarchistischen und militärischen Kräften vorhanden war? Sollte der Kampf Bismarcks und des Königs von Preußen gegen Zentrum und Konservative eine Dauereinrichtung werden, so folgten daraus der Parlamentarismus und die Machtübernahme durch das liberale Bürgertum, also die nachträgliche Revanche für die in der Konfliktszeit unterlegene Partei. Trotz der äußerlichen Friedensschlüsse, die später kamen, hat Bismarck das Vertrauen der konsequenten preußischen Konservativen niemals zurückgewonnen. Die Fraktion, von der Bismarck im Jahre 1890 gestürzt wurde, waren die Konservativen und Christlich-Sozialen der Richtung Stöcker. Hier gewinnt man einen Ausblick auf die innere Unhaltbarkeit des Bismarckschen Reichs. Wenn der preußische Militäradel nicht einmal einem Bismarck so viel vertraute, daß er auch nur die bescheidensten Konzessionen an die bürgerlichen Liberalen guthieß, was sollte dann aus dem Deutschen Reich werden? Dann blieb der preußische Adel ein Fremdkörper im politischen Leben Deutschlands, dessen Vorherrschaft beim ersten ernsthaften Anstoß zusammenbrechen mußte.
Die Liberalen erkannten selbstverständlich die Zwangslage, in die Bismarck durch den Kulturkampf geraten war, und suchten sie auszunutzen. Sie verlangten Zugeständnisse, die in der Summe auf ein liberales parlamentarisches Ministerium in Preußen und im Reich herausgekommen wären8. Bismarck mußte sich entscheiden. Er entschied sich, wie nicht anders zu erwarten war, gegen das parlamentarische System und gegen eine Regierung des Bürgertums. Bismarck war aber weit entfernt von der engherzigen Selbstzufriedenheit seiner Epigonen, die alles in Ordnung fanden, solange in Berlin und Potsdam die preußische Garde stand und das Volk auf der Straße dem Schutzmann gehorchte. Bismarck wußte, daß das Reich ohne die freudige freiwillige Mitarbeit und Zustimmung entscheidender Volksschichten nicht bestehen konnte.
Bismarck hatte sich bisher mit den politischen Fraktionen als der Vertretung der einzelnen Volksklassen auseinandergesetzt. Er hatte mit ihnen sämtlich, mit dem Zentrum so gut wie mit den Konservativen und Liberalen, schwer zu kämpfen gehabt, und er hatte nirgends eine konsequente verläßliche Unterstützung gefunden. Wenn er die Politiker ausschaltete und sich statt an die »Kreuzzeitungs«-Redakteure direkt an die Landwirte, statt an die liberalen Rechtsanwälte und Professoren direkt an die Fabrikanten und Handwerker wandte, waren vielleicht bessere Resultate zu erzielen1. Mußte nicht ferner eine systematische Regierungspolitik im Sinne der Landwirtschaft auch die katholischen Bauern des Zentrums in eine neue Situation bringen?
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