Letzter Weckruf für Europa. Helmut Brandstätter
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СКАЧАТЬ gefunden, die in der Bronzezeit stattgefunden hatten. Archäologen haben anhand der Knochenfunde eruiert, dass hier um 1.300 vor Christi Geburt rund 5.000 Menschen mit Schwertern und Pfeilen aus Bronze zu Fuß und auf Pferden miteinander gekämpft haben. Damals veränderte sich das Klima, die Lebensbedingungen im Norden wurden schlechter, Ressourcen entsprechend knapp. Bei diesem Krieg ging es also offenbar noch um das nackte Überleben eines Stammes; später schickten Herrscher ihre Untertanen aus reiner Machtgier auf die Schlachtfelder, oft verbrämt durch angebliche religiöse Ziele, fanatisiert durch nationalistische Gesänge oder eingebildete „rassische“ Überlegenheit. Von 7.000 v. Chr. bis ins Jahr 2001, als die Jugoslawienkriege zu Ende ging, sind Menschen in Europa also gewaltsam gegeneinander vorgegangen, und schon während der Friedensverhandlungen wurde meistens die nächste Schlacht vorbereitet.

      Der Sprecher des österreichischen Bundesheeres, Oberst Michael Bauer, kam irgendwann auf die Idee, auf der Plattform Twitter, wo Streit auch nicht immer zivilisiert abläuft, mit historischen Friedensschlüssen für historische Bildung zu sorgen. Der erste belegte Friedensvertrag geht auf das Jahr 2.740 v. Christus, auf das Sumererreich zurück, das erste Friedensabkommen in Europa wurde 449/448 v. Chr. geschlossen: der Kalliasfrieden zwischen dem Attisch-Delischen Seebund und dem persischen Achämenidenreich, das nach Europa expandiert war. Der griechische Heerführer Kallias und König Artaxerxes beendeten dadurch die Perserkriege, vorläufig zumindest. Alexander der Makedonier marschierte 334 v. Chr. wieder gegen die Perser und wurde durch die vielen Kriege in seinem kurzen Leben zu Alexander dem Großen. Der jüngste Friedensvertrag, paraphiert am 21. November in Dayton, Ohio, und unterzeichnet am 14. Dezember 1995 in Paris, beendete die Kriege nach dem Zerfall Jugoslawiens zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien.

      Der Holocaust veränderte (vorerst) alles

      In den Ersten Weltkrieg waren die europäischen Großmächte und ihre Führer, die noch dazu großteils miteinander verwandt waren, wie Schlafwandler getaumelt, so der Titel des Buches des Historikers Christopher Clark aus dem Jahr 2012. In über vier Jahren starben 17 Millionen Soldaten auf den Schlachtfeldern und Zivilisten an den Kriegsfolgen. Im November 1918 sah die Welt anders aus, drei Reiche waren untergegangen, das des Zaren, das der Habsburger und das der Hohenzollern. Die Friedensverträge, geschlossen in den Pariser Vororten, wollten mehr bestrafen als befrieden. Manche Historiker sehen die Zeit von 1914 bis 1945 wie einen großen Krieg, aber Hitler wollte mehr als die Revanche für einen ungerechten Frieden, er wollte auch mehr als „Lebensraum im Osten“. Die Vernichtung des Judentums war sein Ziel, und deren Durchführung war so erschreckend genau geplant wie der Fahrplan der Deutschen Reichsbahn. Die Amerikaner kamen spät, aber sie kamen. Den Holocaust konnten auch sie nicht mehr verhindern. Dass eine Kulturnation wie die Deutschen dazu fähig war, beschäftigt noch heute das Gewissen der deutschen Politik, und auch das offizielle Österreich hat spät, aber doch Verantwortung übernommen. 70 Millionen Tote kostete der Zweite Weltkrieg, 6 Millionen Juden wurden ermordet, zum Teil nach schrecklichen Qualen in den Vernichtungslagern, aber auch nach erniedrigenden Aktionen durch Zivilisten. Es ist und bleibt ein großes Wunder, dass die Todfeinde vieler Jahrhunderte schon kurz nach dem Krieg mit dem größten Friedenswerk der europäischen Geschichte begannen, indem sie die Verfügung über Kohle und Stahl unter eine gemeinsame Verwaltung stellten. Seither ist Versöhnung ein großes europäisches Thema, mit dem sich freilich viele am Balkan noch schwertun.

      Der Zerfall Jugoslawiens: Kein Ende der Geschichte

      Die Jugoslawien-Kriege zeigten, dass mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der kommunistischen Ideologie nicht das Ende der Geschichte gekommen war, wie der amerikanische Politologe Francis Fukuyama geschrieben hat. In einem Essay aus dem Jahr 1989 und seinem berühmt gewordenen Buch mit ebendiesem Titel drei Jahre später stellte er die These auf, dass sich liberale Demokratie und Marktwirtschaft endgültig durchgesetzt hätten. Immerhin, im November 1990 wurde die Charta von Paris unterzeichnet. Darin riefen die Staaten Europas, die auf ihren Territorien nicht nur eigene Massenvernichtungswaffen, sondern auch Bomben und Raketen der Russen und Amerikaner stationiert hatten, den ewigen Frieden für den kriegerischen Kontinent aus. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die seit November 1972 in Helsinki an der Respektierung von Staaten, Grenzen, aber auch Menschenrechten arbeitete, war damit nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall des Ostblocks zu ihrem friedlichen Ende gekommen.

      Umso ernüchternder waren die Jugoslawien-Kriege, die im Sommer 1991 in Slowenien mit dem 10-Tage-Krieg begannen und erst 2001 mit dem albanischen Aufstand in Mazedonien endeten. Die Zahl der Toten in diesen blutigen Bürgerkriegen wird auf rund 200.000 geschätzt. 2,4 Millionen Menschen flüchteten vor Verfolgung aus ihrer Heimat, Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden vor einem internationalen Strafgerichtshof verhandelt, Täter wurden abgeurteilt. Viele Wunden sind auch heute noch offen, wie man bei jedem Gespräch in einem der betroffenen Länder erfährt. Wir müssen es so klar aussprechen: Krieg am Balkan kann es wieder geben. Unverbesserliche Nationalisten sprechen bereits von Grenzverschiebungen und dem Austausch von Bevölkerungsgruppen. So etwas geht nie friedlich. Und alle schauen weg. Ja, die Sonntagsreden gibt es, in denen für die Aufnahme der Westbalkanländer in die EU geworben wird. Und dann blockierte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron im Herbst 2019 die Aufnahmegespräche mit Albanien und Nordmazedonien. Angeblich war er beleidigt, weil seine Kandidatin für die EU-Kommission nicht akzeptiert wurde. Auch das ist Europa. Aber im Frühjahr 2020 gab es eine Wendung zum Positiven. Am 24. März beschlossen die EU-Staaten die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit den beiden Ländern.

      Orbáns Spiel mit der Geschichte

      Traumatische historische Ereignisse und das politische Spiel mit ihnen können die Wurzel für neue Konflikte werden. Das weiß ein Politiker wie Viktor Orbán, der die Geschichte seines Landes massiv für nationale Aufwallungen einsetzt wie kein anderer in Europa. Das Lustschloss Grand Trianon, das Ludwig XIV. im Park von Versailles erbauen hatte lassen, werden viele Ungarn nie persönlich gesehen haben, aber sie wissen, dass dort nach dem Ersten Weltkrieg, am 4. Juni 1920, ein Vertrag unterzeichnet wurde, der aus dem Königreich Ungarn einen deutlich kleineren Staat machte. Mit diesen „Pariser Vorortverträgen“ wurde der Erste Weltkrieg in aller Form beendet, auch mit einer Unterschrift der ungarischen Regierung, die damit auf zwei Drittel der Fläche des einstigen Königreiches zugunsten der Nachbarstaaten verzichtete. Zuvor hatten Tschechen und Slowaken die tschechoslowakische Republik ausgerufen, Siebenbürgen war Rumänien zugeschlagen worden und in Zagreb hatte sich der Staat aus Serben, Kroaten und Slowenen gegründet. Für die Ungarn war es extrem schmerzvoll, dass sie auch Gebiete hergeben mussten, in denen sie die Mehrheitsbevölkerung stellten. 3 Millionen Ungarn lebten fortan außerhalb der neuen ungarischen Grenzen, wo noch rund 7,6 Millionen ihr Zuhause hatten.

      Es gibt eine eigene „Trianon-Forschungsgruppe“, deren Leiter Balázs Ablonczy in der Budapester Zeitung die Bedeutung des Wortes Trianon in einem Interview sehr anschaulich erklärte: „In Ungarn gibt es über Trianon – wie bei anderen Ereignissen des 20. Jahrhunderts auch – mehrere Erinnerungen, die grundsätzlich sehr politisch geprägt sind. Man denkt darüber auf der linken Seite anders als auf der rechten, daneben gibt es auch eine liberale und eine rechtsradikale Auffassung, die meistens unversöhnbar miteinander sind. Oft habe ich das Gefühl, dass Trianon in Ungarn gar nicht der Name des Friedensvertrags ist, denn wenn jemand darüber redet, spricht er nicht über den Vertrag, sondern über all das Übel und Unglück, das uns widerfahren ist. Ein Beispiel: Ich kam gestern am Flughafen an und auf dem Nachhauseweg fragte mich der Taxifahrer, wo ich war und was ich gemacht habe. Ich sagte, dass ich auf einer Konferenz über die Friedensverträge in Paris war, woraufhin er sofort drauflosredete, aber nach drei Sätzen sprach er überhaupt nicht mehr von Trianon, sondern darüber, wie schwer das Leben heutzutage ist und ob es vor der Wende besser war oder nicht. Das meine ich, wenn ich sage, dass Trianon der Name einer Tragödie ist.“

      So wird aus einem hundert Jahre zurückliegenden Ereignis eine Projektionsfläche für aktuelle persönliche СКАЧАТЬ