Название: Uwe Johnson
Автор: Bernd Neumann
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
Серия: eva digital
isbn: 9783863935047
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Daß jeder Abschied einen kleinen Tod auch bedeutet – wo wäre das deutlicher ausgeprägt als in der Literatur des Uwe Johnson?
Zurückgekommen ist August Nikolaus Mård, nach allem, was wir wissen, nie. Was er ferner mitbrachte und seinem Enkel vererbte, war seine wikingerhafte Erscheinung. Der Mann mag damals noch schlank gewesen sein, mit einer Neigung allerdings schon zum Korpulenten. Blond und groß, dabei von gedrungener, »stuckiger« Gestalt, wie die Mecklenburger ihn beschreiben würden. Ein langsamer, schweigsamer und besonnener Mensch, mit skandinavischer Geduld und Zurückhaltung als Lebensmaxime.
August Nikolaus Mård wurde seßhaft in jenem Mecklenburg, in dem der Namenspatron von Uwe Johnsons späterer Schule, John Brinckman (ein schwedischer Name!), 1855 als Fastelabendsprärig die folgenden, gegen die seinerzeit grassierende Auswanderung gerichteten Zeilen hatte verteilen lassen:
Jehann, bliw hir, – bliw hir, Jehann!/Wat wisst du in Amerika! [...]/Du seggst, dat du hir racken möhst [...] Wat du ok in dei Sälen liggst,/Di awmarachst un an di spannst, –/ Wer weit, wennir du Hüsung kriggst,/Wer weit, wennir du frigen kannst.
Bei der Fastelabendsprärig handelt es sich um ein unverdünntes, avanciertes Platt, der Mundart des Klützer Winkels zugehörig. Johnsons Großvater vermochte sie schwerlich zu lesen. Vermutlich hat er bis an sein Ende schwedisch gesprochen. Dennoch hat er sich, in Mecklenburg angelangt, nach der Aufforderung des John Brinckman gerichtet, blieb, fand Arbeit und ein Auskommen, das ihn am Ende sogar in den Stand setzte zu heiraten. Wirkliche Freiheit, sollte er sie denn gesucht haben, kann der Schwede jenseits der Ostsee freilich nicht gefunden haben. Denn diese neue Heimat gab ein vormodernes Land ab. Hier gingen alle Uhren langsamer. Selbst der Weltuntergang würde, der ostelbische Junker Otto von Bismarck nahm dies für gewiß, in Mecklenburg erst mit 300 Jahren Verspätung eintreffen. Auf dem Hintergrund der mecklenburgischen Zustände betrachtet, erwiesen sich die sozialen Umstände in Småland als fast schon modern. In der Bauernordnung von 1616, noch vor dem Dreißigjährigen Krieg also, in Stettin für ganz Pommern erlassen und zu August Nikolaus Mårds Zeiten nach wie vor in Geltung, heißt es:
Die Bauern sind in unserem Herzogtum keine Erbzins- oder Pachtleute, sondern Leibeigene. Sie müssen daher allerhand angemessene Frondienste ohne Beschränkung und Gewißheit leisten. Auch sind sie und ihre Söhne nicht mächtig, ohne Vorwissen der Obrigkeit und der Erlassung der Leibeigenschaft von den Höfen und Hufen sich wegzubegeben. Demgemäß gehören die Hufen, Äcker, Wiesen usw. einzig und allein der Herrschaft und Obrigkeit jedes Ortes, und die Bauern haben keinerlei Nutzungsrecht auf sie, selbst wenn sie oder ihre Vorfahren die Hufe über 50, 60, auch wohl 100 Jahre bewohnt haben. Wenn eine Herrschaft einen Bauern von einem Hofe auf den anderen versetzen will, kann er sich dessen nicht weigern, sondern ist zu folgen schuldig. Wenn aber die Bauern ihrer Höfe ganz entsetzet und Vorwerke darauf angerichtet werden, muß der Bauer ohne Widerrede weichen und den Hof nebst Äckern, Wiesen und allen Zubehörungen der Herrschaft überlassen.
Uwe Johnson selbst hat, wiederum im Versuch, einen Vater zu finden, formuliert:
Mecklenburg bleibt das einzige Land im Deutschen Reich ohne allgemeine Wahlen, der letzte ständische Staat, Ritterschaft, Domanium [sic!], Landschaft, ernst angetan mit Mittelalter, die komische Figur Europas. (Versuch, einen Vater zu finden, S. 28)
Was August Nikolaus gesehen haben mag, sein Enkel hat es aufgeschrieben:
Anblicke von Katen, die abseits von Park und Herrenhaus in lahmem Fachwerk hingen, den schiefen Fenstern, über den Brettertüren die Gitter, die das brennende Stroh auffangen sollten [...] An der Wand die hölzernen Löffel, auch ein rot und blau gemaltes Gesimse für Bibel, Gesangbuch und den Grossherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen [...] Kalender. (Versuch, einen Vater zu finden, S. 8)
In einer solchen Kate wird August Nikolaus Mård ansässig geworden sein. Arbeitete wohl als Fremdarbeiter auf einem Gut, mußte »die Mütze ziehen [...] vor der gutsherrlichen Familie, vor Inspektor und Volontär und Gutsförster und Statthalter und Gouvernante.« (ebd.)
Selbst seinen Namen mußte der Schwede schließlich aufgeben. »Mård« war den Mecklenburgern zu schwierig. Der »Sohn eines John« hatte ein Schwede für sie zu sein. 1897 wurde der Name »Johnson« offiziell, amtlich eingetragen in die Register des Deutschen Kaiserreichs. Das geschah im Zusammenhang mit der Einberufung der Söhne dieses nun »Johnson« Geheißenen in die kaiserliche Armee, ein Faktum, dem sozialgeschichtlich Symbolik eignet. Denn, man erinnert sich, der Kaiser brauchte Soldaten in dieser Zeit. Des Kaiserreichs imperiale Pläne – sie führten im Vorfeld zur definitiven Eingemeindung von Uwe Johnsons schwedischem Großvater. Hanne-Lore Johnson hat das überliefert:
Es kam die Zeit, dass auch die Jungs Soldaten werden sollten. Sie gingen zur Musterung und da wurde der Name Mård aufgerufen. Sie selber wussten nicht, dass sie Mård hiessen. Und weil der Name Johnson nicht fiel, gingen sie nach hause. Da kam der Amtshauptmann zu A. N. Mård: »Wollen Sie nicht die deutsche Staatsbuergerschaft annehmen?« Nun hatte A. N. Mård sein Auskommen, sparsam war er auch und hatte sich etwas erspart. »Ja«, sagte er, »das kann ich machen.« Die Antwort des Amtshauptmanns: »So, nun muessen Ihre Söhne Soldat werden.« Seit der Zeit sind wir deutsche Staatsbürger.
Erst gegen Ende des Jahrhunderts kann Uwe Johnsons Großvater sich verheiratet haben, wahrscheinlich mit einer erheblich jüngeren Frau. Er ist bereits 59, als im Jahr 1900 Uwe Johnsons Vater Erich geboren wird. Der Großvater jenes Schriftstellers, der die Provinz Mecklenburg durch vier Jahrzehnte hindurch und noch aus weiter Ferne so tiefenscharf wie kein anderer beschreiben sollte, hatte, bildlich gesprochen, endgültig Boden unter den Füßen und gründete eine Familie mit, wie Hanne-Lore später schreiben wird, »5 Jungs«. Sein Todesdatum kennen wir nicht; auch nicht den Platz seines Grabes. Rum-Kogel kann nicht der einzige Wohnort des Schweden in Mecklenburg geblieben sein. Da der Sohn Erich in Kladow zur Welt gekommen ist, spricht vieles dafür, daß dies auch der letzte Lebensort des ausgewanderten Schweden war.
ZWEITES KAPITEL
DIE ELTERN UND DIE »DEUTSCHE HEIMSCHULE«
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GEBURTSORT CAMMIN UND DIE ANFÄNGE EINER PERSON.
DIE ELTERN, ABER KEIN LOB DES HERKOMMENS
Die Anfänge der Person Uwe Johnsons liegen mehr im dunkeln als die Anfänge seines Geschlechts. Das hat er selbst so gewollt. Distanzierung erscheint als Programm. Es gibt bei ihm kein Gottfried Kellersches Lob des Herkommens, auch keinen Fontanisch ausgeglichenen Rückblick auf die Kinderjahre. Undenkbar im Fall des Uwe Johnson ist die freundlich-ironische Beschreibung der astrologischen Konstellation zur Stunde der eigenen Geburt – wie immer Goethe es in Dichtung und Wahrheit gehalten und noch Günter Grass am Beginn der Blechtrommel darauf angespielt hat. »Die Konjunktur war glücklich« – diesen Satz hat der nicht schreiben können, der im Zeichen des radikalen Bruchs mit der Elterngeneration erwachsen werden und schreiben lernen würde.
Im Gegenteil: Seine Sache mußte die Distanzierung vom Vorausgegangenen СКАЧАТЬ