Uwe Johnson. Bernd Neumann
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Название: Uwe Johnson

Автор: Bernd Neumann

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия: eva digital

isbn: 9783863935047

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СКАЧАТЬ Auch die frühesten Fotos zeigen ihn so, ganz vertieft in sein Spiel und ernst in Richtung des Photographen schauend. Auf dem Spielanzug aber, über dem Herzen des Kindes, erkennt der Betrachter das Zeichen des Frauenschaftsverbandes des »Dritten Reiches«. Der hier noch spielte, wird fortgegeben werden zur höheren Ehre eines »Führers«. Uwe Johnsons Mutter war überaus tätig in diesem Zusammenhang. Erich Johnson dagegen galt nicht als ein besonders überzeugter Nazi. Niemand würde später verstehen, daß die Rote Armee diesen ruhigen Mann ins von den Nazis übernommene KZ Neubrandenburg verbringen würde. Der Vater hatte sich politisch eigentlich nie exponiert. Seine politische Überzeugung war geradezu unbekannt. In die Partei trat er erst spät, im Krieg – genau am 1. März 1940 – und da unter erheblichem Druck, ein. Einen Reflex dieser Tatsache bietet die Vaterfigur des Dritten Buchs über Achim. Überhaupt tat Erich Johnson sich wenig hervor, und wenn, dann allenfalls in beruflicher Beziehung. »Verstanden hat sie ihren Mann, glaube ich, nicht« – so die Nachbarin Anneliese Klug über Erna Johnson. Die Mutter ihrerseits gehörte nie der Partei an. Doch die Mitgliedschaft stellt in unserem Zusammenhang gar nicht das Wesentliche dar. Man dürfte nämlich bei den Johnsons für das Neue Reich vor allem deshalb plädiert haben, weil man sich von ihm die Erfüllung der eigenen sozialen Aufstiegsträume versprach. Aber auch lesend strebte man nach Höherem. Es gab Bücher, die man 1945 auf der Flucht vor der Roten Armee von zu Hause mitnahm. Deren Spannweite reichte »von der gebundenen ›Gartenlaube‹ bis zu ›Die letzte Reckenburgerin‹ von Louise von François (1817–1893)«, so erinnern es die Begleitumstände (S. 34). Der Vater pflegte der Mutter solche Literatur aus Anlaß von Geburtstagen und anderen Festen zu schenken – auch wenn er es gar nicht gern sah, daß sie diese dann süchtig las. Die Familie des »Obertierzuchtwarts« Johnson gab sich also vom DKW bis zur Lektüre als Aufsteigerfamilie, und diesen Aufstieg hatte Hitlers Regime möglich gemacht. Das band die beiden Johnsons an ihren »Führer«, so wie es Millionen anderer »Volksgenossen« verpflichtete. Dabei kann kaum Zweifel daran bestehen, daß diese Bindung ausgeprägter auf seiten der Mutter auftrat. Dennoch, und das muß deutlich ins Bewußtsein gehoben werden, handelte es sich bei den Johnsons um eine ganz normale Familie des damaligen »Dritten Reiches«. Was man fürs »Winterhilfswerk« spendete, war durchaus im Rahmen des Üblichen, wie Nachbarn sich erinnern, und auch sonst gab es Auffallendes kaum zu vermelden.

      Erna Johnson steht als eine untersetzte blonde Frau vor uns, mit äußerst bestimmtem, dominantem Blick. Gab sie eine jener »atemlosen Gebärerinnen« (Drittes Buch) ab, die ihren »Führer« verehrten – und die andererseits doch eher an sozialem Aufstieg als an wirklich politischem Engagement interessiert waren? Ihr Mann mochte ihr von der Ausbildung und vom Sozialprestige her überlegen gewesen sein. Sie versorgte ja ausschließlich den Haushalt. Andererseits war sie fast ein Jahrzehnt jünger als er und immerhin ein Kind von Leuten, die einen eigenen Bauernhof besaßen. Dieser Besitz mag Erna Johnson zu Selbstbewußtsein verholfen haben gegenüber ihrem Mann. Um so mehr wuchs das freundliche und stille Kind Uwe auf die Mutter bezogen auf, zudem der Vater viel unterwegs war in Ausübung seines Berufes, der ein Herumreisen in den Molkereien des Bezirks erforderte. »Von seiner Herkunft, seinen Eltern sprach er kaum – mein Eindruck war ein gestörtes Verhältnis zur Mutter, ohne Kommentar über die Hintergründe«, so die amerikanische Verlegerin und spätere mütterliche Freundin Uwe Johnsons, Helen Wolff (in: »Wo ich her bin ...«, hg. von R. Berbig und E. Wizisla, Berlin 1993, S. 158). Kein Zweifel: Energie, Mobilität, die Bildungsaspirationen des Kleinbürgertums mit den entsprechenden Erziehungsvorstellungen zeichneten Uwe Johnsons Mutter aus.

      EIN AUGENFEHLER UND EINE LIEBE ZUR MUSIK.

       EIN EIGENES HAUS UND DIE VERTREIBUNG DARAUS

      Bereits als Kind war Uwe Johnson mit einem Augenfehler behaftet. Ein schulärztliches Attest vom 25. August 1952 bescheinigte ihm auf dem »lk. Auge« eine angeborene Weitsichtigkeit. Erna Johnson suchte das zu kurieren in der ihr eigenen Art. Mit Entschiedenheit und mittels einer schwarzen Augenklappe rückte sie ihrem Kind zu Leibe. Technisch handelte die Frau überlegt und sagte doch wiederholt im Beisein des Knaben: »du schielst as een Schafbock«. Im Leben geht, wie in der Literatur, keine Erfahrung verloren. Die Wiederkehr des Verdrängten kann, wie Psychologie und Dichtung lehren, Menschenschicksal prägen. In der eigenen Tochter Katharina wird Uwe Johnson später anamnetisch erschüttert sein Schicksal wiedererkennen, wenn er am 31. Januar 1969 an die Rostocker Ersatz-Mutter Alice Hensan schreibt:

      [...] dass Katharina schiele. Schiele! [...] Aber ich sehe das Kind an, das mit seiner eleganten braunen Brille aussieht genau wie die 12jährige in meiner Schule, die kein Mensch mochte, und kann mich nicht trösten.

      Nicht bocksartig schielend, sondern symmetrisch dreinschauend wünschte die Mutter sich ihren Sohn. Ein Hof-Erbe sollte der Knabe zunächst werden, dann ein Chirurg. Im Jahr 1947 hat die verwitwete Erna Johnson einem Mann, der sie heiraten wollte – und den sie davon abzuschrecken wünschte –, erzählt, ihr Sohn solle Medizin studieren. Die sozialen Phantasien, die sich in diesen Berufswünschen aussprachen, sind von ehrgeiziger Dynamik. Darüber hinaus sollte Uwe Johnson Geigenunterricht erhalten, ein Vorhaben, das in die Tat umgesetzt wurde. Die Aufstiegsorientiertheit des Elternhauses spricht schließlich aus jenen Passagen der Begleitumstände, wo diese die proletarische Lösung einer »Schmiedelehre« in Recknitz beschreiben:

      Leider wird diese Lehrzeit abgebrochen durch einen Wunsch des Vaters, der durch seinen Tod in ein Vermächtnis verwandelt ist: »Der Junge soll es einmal besser haben.« Darunter hat man zu jener Zeit unberatenerweise verstanden: den Übergang auf eine weiterbildende Schule, das Abitur und, womöglich, ein Studium. Hätte es damals eine Wahl gegeben, ich riete mir von heute her zur Schmiedelehre. (Begleitumstände, S. 33)

      Das freilich wurde 1979 rückblickend von einem geschrieben, der im Begriff war, sich nach jahrelanger Depression und Schreibhemmung das Schreiben mühsam wieder beizubringen. Der Wunsch nach der Schmiedelehre liest sich vor diesem Hintergrund so sarkastisch wie illusorisch und provokativ.

      Die soziale Karriere der Familie setzte sich fort und gipfelte endlich im Bezug eines Hauses mit Garten, jenem Archetyp des alldeutschen Lebenstraums. Immerhin zogen die Johnsons, soziale Aufsteiger sind in aller Regel mobil, in ihren elf Anklamer Jahren, zwischen 1934 und 1945, dreimal um. Der letzte Umzug ging im Jahr 1938 nach »Mine Hüsung 12«, knapp zwanzig Minuten Fußweg von der alten Adresse entfernt und damals noch vor der eigentlichen Stadt. Ein neuerschlossenes Wohngebiet, auf dem einladende Walmdachhäuschen errichtet wurden. »Am Markt 23« hatten die Johnsons nur den abgeteilten Part einer Fünf-Zimmer-Wohnung ihr eigen nennen können. Jetzt zog die Familie in ein geräumigeres Domizil, das durch Wohnkredite des neuen nationalen – sich ja auch sozialistisch nennenden – Regimes ermöglicht worden war. Das »Häuschen mit Garten« besaß einen – kleineren – Ziergarten vorn und einen – größeren – Nutzgarten hinten. Die Siedlung ging von der Pasewalker Landstraße ab und verlief U-förmig. Johnsons wohnten, von der erwähnten Pasewalker Landstraße her betrachtet, im rechten Flügel des Areals mit einem guten Stück freier Aussicht an der rückwärtigen Front. Eine weitere Stadtrandsiedlung entstand in ungefähr 200 Metern Entfernung, bestimmt für kinderreiche und sozialschwache Familien. Von denen war man aber durch eine Wiese getrennt, durch sumpfigen Grund, den ein Kind im Sommer barfuß als Spielplatz nutzen konnte.

      Uwe Johnson selbst hat eine ebenso mimetisch genau erinnerte wie frei konzipierte Skizze dieses frühen Wohnorts gegeben. Auch in ihr wird der Ensemble-Charakter der neuen Siedlung betont, der ursprünglich sehr viel strenger als heute ins Auge getreten sein wird. Daneben stellt der Erinnernde heraus, was dieser Umzug für das soziale Selbstgefühl der Familie und deren emotionalen Zusammenhalt bewirkte. Es entsteht das Bild von Menschen, die in der Gleichförmigkeit ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln, die auch neue Zuneigung füreinander finden, verbunden durch den Stolz auf das endlich Erreichte. Diese nur a posteriori widersprüchliche Signatur prägt Johnsons literarische Skizze des Anklamer Milieus im Dritten Buch über Achim, wo der Autor seiner Figur Achim eine Jugendbiographie erfindet, in der Züge des Alltagslebens der Johnsons um 1939/40 zu erkennen sind:

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