Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul Schmidt страница 21

Название: Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945

Автор: Paul Schmidt

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: eva digital

isbn: 9783863935030

isbn:

СКАЧАТЬ damals wie heute eines der Hauptthemen der internationalen Politik war.

      Unwillkürlich gingen meine Gedanken zurück zu der Zeit um 1919, als Frankreich unter dem noch frischen Eindruck des ungleichen Stärkeverhältnisses gegenüber Deutschland begreiflicherweise nach Möglichkeiten Ausschau hielt, seine Sicherheit zu gewährleisten. So hatte es das linke Rheinufer als Zukunftssicherung verlangt. Auf der Pariser Friedenskonferenz hatten sich aber England und Amerika dieser Forderung, welche die Schaffung eines neuen Elsaß-Lothringens auf deutscher Seite bedeutete, widersetzt und nach langem Hin und Her Frankreich als Ersatz einen Garantievertrag angeboten. Im englischen Parlament war dieser Vertrag von dem Beitritt der Vereinigten Staaten abhängig gemacht worden. Als sich dann der amerikanische Kongreß ablehnend verhielt, fiel die Garantie völlig ins Wasser, und Frankreich hatte weder das linke Rheinufer noch den Schutz Englands und Amerikas erhalten.

      Poincaré hatte mit seiner Ruhrbesetzung und der Förderung des Separatismus erneut den Versuch gemacht, Frankreichs Sicherheit durch Vorverlegung seiner Einflußgrenze nach Osten sogar noch über das linke Rheinufer hinaus zu festigen. Dieser Plan war aber am Widerstand der Deutschen und an der Ablehnung Englands gescheitert. Durch die Londoner Abmachungen von 1924 war Frankreichs Bemühungen in dieser Richtung praktisch ein unüberwindlicher Riegel vorgeschoben worden. Das hatte naturgemäß zu jenen Stürmen der Entrüstung gegen Herriot geführt, deren Niederschlag ich selbst in Paris in der Presse und in der Kammer miterlebt hatte. Zweifellos aber waren Herriot in London von den Engländern, genau so wie seinerzeit auf der Pariser Konferenz, Ersatzlösungen angeboten worden. Das hatte sich im Herbst 1924 auf der jährlichen Vollversammlung des Völkerbundes bestätigt, als von MacDonald das sogenannte Genfer Protokoll „zur friedlichen Regelung internationaler Streitigkeiten“ in einer aufsehenerregenden Rede vorgeschlagen wurde, der Herriot natürlich wärmstens sekundierte. In diesem Protokoll wurde die Sicherheitsfrage auf eine breite internationale Basis gestellt und nicht mehr allein durch das Versprechen Englands, Frankreich bei einem Angriff zu Hilfe zu kommen, gelöst.

      Wieder aber hatte es im englischen Parlament Schwierigkeiten gegeben. Auch die englischen Dominions hatten sich gegen jede automatische Hineinziehung in europäische Streitigkeiten gewehrt, so daß dieser Versuch, Frankreichs Sicherheitswünsche zu befriedigen, ebenso fehlschlug. Das war die Lage im Februar 1924.

      Auch auf deutscher Seite hatte man schon frühzeitig erkannt, daß viele der politischen Schwierigkeiten mit Frankreich behoben und dessen immer wieder hervortretende Bemühungen, seine Grenzen auf Kosten Deutschlands nach Osten vorzuschieben, abgewendet werden könnten, wenn man seiner begreiflichen Sorge um die Sicherheit auf andere Weise entgegenkäme.

      So hatte die Regierung Cuno Ende 1922 zu diesem Zweck bereits vorgeschlagen, daß Deutschland und Frankreich gemeinsam mit anderen am Rhein interessierten Mächten sich gegenseitig verpflichten sollten, eine Generation lang ohne eine vorherige Volksbefragung keinen Krieg gegeneinander zu führen. Diese Verpflichtung sollte unter die Garantie der Vereinigten Staaten gestellt werden. Der Vorschlag wurde jedoch mit Hohn von Poincaré zurückgewiesen und war in seiner Begrenzung auf eine Generation und der etwas verdächtig wirkenden Verbindung des Krieges mit einer Volksbefragung auch nicht gerade glücklich formuliert gewesen.

      Das alles kannte ich nur vom Hörensagen, d. h. ich hatte es in der Presse oder in Büchern gelesen. Eine persönliche Erinnerung war mir jedoch bei der Übersetzung der deutschen Note ebenfalls in den Sinn gekommen. Im September 1923 hatte Stresemann als Reichskanzler in Stuttgart eine viel beachtete außenpolitische Rede gehalten, die auch im Sprachendienst für die Auslandspresse übersetzt worden war, und zur Sicherheitsfrage folgendermaßen Stellung genommen:

      „Da der Alpdruck Frankreichs vor einem etwaigen deutschen Angriff, so völlig töricht er uns erscheinen mag, noch heute weite Kreise der französischen öffentlichen Meinung beherrscht, haben unsere Botschafter und Gesandten in Paris, London, Rom und Brüssel mitgeteilt, daß Deutschland bereit sei, dem Sicherheitspakt der am Rhein interessierten Mächte beizutreten, sei es, daß er sich auf Abmachungen über die Vermeidung eines Krieges bezöge, sei es, daß er die Garantierung des gegenwärtigen Besitzstandes am Rhein zum Gegenstand hätte. Außerdem sei Deutschland, zur Bekundung seines Friedenswillens, bereit, mit allen Staaten Schiedsgerichtsverträge zu schließen, wie wir dies mit der Schweiz und Schweden bereits getan haben.“

      Als ich mich an diese Sätze erinnerte, war mir an dem Februarabend auf der Botschaft in Paris, auch ohne daß ich im einzelnen über die Entstehungsgeschichte der deutschen Note unterrichtet war, sofort klar, daß der geistige Urheber Stresemann sein müsse, der mit jener Hartnäckigkeit, die ich in London so deutlich erlebt hatte, immer wieder von neuem versuchte, auf dem Wege der Befriedung Frankreichs vorwärtszukommen. Mir war damals unbekannt, daß Stresemann bei seinen Bemühungen von dem englischen Botschafter in Berlin, Lord D’Abernon, starke Anregungen empfangen hatte und daß dieser auch die ursprünglich recht ablehnende Haltung des damaligen Außenministers, Austen Chamberlain, ins Gegenteil zu verwandeln gewußt hatte.

      Voller Spannung wartete ich in den nächsten Tagen auf ein Echo von Herriot. Der einzige, mit dem ich darüber sprechen konnte, war Botschaftsrat Forster; der aber konnte mir auch nichts sagen, denn Herriot hatte sich darauf beschränkt, die Note mehr oder weniger kommentarlos entgegenzunehmen und ihre Prüfung zuzusagen.

      So kam mir dieser Vorgang allmählich wieder aus dem Sinn. Meine ganze Aufmerksamkeit wurde von den Wirtschaftsverhandlungen gefangengenommen. Sie brachten mir sehr viel Arbeit. Nacheinander zogen sämtliche Sparten der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen auf industriellem und landwirtschaftlichem Gebiet an mir vorüber. Ich assistierte deutschen und französischen Wirtschaftsführern mit berühmten Namen wie Thyssen, Vögler, Citroën, Duchemin und Prominenten des Comité des Forges, die als Sachverständige zur Beratung über den sie besonders angehenden Verhandlungsabschnitt herangezogen wurden. Der weitaus wichtigere Teil der damaligen Pariser Gespräche waren jedoch die ebenfalls unter meiner Mitwirkung geführten privaten Unterhaltungen zwischen den deutschen und französischen Industriellen, die den Grundstein für die Zusammenarbeit in vielen Industrien legten und den Kristallisationspunkt für spätere mehrseitige Industrieverständigungen in Europa bildeten. Wenig berührt von den politischen Schwankungen, waren diese Abmachungen zwischen den einzelnen Industrien bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ein wichtiger Faktor des europäischen Wirtschaftslebens und seiner Stabilisierung.

      Ich mußte mich fast wie in der Schule auf jede dieser Verhandlungen genauestens vorbereiten, lernte den deutschen und den französischen Zolltarif beinahe auswendig und gewann einen recht guten Überblick über die Praxis des Warenaustausches zwischen den europäischen Ländern. Von der Schwerindustrie bis zur weichen Faßseife, von den aus Südfrankreich in Eiltransporten nach Hamburg und Berlin verfrachteten frischen Blumen bis zu den Kämpfen um die Weinzölle, von Lederwaren bis zu feuerfesten Steinen war alles in meinem Repertoire enthalten. Von Politik und Sicherheit hörte ich kein Sterbenswörtchen mehr.

      Erst als ich im Sommer während einer mehrmonatigen Verhandlungspause nach Berlin zurückkam, konnte ich feststellen, daß das in der Februarnote gemachte deutsche Paktangebot inzwischen Gegenstand eines eingehenderen Meinungsaustausches auf schriftlichem Wege zwischen Deutschland, Frankreich und England gewesen war. Bei meiner Rückkehr waren die Dinge so weit gediehen, daß sich in London ein Juristenausschuß mit der Ausarbeitung eines genauen Vertragsentwurfes beschäftigte. Das später bei vielen Konferenzen als stabiles Element in Erscheinung tretende Dreigestirn der Kronjuristen Deutschlands, Frankreichs und Englands, Gaus, Fromageot und Hurst, hatte hier die letzte Hand an die Vorbereitungen für die Konferenz gelegt, die Oktober 1924 in einem damals noch völlig unbekannten kleinen Kurort der Südschweiz am Lago Maggiore, in Locarno, stattfand und diesen Namen innerhalb von wenigen Tagen weltbekannt und zu einem Symbol für die Friedenshoffnungen Europas machte. Die Morgenröte, von der Herriot ein Jahr vorher gesprochen natte, brach mit den herrlichen Herbsttagen in Locarno an.

      Am 2. Oktober fuhr ich zum zweiten Male in einem Sonderzug als Mitglied einer großen Delegation von Berlin СКАЧАТЬ