Название: Theorie U - Von der Zukunft her führen
Автор: C. Otto Scharmer
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
Серия: Management
isbn: 9783849782559
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Der andere Grund dafür, warum diese dritte Sichtweise immer wichtiger wird, ist der, dass wir diesen Entwicklungen nicht hilflos zuschauen müssen. Es gibt kein dahinter stehendes physikalisches Gesetz, sondern es sind allein die menschlichen Gewohnheiten, die diesen Problemen zugrunde liegen. Unsere Verhaltensgewohnheiten haben sich in sozialen Strukturen manifestiert, die wir reproduzieren, aber es ist möglich, alternative Strukturen hervorzubringen. Diese Veränderungen zu erreichen heißt nicht weniger, als »unsere Welt neu hervorzubringen«; die Fähigkeit dazu basiert auf der radikalen Sicht unserer kollektiven Fähigkeit, wie Martin Buber es ausdrückte, »dem aus sich Werdenden« zu lauschen, »dem Weg des Wesens in der Welt«, um es dann so in die Realisierung zu bringen »wie es verwirklicht werden will«.
Als Freund und Partner von Otto Scharmer habe ich nun mehr als zehn Jahre auf dieses Buch gewartet, genauso wie viele meiner Kollegen. Ohne Frage ist Otto der Denker, Theoretiker und auch der führende Praktiker der »U-Methodologie«. In seiner umfassenden praktischen Erfahrung mit Veränderungsprojekten hat er sich ein einzigartiges Verständnis der Herausforderungen und Chancen erworben, die mit der Anwendung des U-Prozesses verbunden sind. Dieser Lernprozess beginnt mit der Auseinandersetzung mit diesem Buch.
Das vorliegende Buch ist auf verschiedenen Ebenen hilfreich. Das Erste, was es verdeutlicht: Jeder soziale Kontext – von Teams über Organisationen hin zu sozialen Systemen – ist größer als das, was sich auf den ersten Blick zeigt. Viele von uns kennen die Energie eines Teams, das sich total mit seiner Arbeit verbindet, wenn Vertrauen, Offenheit und ein Gefühl des Möglichen die Zusammenarbeit bestimmen. Wir kennen auch sämtlich das Gegenteil, wenn Angst und Misstrauen dominieren und wenn jeder Kommentar mit einem polemischen Unterton durchtränkt ist. Otto Scharmer nennt solche Kontexte das »soziale Feld« und hat meiner Meinung nach einzigartige Erkenntnisse darüber, wie dieses soziale Feld entsteht und sich entwickelt, indem es von einem Zustand in einen anderen springt.
Leider finden eine positive Entwicklung und Zustandsveränderung nur in einigen wenigen sozialen Feldern statt. Die meisten – Familien, Teams, Organisationen und Gesellschaften – bleiben zum größten Teil unverändert, da die zugrunde liegende Aufmerksamkeitsebene für uns unsichtbar bleibt. Wir nehmen die wenig sichtbaren Kräfte, die das, was passiert, bestimmen, nicht wahr, weil wir auch viel zu sehr reaktiv tätig sind. Wir nehmen Herausforderungen und Situationen in einem mentalen Modell wahr, das Otto Scharmer »Downloading« nennt, und in diesem Modell definieren wir die Probleme und unsere Reaktionen. Zum Beispiel hören wir, wenn wir zuhören, gewöhnlich nicht viel mehr als das, was wir immer schon gehört und gewusst haben. »Jetzt geht das schon wieder los!«, ruft unsere innere Stimme. Von diesem Punkt an hören wir nur selektiv das, was wir bereits kennen, wir interpretieren die Gegenwart basierend auf dem, was wir aus der Vergangenheit kennen, und ziehen Schlussfolgerungen so, wie wir sie immer schon gezogen haben. Solange diese Form des Zuhörens überwiegt, verlängert auch unser Handeln den Status quo, obwohl wir als Akteure ernsthaft die Absicht haben, eine Änderung zu initiieren. Veränderungsinitiativen, die auf dieser Ebene der Aufmerksamkeit entstehen, konzentrieren sich normalerweise darauf, bei »den anderen« etwas zu verändern, im »System«, oder darauf, einen externen »Veränderungsprozess« zu »implementieren«. Die Akteure fixieren sich auf ein externes Objekt und selten darauf, was »ich« tun muss oder »wir« tun müssen, damit das System sich verändern kann.
Wenn sich die Aufmerksamkeit vertieft, verändert sich das soziale Feld. Otto Scharmer beschreibt drei Ebenen der tieferen Wahrnehmung und die jeweils eintretende Veränderungsdynamik, die sie in der sozialen Welt hervorbringt. »Unser Sehen zu sehen« erfordert die Intelligenz unseres geöffneten Denkens, Herzens und Willens.
Der erste Öffnungsprozess setzt ein, wenn Akteure beginnen, ihre eigenen Annahmen zu sehen, und in der Folge Zusammenhänge wahrnehmen, die sie vor dieser Öffnung nicht sehen konnten. Das ist der Anfang jedes Lernprozesses, beispielsweise in einem Unternehmen, das anfängt, signifikante Veränderungen im eigenen Umfeld wahrzunehmen.
Doch etwas Neues zu sehen führt nicht notwendigerweise dazu, anders zu handeln. Es ist dazu eine tiefere Ebene der Aufmerksamkeit nötig, eine, die es den Handelnden möglich macht, aus ihrer Erfahrung der Vergangenheit hinauszutreten und über das Denken hinaus zu empfinden. Zahllose Unternehmen waren nicht in der Lage, auf Veränderungen in ihrem Umfeld einzugehen, obwohl sie diese Veränderungen sehen konnten. Warum? Arie de Geus, Autor und ehemaliger Verantwortlicher für Planung und Strategie bei Royal Dutch Shell, beschrieb dies so: »Die Signale einer neuen Realität penetrieren einfach nicht das Immunsystem des Unternehmens.« Der Durchbruch geschieht erst dann, wenn die Akteure in dieser sich verändernden Realität anfangen, ihre eigene Rolle zu sehen, nämlich das Alte zu erhalten und das Neue zu verhindern. Dieser Durchbruch kann sowohl in einer Organisation als auch etwa auf nationaler Ebene stattfinden. Beispielsweise begann in Südafrika meiner Beobachtung nach diese tiefere Art zu sehen in den späteren 1980ern. Es lassen sich heute viele Beispiele weltweit finden. Die Vorbedingung ist, dass Menschen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, einschließlich des Machtzentrums, aufwachen und die Bedrohung, mit der sie in der Zukunft konfrontiert sind, wahrnehmen. In Südafrika begannen mehr und mehr Menschen zu sehen, dass das Land einfach keine Zukunft haben würde, wenn das Apartheidsystem fortgeführt würde, und dass sie Teil des Systems waren.
Wenn diese Form von Aufwachen beginnt, dann ist es wichtig, dass die Menschen auch zu sehen anfangen, dass die Zukunft sich von der Vergangenheit unterscheiden kann. Dieses »Sehen« einer möglichen Zukunft heißt allerdings nicht notwendigerweise, dass wir intellektuell davon überzeugt sind, dass sich etwas ändern wird; wir kennen das alle: Wir nicken und machen dann weiter wie vorher.
Die dritte Ebene des »Sehens« öffnet unsere tiefen Ebenen von Verbindlichkeit. Diese Öffnung des Willens ist von allen drei Veränderungen am schwersten zu beschreiben. Aber sie kann ungeheuer wirkungsvoll und selbsterklärend sein, wenn sie stattfindet. In Südafrika kam es meiner Ansicht nach zu dieser Öffnung, als Weiße und Schwarze die Liebe für ihr Land entdeckten – nicht für die Regierung oder etablierte Systeme, sondern für das Land an sich. Ich habe das erstmals in vielen Gesprächen mit weißen Südafrikanern gehört, die zu meinem Erstaunen erklärten, dass sie »Afrikaner« seien, dass sie sich dem Land und dem Ort ebenso wie den Menschen dieses Landes tief verbunden fühlten. Diese tiefe Verbindung mit dem Ort bestand auch bei den meisten schwarzen Südafrikanern, trotz ihrer Unterdrückung. Ich bin tatsächlich überzeugt, dass das neue Südafrika aus dieser kollektiven Verbindung hervorgegangen ist, aus diesem tiefen Gefühl, dass es fast eine heilige Pflicht ist, ein Land zu schaffen, das in der Zukunft überleben und gedeihen kann – und das war nur gemeinsam möglich.
Der geöffnete Wille drückt sich oft so aus: »Das ist etwas, was wir tun müssen, obwohl uns nicht ganz klar ist, wie.« Unser Kollege Joseph Jaworski beschreibt dies als ein »Sich-in-die-Sache-Reingeben«. Eine andere Formulierung ist: »Ich hörte den Ruf«, und ich habe das oft Menschen sagen hören, wenn sie ihren Lebensweg beschrieben. Wenn eine Antwort auf diesen »Ruf« nicht mit einem kontinuierlichen Prozess der Öffnung des Denkens und des Fühlens verbunden ist, kann auch eine solche Verpflichtung in Fanatismus umschlagen, und der schöpferische Prozess wird zum Versuch, Dinge mit der blanken Macht des aufzwingenden Willens umzusetzen. Einer der wesentlichen Punkte der Theorie U ist, dass diese drei Öffnungen – des Denkens, des Fühlens und des Willens – zusammengehören und ein Ganzes bilden.
Wenn dieser Öffnungsprozess auf allen drei Ebenen stattfindet, dann geschieht ein Umbruch in der Qualität des Lernens. Alle Lerntheorien und -konzepte basieren auf einem Lernen, das die Vergangenheit zum Ausgangspunkt nimmt. Sie fragen, wie wir von dem, was in der Vergangenheit geschah, lernen können. Dieser Typus von Lernen ist wichtig, aber er ist nicht ausreichend dafür, sich in eine Zukunft bewegen zu können, die sich grundlegend von der Vergangenheit unterscheidet. Dafür ist eine zweite, weniger bekannte Form des Lernens gefordert. Diese Form nennt Otto Scharmer das »Lernen von einer im Entstehen begriffenen Zukunft«. Ein Lernen von der Zukunft ist entscheidend für Innovationen. Dieses Lernen involviert Intuition. СКАЧАТЬ