Название: Friede kehrt ein
Автор: Karin Ackermann-Stoletzky
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783955684051
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„Euer Vater ist sehr gefasst“, sagte Mutter und wischte sich die Tränen vom Gesicht. „Ich wünschte, wir könnten ihm noch eine ganz große Freude machen, bevor alles noch schlimmer wird.“
Wir überlegten hin und her, machten Vorschläge, die wir bald wieder verwarfen. Es musste ja nicht nur etwas sein, worüber er sich freute, sondern etwas, was zu Hause möglich war und Vater nicht zu sehr anstrengen würde. Aber was?
„Warum feiern wir nicht Weihnachten mit Vater?“, schlug meine Schwester vor.
„Weihnachten im August? Mit Christbaum und so? Das geht doch nicht“, sagte meine 10-jährige Tochter, als meine Frau unseren Mädchen davon erzählte.
Und die 14-Jährige meinte: „Da kommt doch gar keine Stimmung auf, mitten im Sommer. Da schmelzen ja die Kerzen am Baum.“
Aber wir hielten an unserem Plan fest und feierten eine Woche später Weihnachten. Ich hatte – sehr zur Verwunderung meines Nachbarn – am Tag davor eine mittelgroße, gerade gewachsene Tanne im Garten gefällt, sie im Wohnzimmer meiner Eltern aufgestellt und mit meiner Frau und meinen Töchtern mit den üblichen Sternen und Kugeln und ausnahmsweise elektrischen Kerzen geschmückt. Darunter hatten wir die Krippe aus dem Erzgebirge aufgebaut. Was sonst ein ausgelassenes gemeinsames Unternehmen gewesen war, geschah diesmal eher traurig und still. Der Gedanke, dass Opa bald sterben würde, hatte uns bedrückt.
Opa war am Morgen aus dem Krankenhaus entlassen worden und lag seitdem blass in seinem Bett. Er wusste, dass wir alle zusammen am Nachmittag Kaffee trinken würden. Der eigentliche Anlass sollte eine Überraschung für ihn sein.
Als es so weit war, half ich meinem abgemagerten Vater aus dem Bett, setzte ihn in den Rollstuhl und legte eine leichte Decke über seine Beine.
„Danke, mein Junge!“, sagte er nach Atem ringend, weil ihn die kleine Aktion angestrengt hatte.
Wie hinfällig der einst so tatkräftige Mann innerhalb weniger Monate geworden war! Ich spürte einen Kloß im Hals, als ich ihn über den Flur schob. Mutter stand bereits an der Wohnzimmertür und öffnete sie mit einem tapferen Lächeln. Ich fuhr meinen Vater in den verdunkelten Raum.
In der Zimmerecke leuchteten die Kerzen am Christbaum. Rechts und links daneben standen die restlichen Familienmitglieder und warteten gespannt auf die Reaktion von Opa. Von einer CD erklang ein Weihnachtslied. Wir hatten beschlossen, nicht selbst zu singen, weil wir nicht wussten, ob wir in Tränen ausbrechen würden.
Opa blinzelte mit den Augen und schaute sich ungläubig um.
„Opa, gefällt es dir, dass wir Weihnachten im Sommer feiern?“, fragte meine 10-Jährige, als der letzte Ton von „O du fröhliche“ verklungen war.
„Weil du Weihnachten so sehr liebst und das Fest im Dezember wohl nicht mehr mit uns feiern kannst …“, Mutter versagte die Stimme.
„… sondern mit Jesus im Himmel“, ergänzte meine Schwester, „wollten wir es mit dir noch einmal zusammen feiern.“
Opa nickte, zu überwältigt von der großen Freude, die wir ihm bescherten.
Dann setzten wir uns, tranken Kaffee und aßen die Weihnachtsplätzchen, die meine Schwester am Vorabend noch gebacken hatte, bevor sie sich am frühen Morgen wieder ins Auto setzte, um zu uns zu fahren.
Zugegeben: Das Zusammensein war nicht so fröhlich und ungezwungen wie am „richtigen“ Heiligen Abend. Und „richtige“ Weihnachtsstimmung kam auch nicht auf an diesem heißen Freitagnachmittag, während draußen die Vögel zwitscherten und betörender Rosenduft durch die Ritzen des heruntergelassenen Rollos strömte. Es gab auch keine Geschenke, außer dem einen Geschenk, das wir Opa mit dem Fest machten.
„Opa“, sagte da mit einem Mal meine Frau, „mir fällt gerade ein, dass bei unserem Weihnachtsfest heute noch was Wesentliches fehlt.“
„Ich weiß, was du meinst“, sagte er und zu Mutter gewandt: „Hol mir bitte meine Bibel!“
Beinah ehrfurchtsvoll nahm Opa das alte Buch in die Hand, rückte sich im Rollstuhl zurecht und schlug den Evangelisten Lukas auf. Dann begann er zu lesen. Seine Stimme zitterte, als er die bekannten Worte vorlas. Doch als er zu seiner Lieblingsstelle kam, wurde sie wie gewohnt fest: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Opa hielt lange inne, zu bewegt, um weiterzulesen. Mutter drückte ihm zärtlich die Hand und las die restlichen Verse der Weihnachtsgeschichte vor.
Zwei Monate später starb Opa. Es war ein schwerer Abschied, und doch tröstete uns der Gedanke, dass für Opa nun jeden Tag Weihnachten war.
Anders als erwartet
von Ingrid Boller
„Hallo Heike, hier ist Gabi.“
„Hallo Gabi, schön, dich zu hören! Wie geht es dir? Hast du deine Weihnachtsvorbereitungen schon abgeschlossen?“
„Danke, ich bin ganz gut vorangekommen. Aber es ist ja auch nicht mehr viel.“
„Ja, das stimmt. Ich habe auch nur noch ein paar Kleinigkeiten zu besorgen, und übermorgen fahre ich schon nach Bayern zu den Kindern. Sie haben mich für die Weihnachtsfeiertage eingeladen. Ich freu mich so sehr darauf, vor allem auf mein Enkelkind.“
„Ja, das kann ich gut verstehen. Dann bist du also Heiligabend gar nicht hier“, schlussfolgerte Gabi.
„Nein, ich komme erst zwischen den Jahren wieder.“
„Dann wünsche ich dir richtig schöne Feiertage!“
„Danke, ich dir auch! Tschüs!“
„Danke, tschüs!“
Mit einem leisen Seufzer drückte Gabi die rote Auflegetaste ihres Telefons, um das Gespräch zu beenden. Sie hatte vorgehabt, Heike für den Heiligabend zu sich einzuladen. Seit Gabis Mann vor einigen Jahren gestorben war, hatten sie ein paar Mal diesen Abend zusammen verbracht. Heikes Tochter, eine Ärztin, war mit einem Ingenieur verheiratet. Die beiden hatten drei Jahre als Entwicklungshelfer in Uganda verbracht. Im letzten Frühjahr waren sie zurückgekommen, und im Herbst war Heike Großmutter geworden. Gabi gönnte es der Freundin von Herzen, zumal Heike und ihr Mann sich schon vor Jahren getrennt hatten.
Gabi spürte, wie sich Wehmut und Einsamkeit in ihr ausbreiteten. Kai, ihr Sohn, war als Manager eines großen Konzerns beruflich sehr eingespannt. Ihre Schwiegertochter Katja arbeitete als Juristin in einer großen Kanzlei. Die beiden wollten über die Feiertage richtig ausspannen und waren vorgestern nach Thailand geflogen.
Für Gabi war es kaum vorstellbar, Weihnachten ganz woanders zu verbringen, schon gar nicht an einem Strand bei dreißig Grad im Schatten. Nein, am liebsten war sie zu Hause, ganz traditionell mit Christvesper, Weihnachtsbaum, Weihnachtsgans und den vertrauten Weihnachtsliedern. Vielleicht würde es sogar schneien. Aber sie konnte auch verstehen, dass Kai und Katja gern einmal die Möglichkeit eines solchen Urlaubs wahrnehmen wollten. Vielleicht, so dachte Gabi, planten die beiden ja Nachwuchs. Und dann wäre sowieso alles anders.
Verstand und Verständnis war die eine Sache, das Gefühl eine andere. Und das Gefühl drohte sie jetzt doch zu überwältigen. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen hinunterschlucken. СКАЧАТЬ