Название: Elfenzeit 5: Trugwandel
Автор: Uschi Zietsch
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Elfenzeit
isbn: 9783946773269
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Als der Tiermann in den Kerkergang abbog, gab es sofort Aufruhr in den Verliesen. »Herr, gnädiger, gütiger Herr, lasst mich frei, ich bin unschuldig!« – »Lasst den doch reden, er ist ein stinkender Lügner, aber ich, bitte, guter Herr, ich habe die Freiheit viel mehr verdient!« – »Hört nicht auf die, edler Herr, sie wollen euch nur ermorden! Doch ich will Euer Diener sein, auf ewig, wenn Ihr mich befreit!«
Von allen Seiten drangen Stimmen auf ihn ein, und viele unterschiedliche Gliedmaßen streckten sich flehend aus der Dunkelheit durch die Gitterstäbe. Ainfar hielt sich die Ohren zu, er konnte es kaum ertragen. So viel Jammer und Leid waren selbst für einen Elfen zu viel. Der Weg durch den fackelbeleuchteten Gang wurde zum Pfad durch die Endlosigkeit. Der Tiermann ermahnte sich, nicht darauf zu achten, er hatte nur ein Ziel; nämlich den Verursacher des Liedes zu finden, und dabei durfte er nicht auffallen. Um keinen Preis.
Doch schließlich hielt er es nicht mehr aus. Bei der nächstbesten Tür verharrte er, prüfte Schloss und Magie, fand beides recht einfach, und knackte es. Mit einem heftigen Ruck riss er die Gittertür auf und sagte: »Komm heraus, du bist frei!«
In der Dunkelheit, die seine Augen nicht durchdringen konnten, gab es ein platzendes Geräusch, gefolgt von einem … Kichern?
Ainfar fuhr zurück, als ein nur handspannenlanges, geflügeltes Wesen in Augenhöhe herausschwirrte und sich vor Lachen ausschüttete.
»Ein … ein Irrwicht … aber wie …«, stieß der Tiermann bleich hervor.
Rings um ihn zogen sich die Gliedmaßen plötzlich zurück, und überall erklangen die platzenden Geräusche und das Kichern. Scharen von Irrwichten strömten durch die Gitterstäbe heraus und flatterten schnatternd und sich gegenseitig schubsend davon, die Treppe hinauf.
Ainfar schüttelte den Kopf, zwickte sich in den Arm, ob er träumte, und konnte es nicht fassen. Aus der Tiefe des Gangs, von wo das Lied erklungen war, erschall nun Gelächter. Ainfar wandte sich um und sah im flackernden Fackellicht eine Silhouette am anderen Ende, die in Ketten hing. Ein schlecht angenagelter, nicht angepasster Schatten hing in Fetzen von den Füßen herab. Die Fackeln zeichneten mit Feuerfingern ein Hirschgeweih über dem Kopf des Gefangenen an die Wand.
»Du bist echt«, sagte der Tiermann und ging auf den Häftling zu.
»Brüderchen!«, rief Alebin begeistert. »Ich bin gerührt, dich zu sehen! Dich hätte ich hier zuletzt erwartet, Nesthäkchen!«
»Ich dich ebenso wenig«, gestand Ainfar. Er wies auf die leeren Kerker. »Was hat das alles zu bedeuten? War es immer nur Lug und Trug, was wir da oben hörten?«
»Wer weiß?« Alebin kicherte wie ein Irrer. Sein nur noch von Fetzen bedeckter Körper war zerschunden, aber im Heilungsprozess. »Seit ich hier unten bin, gab es niemanden sonst. Ich habe selbst eine halbe Ewigkeit gebraucht, bis ich die Irrwichte erkannte. Du kannst dir mein Staunen vorstellen! Natürlich habe ich meinen Foltermeister gefragt, was das zu bedeuten hat. Er lachte nur hämisch, wie du dir denken kannst, und meinte, er wollte das Verlies ganz für mich reservieren, alles andere sei unwichtig geworden.«
»Verdammt …« Ainfar ballte die Hände zu Fäusten. »Das … glaube ich einfach nicht!«
»Glaub, was du willst, kleiner Bruder, du wirst keine Antwort erhalten. Wir werden nie herausfinden, wer er ist, auch wenn ich schon nahe dran bin. Doch ich denke, den letzten Schritt wird er mir vorenthalten …« Alebin gackerte.
»Er gibt dir doch nur, was du willst, Alebin, und du hast nichts Besseres verdient, für all die Lügen, Intrigen, Schandtaten, die du schon begangen hast«, erwiderte Ainfar wutentbrannt. »Deinetwegen fand meine Mutter den Tod …«
»He, das war ein Unfall!«
»Und was war das mit unserem Vater?«
»Ach, das nimmt er mir doch längst nicht mehr übel …«
Ainfar hatte nicht übel Lust, nach der Peitsche zu greifen und das Lachen aus seinem Halbbruder zu prügeln. Uralter, lange unterdrückter Hass wallte in ihm hoch und verlangte nach Rache.
»Warum bist du hier?«
»Ach, nichts weiter«, antwortete Alebin wegwerfend. »Ich habe die Königin verraten, Rhiannon umgebracht, und …«
»Du hast was?«
»Ein bedauerlicher Unfall, ganz ehrlich! Eigentlich wollte ich ihren Bruder erwischen.«
Ainfar hatte Mühe, Fassung zu bewahren. »Du wolltest … die Zwillinge … die Erben der Crain …« Er konnte für einen Augenblick nicht weitersprechen, dann schrie er: »Warum hat der Getreue dich nicht getötet?«
Alebin fand seine Schandtaten offenbar komisch, denn er lachte schon wieder. »Er selbst hat mich zum Tabu erklärt. Solange er das nicht aufhebt, kann ich nicht sterben, nicht mal durch ihn. Ich glaube, er will mich gar nicht töten, das Foltern macht ihm viel mehr Spaß.«
Der Tiermann war wie erschlagen. Er hätte sich am liebsten hingesetzt, aber hier gab es natürlich keine Sitzgelegenheiten. Hilflos irrte sein Blick umher, glitt über die Felsmauern, die feucht von unzähligen Elfentränen waren, blieb wieder am Bruder hängen.
»Warum hast du das alles getan?«, flüsterte er.
»Das ist eine lange Geschichte, aber ich gebe sie dir in Kurzform. Ob es das Warum klärt, überlasse ich dir, es erklärt jedenfalls das Was und Wie.« Alebin plauderte munter drauflos, als säßen sie in irgendeinem Wirtshaus bei Whisky und Anekdoten. Als Darby O’Gill in prächtiger Erscheinung war Alebin ein hervorragender Unterhalter und Trinker, weithin bekannt und vor allem bei den Frauen beliebt. Alebin hatte den älteren Bruder dafür als Jüngling bewundert.
Als er mit seiner Erzählung am Ende war, wollte nun der Schotte Antworten: »Und wie kommt es, dass du hier bist, du anständiger kleiner Bruder, Augapfel unseres hochgeschätzten Vaters?«
»Deinetwegen, Meidling«, gab Ainfar prompt Auskunft. »Um die Schande von unserer Familie wieder abzuwaschen.«
»Und dafür gehst du ausgerechnet hierher?« Alebin brach erneut in schallendes Gelächter aus. »Was für ein entzückender naiver Idiot du doch bist!«
»Falls du es vergessen haben solltest – du hängst hier in Ketten, nicht ich. Und ausnahmsweise einmal muss ich dem Getreuen Anerkennung zollen. Du bist genau am richtigen Ort und erhältst die dir angemessene Strafe.« Ainfar wandte sich zum Gehen.
»Bruder, warte – äh … bitte«, sagte Alebin schnell. »Ich bin hier abgeschnitten von allem. Sag mir, was in der letzten Zeit geschehen ist!«
»Warum sollte ich das tun?«
»Du hast Recht. Warum sollte mich das interessieren. Leb wohl!«
Ainfar wusste, er sollte jetzt gehen. Doch so einfach war das nicht, sie waren durch Blutsbande aneinandergebunden. Also gab er nach und berichtete, und Alebin hörte aufmerksam zu, obwohl Ainfar sich während der Erzählung des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass er bereits über alles Bescheid wusste. Möglicherweise wollte СКАЧАТЬ