Das polnische Haus. Radosław Sikorski
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das polnische Haus - Radosław Sikorski страница 10

Название: Das polnische Haus

Автор: Radosław Sikorski

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия: eva digital

isbn: 9783863935016

isbn:

СКАЧАТЬ von Hand gehämmerte Zinnteller und -kannen standen reihenweise in den Regalen. In den Kellerräumen bewahrte er allerlei Gerümpel auf: Säbel, Trommeln, kaputte Statuen, Stierhörner, Mühlensteine. Er war kurz nach dem Krieg nach Gdańsk gezogen, als die Stadt noch in Trümmern lag. Wie ihre Schwesterhafenstadt Königsberg war auch Gdansk im Frühling des Jahres 1945 von der Roten Armee unnötigerweise unter Beschuß genommen und gestürmt worden, als die Schlacht um Berlin längst entbrannt war. Anders als Königsberg wurde Gdańsk jedoch nicht dem Erdboden gleichgemacht, sondern wiederaufgebaut. Einen Großteil seiner Sammlung fand mein Onkel auf Spaziergängen durch die Altstadt. Die Kanäle wurden nach und nach ausgebaggert, und die Arbeiter stießen dabei hin und wieder auf Dinge wie einen mittelalterlichen Taufteller, einen Silberlöffel oder Münzen, die mein Onkel meist im Tausch gegen eine Flasche Wodka ergattern konnte. Die Arbeiter wußten freilich nicht, daß die Deutschen, als die Stadt schon in Flammen stand und die letzten Schiffe den Hafen verließen, ihre Wertgegenstände aus den Fenstern in die Kanäle geworfen hatten, in der Hoffnung, sie nach ihrer Rückkehr wiederzubekommen.

      In den Händen meines Onkels wurden die Gegenstände zum Leben erweckt. An kleinsten Kennzeichen und Merkmalen konnte er ablesen, aus welcher Gdańsker Werkstatt oder manchmal sogar von welchem Meister der Zunft sie jeweils stammten. Aus einer einzigen Schramme konnte er ihre komplette Geschichte ableiten oder wenigstens erdichten. »Die Handwerkskunst!« schwärmte er dann. »Früher hat sie dieser Stadt einmal zu Reichtum verholfen, aber heutzutage können die Leute nichts anderes als quatschen.« Onkel Klemens muß allerdings etwas von seinem Handwerk verstanden haben, denn aus dem ganzen Land strömten die Kunden in seine Werkstatt. Mit seinen Jagdgeschichten vermochte er Kunden und Freunde zu fesseln, auch wenn wir wußten, daß sie stark übertrieben waren.

      Onkel Klemens’ politisches Interesse galt einzig und allein der Altstadt von Gdańsk. Statt der Schaufenster mit Bernsteinnippes für Touristen sollten seiner Meinung nach hämmernde und schnitzende Handwerker den Ton angeben. Er setzte sich für die Wiederbelebung eines alten Schützenvereins ein, suchte die Lokalbehörden zu bewegen, das Zeughaus wiederzueröffnen, und war immer bereit, während des historischen Handwerksmarkts im Sommer in einem traditionellen kontusz herumzulaufen. Nur wenn man ihn ausdrücklich danach fragte, erzählte er, wie die große Politik sein Leben beeinflußt hatte. Er hatte zwanzig Jahre lang in der Armee gedient, wo er Kurse veranstaltete und Büchsenmacher ausbildete. Die meisten Offiziere waren Parteimitglieder, aber er gehörte zu einer kleinen Minderheit ohne Parteibuch. Zunächst entstanden ihm daraus keine Nachteile, denn Fachkräfte waren rar. Im Jahre 1968 kam es aber zu Säuberungen und einer Welle antisemitischer Hysterie, die von der Partei angefacht wurde, um Gegner in den eigenen Reihen loszuwerden. Gleichzeitig wurden jedoch auch andere Unerwünschte unter Beschuß genommen. Onkel Klemens wurde vor die Wahl gestellt, entweder Parteimitglied zu werden oder zu kündigen – er verließ die Armee ein Jahr vor seiner Pensionsberechtigung. Seine Verwandten mahnten ihn, seinen Mund zu halten und realistischer zu werden. Ohne Erfolg. Einige Jahre später, nachdem er es gewagt hatte, sich über Parteiführer zu beschweren, die in seinem Revier von Hubschraubern aus auf Rehe schossen, wurde er als Jagdführer abgesetzt. Aber trotz dieses Unrechts wurde mein Onkel noch nicht zum Dissidenten. Er kehrte der kommunistischen Gesellschaft einfach den Rücken und beschränkte seine Bestrebungen auf die Werkstatt und die Antiquitätensammlung. Er ist das beste Beispiel dafür, daß man unter einem kommunistischen Regime leben und trotzdem eine reine Weste behalten konnte.

      Ein anderer Onkel, mein Großonkel Stefan, hat 1920 noch im glorreichen Krieg gegen die Bolschewiken gekämpft. Zunächst diente er unter dem großen polnischen Feldherr Józef Piłsudski, der mit seinem Gefolge bis nach Kiew vorstieß. Als später die Rote Armee Polen überfiel und der UdSSR einverleiben wollte, kämpfte Onkel Stefan in der Nähe von Warschau. Über seine Erlebnisse hat er nie besonders viel erzählt, doch die bloße Tatsache, daß er an einem Krieg gegen die Rote Armee teilgenommen hatte, machte es mir schwer zu glauben, was man mir in der Schule beibringen wollte: daß die Rote Armee der beste Freund der polnischen Kinder sei.

      Meine Kindheit fiel in eine Periode ungewöhnlichen Wohlstandes. Politische Zugeständnisse wie die Genehmigung von Westreisen für Millionen polnischer Bürger dienten als Sicherheitsventil, um Frustrationen abzubauen. Edward Gierek, Parteichef während der siebziger Jahre, sah sich allerdings in der Erwartung getäuscht, daß die Bürger sich für das Entgegenkommen mit sozialem Frieden und politischer Anerkennung revanchieren würden. Auf den künstlich herbeigeführten Aufschwung folgte schließlich Ende der siebziger Jahre die Pleite, und Gierek wurde durch eine Welle gewalttätiger Proteste aus dem Amt gezwungen. Heute muß Polen immer noch die damals großzügig gewährten Milliardenkredite abstottern; gewiefte Banker aus dem Westen gingen davon aus, daß die sozialistische Wirtschaft nicht weniger kreditwürdig sei als die kapitalistische, da es den Planökonomen freistand, beliebige Ressourcen per Dekret für die Schuldentilgung aufzuwenden.

      Durch Edward Giereks Leichtsinn kam meine Generation jedoch in den Genuß von Dingen, die zuvor der westlichen Jugend vorbehalten waren. So galt der Jazz nicht länger als zersetzende bürgerliche Musikform, und in den Läden tauchten Marlboro-Zigaretten und Coca-Cola auf. Wer Devisen hatte, konnte sich sogar den Traum der Träume verwirklichen und Original-Bluejeans kaufen. Meine Eltern arbeiteten beide bei staatlichen Baufirmen und verdienten überdurchschnittlich gut, doch nach dem Wechselkurs auf dem Schwarzmarkt belief sich ihr Monatseinkommen trotzdem nur auf eine Handvoll Dollar. So erlangte jedwede Westware den Status einer Reliquie, ähnlich wie bei den Angehörigen gewisser Cargo-Kulte Gegenstände angebetet werden, die von irgendwelchen Schiffsmannschaften achtlos über Bord geworfen und an Land geschwemmt wurden. Alle träumten davon, zu Weihnachten ein paar Jeans geschenkt zu bekommen. Einige Monate lang beneidete mich die ganze Schule, weil ich als erster eine elektronische Armbanduhr besaß – ein klobiges, primitives Teil, das nur nach festem Drücken der Tasten die Zeit anzeigte. Bis auf den heutigen Tag kann ich mich für unnütze technische Kinkerlitzchen begeistern, jederzeit bereit, mein Geld für Gummilatschen mit Lämpchen oder eine sprechende Zahnbürste auszugeben.

      Wir veranstalteten Partys, auf denen es cool war, richtigen Wermut zu trinken. Jedes neue Album von Pink Floyd – mit einem Beschaffungswert von mehreren Monatseinkommen – wurde begrüßt, als handelte es sich dabei um einen authentischen Überrest des Heiligen Kreuzes. Wir lernten Englisch, indem wir die Texte auf der Plattenhülle übersetzten, und glaubten, dasselbe Unbehagen zu empfinden, das unsere Popidole umtrieb. Erst später verstand ich, daß unsere westlichen Zeitgenossen dabei etwas ganz anderes im Sinn hatten: Sie hatten die Schnauze voll von der Konsumgesellschaft, während wir sehnsüchtigst dessen banalste Manifestationen vergötterten. Ich erinnere mich zum Beispiel noch an meinen sechzehnten Geburtstag; meine Eltern verschwanden netterweise fürs Wochenende und überließen mir die Hausschlüssel; ein Raum war abgedunkelt, im Kerzenlicht tanzten Pärchen engumschlungen zu den Klängen von »Dark Side of the Moon«; ich saß auf dem Sofa, legte zaghaft einen Arm um Beata, eine Blondine, auf die ich schon seit Monaten scharf war, hielt ein Glas Wermut in der freien Hand und dachte zufrieden: »Superschick. Das ist ja wie im Westen!«

      Noch subversiver als Wermut und Pink Floyd war, daß die Polen als einzige Ostblockstaatler in den Westen reisen durften. Die Schwierigkeit war nur, die nötigen Devisen zu beschaffen. Jede polnische Familie konnte einmal jährlich eine Dollarzuweisung beantragen, zu einem Wechselkurs, der zwar über dem rein fiktiven offiziellen Wert, aber immerhin unter dem Schwarzmarktpreis lag. Jeden Frühling aufs neue warteten wir gespannt, was uns die Sommerferien bringen würden: einen Monat entweder in sonniger Ferne oder im durchnäßten Zelt an irgendeinem pommerschen See. Es war immer wieder eine Zeit des Bangens. Hatte vielleicht jemand meinen Vater angeschwärzt, weil er politische Witze erzählt hatte? Vielleicht gingen »ihnen« die Dollars aus und würden die Zuweisungen drastisch gekürzt? Oder vielleicht wollten »sie« meine Eltern bestrafen, weil sie an den letzten Wahlen nicht teilgenommen hatten? Die Behörden verbreiteten mit Absicht das Gerücht, Willfährigkeit in politischen Dingen stehe in engem Zusammenhang mit der Zuteilung von Devisen, und dies war wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, daß die meisten gebildeten Familien bei den offiziellen Parteiritualen mitmachten.

      Die СКАЧАТЬ