Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche. Indrek Hargla
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Название: Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche

Автор: Indrek Hargla

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Hansekrimi

isbn: 9783863935207

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      Gerdrud brauchte heute aus der Apotheke eine Knochensalbe für die kranken Gelenke ihres Gemahls. Melchior stellte diese Salbe nach dem Rezept des Stadtarztes her, obwohl er sicher war, dass auch die Salbe den Knochen und Gliedern des alten Oldermanns nicht mehr viel half.

      Als Gerdrud die Apotheke betrat und Melchior begrüßte, war ihr Gesicht noch leicht gerötet.

      »Herrin Gerdrud, unsere liebe Frau Nachbarin!«, rief der Apotheker. »Welch eine Freude, Euch an diesem schönen Morgen in so guter Laune zu sehen.«

      »Ihr seid auch immer derart guter Laune, dass es mir geradezu leid tut, so selten her zu kommen«, erwiderte die junge Frau bescheiden.

      »Aber kommt doch öfter vorbei! Selbst einem jungen und gesunden Menschen kann es nicht schaden, ab und zu eine anregende Arznei zu schlucken«, empfahl Melchior. »Ach ja, Eure Knochensalbe. Hier ist sie, fertig für Euch zum Mitnehmen. Alles ist so wie immer – die Salbe auf die schmerzenden Knochen auftragen und ein Gebet an die Heilige Jungfrau dabei sprechen, dann hilft sie am besten. Oder lindert zumindest die Beschwerden des Alters. Ich hatte eigentlich an Eurer Stelle Ludke erwartet ...«

      »Herr Mertin hat ihn mit einem Auftrag fortgeschickt, schon gestern. Seitdem habe ich ihn nicht gesehen«, antwortete Gerdrud.

      »Und Euer Gemahl selbst?«, wollte Melchior wissen.

      »Er ist schon im Morgengrauen zum Hafen geeilt, um dort einen Handel abzuschließen. Danke für die Salbe.«

      »Geeilt?«, wiederholte Melchior nachdenklich. »Nun, ich bin natürlich kein richtiger Arzt, aber das eine oder andere über Krankheiten weiß ich doch. Und in Herr Mertins Alter ist Eile nicht mehr das Richtige, das sage ich Euch. Ein ruhiges Leben, kräftiges Essen, während der Fastenzeit das Fasten nicht übertreiben, nicht wahr, regelmäßig ein Aderlass sowie die schmerzenden Stellen ab und zu mit Salbe einreiben und dann noch heiße Bäder – mehr kann ich nicht empfehlen.«

      Während er so sprach, beobachtete er verstohlen Gerdruds Gesicht. Das Mädchen war noch keine zwanzig. Gerdrud hatte helle Haare und blaue Augen, unter ihrer länglichen Haube sah ihr jugendliches Gesicht ganz unschuldig aus und löste Mitgefühl aus. Verbarg sie mit ihrem sorglosen Aussehen all den Kummer, den eine junge Frau ertragen musste, deren Gemahl gute vierzig Jahre älter als sie und dazu noch krank war?

      »Er lässt in der Nikolaikirche für sich beten und bezahlt für die Messen«, erzählte das Mädchen und seufzte. Nicht gerade allzu großzügig, wie ich gehört habe, dachte Melchior, doch er nickte eifrig.

      Das Mädchen schwieg. Es sah Melchior an, wurde ernst und fragte dann plötzlich: »Aber sagt, Herr Melchior, das alles hilft wohl gar nichts? Seine Schmerzen wollen einfach nicht nachlassen.«

      »Liebe Frau Nachbarin, das Leben des Menschen verläuft so, wie es ihm bestimmt ist. Mit Hilfe von Behandlungen und Gebeten kann Herr Mertin sein Leben wohl noch etwas verlängern. Und wenn er ordentlich zur Ader gelassen wird und seine kranken Knochen und Glieder eingerieben werden, so hat seine Gesundheit noch nicht das Schlimmste zu befürchten, das habe ich ihm auch gesagt. Er kann noch mehr als zehn Jahre leben.«

      »Sagt Euch das Eure Sternenkarte?«

      »Meine Sternenkarte?«, fragte Melchior. Er bückte sich und holte unter der Theke eine zusammengefaltete Sternenkarte hervor, eine Arbeit Brüggescher Meister, die ihm sein Vater vererbt hatte. Das Lesen der Sternenkarte war eines der Geheimnisse der Apothekerzunft. Die Astrologen der Königshäuser lasen die Karte auf ihre Art, die Apotheker aber konnten aus der Karte etwas ganz Anderes herauslesen, wenn sie den Namen und den Geburtsmonat des Kranken wussten.

      »Nein, nicht meine Sternenkarte«, sagte er dann. »Das sagen mir mein Gefühl und meine Erfahrung. Die Glieder Eures Gemahls sind krank und seine Knochen schmerzen, aber seine Lebenskraft ist noch stark. Die Sternenkarte sagt mir, wann der beste Tag für den Aderlass ist, und wie ich sehe, wäre das ...«

      Er ließ seine Finger rasch über die Symbole der Sternenkarte gleiten und murmelte: »Gegen die Hüftschmerzen von Herrn Tweffell müssen wir schauen, wo der Schütze steht, für die Beine brauchen wir den Steinbock und für die kranken Knie den Wassermann ... Und wenn wir hier jetzt sehen, dass der Mond übermorgen abend im Steinbock steht, so würde ich sagen, dass Euer Gemahl in zwei Tagen vormittags für einen Aderlass zum Barbier gehen sollte und danach sollte er sich sofort mit der Salbe einreiben. Dann müssten die Schmerzen in seinen Beinen wohl nachlassen.«

      »Das werde ich ihm ausrichten. Tausend Dank, Herr Apotheker, und auf Wiedersehen!« Das Mädchen seufzte noch einmal und wandte sich zum Gehen.

      Melchior nickte ihr zu. »Jaja, das ist eine alte Wissenschaft, die Wilhelm von Saliceto und Gerhard von Cremona und all die anderen berühmten Heiler vergangener Zeiten uns gelehrt haben. Empfehlt Eurem werten Gemahl einen ordentlichen Aderlass und Ihr werdet schon sehen, liebe Frau Nachbarin, dass er sich noch lange guter Gesundheit erfreuen wird.«

      »Gebe es Gott«, murmelte Gerdrud. Dann ging sie, und der Apotheker sah ihr nachdenklich hinterher.

      »Das arme Mädchen!«, meinte plötzlich eine Frauenstimme hinter ihm. Melchior hatte gar nicht gehört, dass seine geliebte Keterlyn hereingekommen war.

      Kapitel 2

       Rathaus zu Reval 16. Mai, Morgen

      Der Gerichtsvogt des Revaler Rates, Wentzel Dorn, stand vor dem Ratsherrn Bockhorst und einem Ordensdiener und versuchte in Gedanken alle Berufe aufzuzählen, die er lieber ausüben würde, als den auf ewig verfluchten und lausigen Beruf des Gerichtsvogts. Als erstes fiel ihm der ehrenwerte Beruf des Bierbrauers ein und dies aus zwei Gründen. Erstens hatte jener ständig frisches Bier bei der Hand und zweitens wurde ein Bierbrauer niemals frühmorgens aus dem Bett geholt und ihm befohlen, auf der Stelle im Rathaus zu erscheinen, wo wiederum ihm der Diener des Ordenskomturs – oh Gotterbarmen! – solche Neuigkeiten verkündete, dass einem die Haare zu Berge standen.

      Aber es half nichts – hier stand er nun, unausgeschlafen, und sein Bauch begann wieder zu rumoren wie immer, wenn er schlechte Nachrichten hörte. Sehr schlechte Nachrichten.

      »Heute Mittag«, sagte der Ordensdiener und der Ratsherr nickte.

      »Was ist heute Mittag?«, fragte der Gerichtsvogt Dorn.

      Der Ordensdiener starrte ihn mit unverhohlener Bissigkeit an. »Heute Mittag erwartet Euch der hochehrenwerte Komtur«, sagte er.

      »Das schon«, brummte er. »Aber die anderen Ratsherren doch auch oder nur den Gerichtsherrn ...?«

      »Die Ratsherren haben zur Mittagszeit ihre Messe in der Heiliggeistkirche«, bekräftigte Ratsherr Bockhorst rasch. »Aber der Gerichtsvogt muss auf jeden Fall heute Mittag auf den Domberg. Er kennt die Gesetzestexte am allerbesten und überhaupt ...«

      Überhaupt und auf jeden Fall, dachte Gerichtsvogt Dorn. Jetzt, wo der Komtur in der Stadt einen Mörder suchte, war der Gerichtsvogt der beste Gesetzeskundige. Er schaute zum offenen Rathausfenster hinaus auf den Markt und sah dort einen Bierverkäufer mit einer großen Kanne. Der Gerichtsherr schluckte. Könnte nicht schaden, vor dem Gang auf den Domberg bei meinem Freund Melchior vorbeizuschauen. Um so mehr, da der Komtur schlechte Nachrichten hatte. Die konnte man sich ja kaum nüchtern anhören.

      Dieser Fall sah nach solchen Angelegenheiten aus, von denen er sich am liebsten fernhielt. Jener hohe Ordensritter, СКАЧАТЬ