Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt. Georg von Wallwitz
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Название: Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt

Автор: Georg von Wallwitz

Издательство: Bookwire

Жанр: Математика

Серия:

isbn: 9783946334286

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СКАЧАТЬ 1895 auf Betreiben von Felix Klein erhalten, der dort seit 1886 Ordinarius für reine Mathematik war. Klein war ein hervorragender, aber vielleicht allzu selbstbewusster Mathematiker, der bereits im Alter von 23 Jahren als Professor berufen worden war und in seiner Antrittsrede die Zunft mit seinem Erlanger Programm verblüfft hatte. Das war nicht nur eine starke Geste, sondern auch tiefgreifende Mathematik. Klein war mit einer Enkelin des Philosophen Hegel verheiratet, was in ihm die Überzeugung befestigt haben mochte, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Jedenfalls war er ein erstklassiger Mathematiker, der jeden Winkel seiner Wissenschaft durchforschen und zu einem einheitlichen Gebäude zusammenfügen wollte.

      Der Fanfarenstoß, mit dem Klein in Erlangen den Beginn seiner Karriere eingeleitet hatte, sollte die Welt auf den Zusammenhang zwischen Geometrie und Gruppentheorie aufmerksam machen, ein damals noch neues Thema. Gruppen haben anschaulich viel mit Symmetrie zu tun. Entdeckt wurden sie von dem bereits erwähnten Évariste Galois, als dieser sich an Permutationen von Lösungen algebraischer Gleichungen abarbeitete. Permutationen sind in gewisser Weise symmetrisch, weil man dabei in einer gegebenen Ordnung ein Element so lange an den Ort des anderen schickt, bis alle wieder einen Platz haben im System (wie beispielsweise beim Mischen von Spielkarten oder bei Anagrammen). Portraits von Dürer oder Leonardo da Vinci sind in ihrer Anlage meist symmetrisch, in Form von Spiegelungen der einen Gesichtshälfte auf die andere (Achsensymmetrie). Spielkarten sind symmetrisch in dem Sinn, dass sie sich um 180° drehen lassen und wieder dasselbe Bild ergeben (Rotationssymmetrie). Ebenso verhält es sich mit einem fünfzackigen Stern, einem Drudenfuß, den man um ein Fünftel oder zwei Fünftel oder gerne auch fünf Fünftel dreht und der anschließend wieder genauso aussieht wie vorher. Solcherart symmetrische Transformationen bilden eine Gruppe.38

      Diese Gruppen also brachte Klein in seinem jugendlichen Überschwang mit der Geometrie zusammen, indem er behauptete, dass eine Geometrie von nichts anderem bestimmt werde als von ihrer dazugehörigen Transformationsgruppe. Auf eine solche Idee konnte er nur kommen, weil im 19. Jahrhundert die Auffassung ins Wanken geriet, was eine Geometrie im Kern eigentlich war. 2000 Jahre lang hatte als ausgemacht gegolten, dass Euklids Darstellung der Geometrie, wie sie bis heute in den Schulen unterrichtet wird, die einzig richtige sei. Falsch!, so stellte es sich in den Jahren nach der Französischen Revolution heraus. Es gab, bei genauer Betrachtung des Verhaltens von Parallelen im Unendlichen, auch noch andere Geometrien, in welchen sich Maße, Winkel und Verhältnisse ganz anders verhielten, als es die Schulbücher wahrhaben wollten.39

      Der Schlussstein von Kleins Programm sollte die Theorie der automorphen Funktionen sein, welche er zunächst in der ruhigen Selbstgewissheit seiner eigenen Genialität verfolgte – bis er plötzlich realisieren musste, dass der damals noch völlig unbekannte, abseits in der französischen Provinz arbeitende Henri Poincaré, noch jünger, noch genialer, dasselbe Ziel wie er verfolgte. Zwischen den beiden entstand eine Korrespondenz, die eigentlich ein Wettlauf um die Krone ihrer Wissenschaft war, bei dem Klein sich nur knapp zu einem Unentschieden retten konnte. Bei diesem Wettstreit hatte er viel Energie gelassen und die Erkenntnis gewonnen, dass er in Poincaré seinen Meister gefunden hatte. Das führte zu einem Zusammenbruch, wie ihn sehr viele Mathematiker irgendwann in ihrem Leben einmal haben. Äußerlich erholte Klein sich zwar, aber er fand nie wieder zur alten Höhe seiner Schaffenskraft zurück. Nach seiner Krise blieb er ein hervorragender Mathematiker, aber angesichts seiner nunmehr selbst erkannten Grenzen versuchte er seine Ziele künftig in Zusammenarbeit mit anderen zu erreichen. So wurde er zu einem Wissenschaftsorganisator, also einem Mann, der viel Zeit damit zubringt, bei Ministern und privaten Geldgebern um zusätzliche Mittel zu bitten, nach geeignetem Personal zur Verstärkung Ausschau zu halten und auf Fakultätssitzungen die feindlichen Kollegen gegeneinander auszuspielen. Er brachte nicht nur den fachlichen Überblick, sondern auch die charakterliche Kompetenz mit, zur grauen Eminenz seines Faches in Deutschland zu werden, und die Universität Göttingen war seine Burg. Klein wurde 1897 erstmals Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, vertrat die Universität ab 1908 im preußischen Herrenhaus, sein Ruhm verbreitete sich aber auch international. In den USA wurde er 1904 zum Mitglied der American Academy of Arts and Sciences gewählt.

      Felix Klein war ein schwieriger Charakter mit ausgeprägtem Ehrgeiz und Machtinstinkt, dem man aber zugutehalten musste, dass er eine Schwäche für andere schwierige Charaktere hatte und eine hohe Streitkultur pflegte. Max Born, Doktorand bei Klein und später Mitschöpfer der Quantenmechanik, nannte seinen Lehrer ganz ohne Augenzwinkern den »Großen Felix«.40 Seine Neugierde auf Menschen und seine Offenheit für frische Bekanntschaften war für das Fach so ungewöhnlich groß, dass man ihn bei den strengen, pünktlichen und nicht mehr jungen Kollegen in Berlin für unseriös hielt. Ein »Faiseur« sei er, hieß es in den Protokollen zur Frage der Berufung Kleins in die Hauptstadt, ein »Blender«, der zwar gut vortrug (obwohl »im Feuilletonstil«), aber doch nur »naschte« und seine »Versprechungen nicht halte«, ohne rechte Substanz, ein Mann mit dem ein »Zusammenarbeiten hier unmöglich sei«.41

      Der Tradition seit Gauss entsprach es, die Mathematik mit den mathematischen Wissenschaften (ihren praktischen Anwendungsgebieten) zu verschränken, und Klein hatte ein Auge darauf, dass in Göttingen auch bei den Physikern und Astronomen das passende Personal gefunden wurde. So entstand eine ganze Tafelrunde von mathematischen Köpfen der verschiedensten Orientierung, die rasch auf ganz Deutschland ausstrahlte und dem verknöcherten Berlin die Talente abspenstig machte. Dort war um 1890 zwar die größte Ansammlung an großen Namen zu finden (Kronecker, Kummer und Weierstraß), aber es handelte sich dabei um alt gewordene Männer, die ihre schwindende Energie in die Veranstaltung ihrer Werkausgaben investierten. Göttingen hatte dagegen, obwohl die Universität relativ jung war, eine große mathematische Tradition und, wichtiger, die Köpfe der Zukunft vorzuweisen.

      Nach und nach gelang es dem »mathematischen Diktator von Göttingen« – auch dies ein Diktum Max Borns –, die größten Talente Deutschlands (und der USA) in seinem Imperium zu versammeln. Und so hatte er auch Hilberts Begabung und seine methodische wie fachliche Breite früh erkannt, sich zu dessen Mentor gemacht und ihn, sobald er gereift war, von Königsberg nach Göttingen gelockt. Und in Kleins Imperium entwickelte sich Hilberts Karriere weiterhin sehr erfreulich.

      Hilbert schrieb zunächst mit Minkowski einen Bericht (eigentlich ein Buch) über algebraische Zahlentheorie,42 ein für Laien unzugängliches Thema, welches unter Kennern als besonders abstrakt und tief gilt und Hilbert endgültig in die erste Reihe der deutschen Mathematiker brachte. Für seinen Ruhm und seine Stellung in der Community war der »Zahlbericht« wichtig. Folgenreicher war aber ein kurz danach veröffentlichter Festschriftbeitrag über die Grundlagen der Geometrie,43 der eigentlich ein Reformprogramm für die ganze Mathematik war.

      Beinahe jeder Mathematiker findet irgendwann seine Methoden und Themen, zu denen er immer wieder zurückkehrt, das scheint in der menschlichen Natur zu liegen. Manche Historiker verlieren sich in der Alltagsgeschichte und sehen in ihr den Schlüssel zu allem. Es gibt Fußballer, die einen bestimmten Laufweg die Strafraumkante entlang entwickeln, der kaum zu verteidigen ist. Und es gibt Geschäftsleute, die auf jedes Problem mit neuen Schulden reagieren. Die meisten Menschen gehen mit den unterschiedlichsten Problemen auf die immer gleiche Weise um – man kann von Lebenswerkzeugen sprechen, so wie man in anderem Zusammenhang von Lebensthemen sprechen kann.

      Auch Hilbert hat einen solchen archimedischen Punkt und er lässt sich erstmals in seinen Grundlagen der Geometrie greifen. Es handelt sich um die axiomatische Methode, die er hier zum ersten Mal deutlich ausbuchstabiert und die von nun an zu einer Art Leitmotiv für seine ganze Arbeit wird. Sie ist die auf den Begriff gebrachte Essenz von Hilberts Lebenswerk.

      Im Grunde entdeckt er lediglich eine 2000 Jahre alte Einsicht des berühmten Euklid von Syrakus wieder, die als mathematische Selbstverständlichkeit durchgehen kann: Euklid stellt bestimmte oberste Grundsätze auf, Axiome genannt, deren Wahrheit offensichtlich ist und die damit eigentlich ziemlich langweilig sind. So legt er etwa fest, dass »jede Linie in beide Richtungen unendlich verlängert werden kann« oder dass es СКАЧАТЬ