»Ich werde versuchen, heute abend zu kommen. Ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen soll, aber versuchen will ich es. Jetzt muß ich das Gemüse von Frau Richter holen. Die Kinder müssen essen und zu Bett gebracht werden. Weiß Frau Richter, wer ich bin?«
»Nein, sie wird jetzt wohl denken, daß ich dich abwerben will als Haushälterin. Weiß der Himmel, was sie alles über mich denken wird, aber mir ist es gleich. Ich habe dich gesehen.«
Er legte den Arm um ihre Schultern und ging ein paar Schritte mit ihr.
Der Zufall wollte es, daß Inge Auerbach sie gerade in diesem Augenblick sah.
*
Sie hatten ihre Besorgungen gemacht, und dann war es Bambi plötzlich eingefallen, daß sie am Vormittag ihr Täschchen im »Seeblick« vergessen hatte.
»Können wir es gleich noch holen, Mami?« wurde sie gebeten. »Ich habe vom Gruber-Bauern wieder ein Geschenklein bekommen.«
Immer brachte er ihr irgend etwas mit, und meistens waren es recht wertvolle Dinge, wenn Bambi dies auch noch nicht begriff.
Bambi war vorausgelaufen, und jetzt war Inge froh darüber, denn Bambi hätte sich wohl sehr den Kopf darüber zerbrochen, wieso der Gruber-Bauer und diese junge Frau sich hier trafen.
Natürlich zerbrach sich auch Inge den Kopf, und sie ahnte schon, daß es sich um Frau Burg handeln müsse. Sie erinnerte sich auch der spöttischen Bemerkung ihres Mannes und dachte bestürzt, ob er nicht doch ausnahmsweise einmal recht behalten würde.
Schnell und so, als hätte sie nichts gesehen, betrat nun auch sie den Gasthof Seeblick.
Bambi hielt ihr Täschchen schon in der Hand.
»Bei uns geht doch nichts verloren«, meinte Carla Richter.
Sie kam Inge heute merkwürdig unruhig vor. Immer wieder sah sie zur Tür, zerstreut, fast ängstlich.
Und da trat Viktoria ein. Mit einer Unsicherheit, die man nicht an ihr gewohnt war, stellte Carla die beiden Damen einander vor.
»Ich wollte nur schnell das Gemüse holen, Frau Richter«, erklärte Viktoria stockend.
Einerseits der Gruber-Bauer, andererseits Gemüse, wie vertrug sich das? Und dann dieser gehetzte Ausdruck in dem Gesicht von Frau Burg, die Unruhe bei Carla Richter?
»Komm, Bambi, Papi wartet auf den Tabak«, bemerkte Inge. »Vergessen Sie den Tisch am Sonntag nicht, Frau Richter.«
»Bestimmt nicht«, versicherte Carla, aber sie sagte es so, als wäre sie mit ihren Gedanken weit entfernt.
»Auf Wiedersehen, Frau Burg«, sagte inzwischen Bambi.
Inge Auerbach warf der jungen Frau noch einen Blick zu.
»Entschuldigen Sie bitte, daß ich so in Eile bin«, flüsterte Viktoria.
Sie brauchte sich doch bei ihr nicht zu entschuldigen. Das klang fast nach einem schlechten Gewissen. Aber so erschien es Inge nur, nach dem, was sie gesehen hatte. Sie wollte sich nicht zu Vermutungen hinreißen lassen, aber sehr merkwürdig war das schon.
»Warum holt denn Frau Burg das Gemüse immer bei Richters?« fragte Bambi.
»Das weiß ich doch nicht. Vermutlich haben sie sich angefreundet, und Frau Richter hat es ihr angeboten.«
»Sie waren beide ein bißchen komisch, findest du nicht, Mami?«
»Sie haben beide nur viel zu tun«, lenkte Inge ab.
»Vielen Dank für Ihre Unterstützung«, sagte Viktoria zu Carla. »Bitte, denken Sie nichts Falsches. Ich werde es Ihnen später einmal erklären. Ich bin sehr in Ihrer Schuld.«
Carla wagte nicht, eine Frage zu stellen, obgleich es ihr auf der Zunge brannte. Ihr war das alles recht fatal. Aber zum Trost sagte sie sich, daß Dr. Rückert sich nicht eingeschaltet hätte, wenn es um undurchsichtige Dinge ginge.
Sie gab sich ihren Gedanken hin und rief sich in die Erinnerung zurück, wie es gewesen war, als Ria Burg zum erstenmal den »Seeblick« betrat.
Sie hatte nach der Adresse von Till Jaleck gefragt, so nebenbei eigentlich, und sie selbst hatte vermutet, daß sie sich um diese Stellung bewerben wollte. Ja, so war es gewesen. Angefangen hatte sie, nicht Ria.
Un nun dieses merkwürdige Interesse von Korbinian Gruber. Er war doch nie nach Hohenborn gefahren, erst heute, nachdem er Frau Burg kennengelernt hatte. Oder kannte er sie schon von früher?
Sosehr Carla auch darüber nachgrübelte, sie kam zu keiner Erkenntnis.
Doch dann wurde sie abgelenkt, denn eine ganze Gruppe von Gästen traf ein.
*
Abgehetzt kam Viktoria daheim an. Daheim…! Ja, das dachte sie, als sie die Tür aufschloß, und es war ein eigentümliches Gefühl.
Schwer atmend lehnte sie sich an die Wand. Ihr Herz jagte. Sie schloß die Augen, und als sie sie wieder aufschlug, stand Till vor ihr.
Er hatte die Tasche in der Hand.
»Sie ist ziemlich schwer«, stellte er fest. Ein merkwürdiger Unterton war in seiner Stimme, als könnte er es nicht glauben, daß sie wirklich Gemüse heimbrachte.
»Frau Richter setzt halt einen guten Appetit bei uns voraus«, sagte Viktoria. »Sind die Kinder brav?«
»Das möchte ich ihnen doch geraten haben«, lächelte er. »Ich konnte sie nicht so verwöhnen wie Sie.«
»Ich konnte nicht schneller da sein«, erklärte sie entschuldigend. »Frau Richter hatte noch Besuch.«
»Ich habe doch gesagt, daß Sie sich Zeit lassen können. Und ganz bestimmt wäre es besser gewesen, wenn wir das Gemüse mit dem Wagen geholt hätten. Sie sind ja ganz erschöpft, Ria.«
Es fiel ihm nicht mehr schwer, sie Ria zu nennen, obgleich er sehr viel lieber Vicky gesagt hätte. Und jetzt hätte er sie noch viel lieber in die Arme genommen, so abgehetzt sah sie aus.
Augenblicklich dachte er wirklich, daß sie nur wegen des Gemüses zum »Seeblick« gegangen war. Andere Vermutungen schwiegen.
Es mochte schon möglich sein, daß sie einen Übereifer zeigte, um als Haushälterin überzeugend zu wirken. Er traute ihr jetzt alles zu.
Aber seine Gefühle für Viktoria waren so unverändert stark, daß er diese Komödie mit tragischem Anklang nicht weiterspielen wollte.
Und doch ergab sich wieder keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Das konnte man ja nicht im Vorübergehen tun, in wenigen Minuten. Dazu gehörten Zeit, Besinnlichkeit, Abstand vom Alltag.
Die Kinder riefen nach ihr, sehr ungeduldig, wie zu hören war. Wie sehr die beiden schon an ihr hingen!
Er beobachtete sie durch die offenstehende Tür, wie sie Corri in die Arme nahm, wie Christoph sich an sie klammerte.
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