Название: Weißes Rauschen oder Die sieben Tage von Bardorf
Автор: Uli Wittstock
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783954627929
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„Die Agenturen haben noch nichts. Offenbar hat die Polizei noch keine Meldung abgesetzt.“
Karin Untersilch-Teetmann wurde ein gewisses Interesse auf den Chefposten des Funkhauses nachgesagt. Nach außen hin gab sie sich jedoch alle Mühe, dies möglichst zu verbergen, den Eindruck einer gewissen Beflissenheit konnte sie allerdings nicht verwischen. Bei den täglichen Meetings stand sie aufrecht wie ein preußischer Rittmeister, während Markus Schweigert zu lümmeln pflegte.
„Vielleicht warten die auf eine Mitteilung von uns?“
Schweigert verzog seinen Mundwinkel zu einem Grinsen. Diese Grimasse bemühte er regelmäßig, wenn die Fernsehchefin glaubte, einen Vorschlag einbringen zu müssen. Zwar waren beide als Abteilungsleiter formal gleichgestellt, allerdings verfügte Karin Untersilch-Teetmann über einen jährlichen Produktionsetat, der um ein Vielfaches über dem des Hörfunks lag. Dennoch hatte es Schweigert vor Jahren abgelehnt, als Chef in die Fernsehsparte zu wechseln. Einer der maßgeblichen Gründe seinerzeit war jener Kollege gewesen, dessen elektronisches Abbild noch immer eingefroren hinter ihnen flackerte. Entsprechend frohsinnig setzte Schweigert also fort: „Vielleicht sollten wir die Zuschauer bitten, eine Hitliste der schönsten Versprecher des Kollegen Wilkhahn zu wählen.“
Es entstand ein kurzer Moment Ruhe, denn wie immer in diesen Runden warteten die beiden jetzt auf eine Reaktion von Udo Malchwitz. Statt einer Antwort präsentierte der einen nahezu fehlerfrei geschnittenen Möhrenstift, biss ab und sagte nichts.
„Das sind doch kindische Diskussionen, Kollege Schweigert.“
Karin Untersilch-Teetmann hatte sich noch weiter aufgerichtet, sodass sie die beiden Männer jetzt deutlich überragte. Vom Geschäftsführer Malchwitz wusste der Flurfunk zu berichten, dass er nur Frauen in Bodenhaltung akzeptierte. Unbeirrt fuhr die Fernsehchefin fort: „Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass hier schon wieder die echten Zusammenhänge übersehen werden. Wilkhahn war nicht nur für das Wochenend-Programm, sondern für das ganze Haus unser journalistisches Aushängeschild.“
Schweigert lümmelte über den Tisch, den Kopf auf seine Hand gestützt, sodass sein Mund ganz schief erschien. Durch diese zerknautschten Lippen zischte er nun: „Ich sage nur Fahrzeug-Hitler.“ Der Fahrzeug-Hitler war eigentlich ein Fahrzeug-Halter und der Höhepunkt einer ganzen Serie von Versprechern, mit denen es Wilkhahn gelungen war, sich auf die Satireseiten der Zeitungen zu stammeln. Nach Rücksprache mit der Staatskanzlei hatte Malchwitz den Kollegen Wilkhahn trotz seiner zahlreichen Verdienste um das Brauchtum vom Sender genommen, dann aber nach vierzehn Tagen Leserbriefterror diese Entscheidung wieder rückgängig machen müssen.
„Schade, dass hier immer nur diese alten Geschichten aufgewärmt werden. Mit Wilkhahn haben wir einen unser fähigsten Mitarbeiter verloren.“
„Das klingt doch gut. Sie sollten weiter in diesem Stil formulieren. Damit steht nun fest, wer den Nachruf schreiben wird.“
Malchwitz biss ein weiteres Mahl von der Möhre ab.
„Das ist aber noch längst nicht alles“, setzte er fort.
„Am Wochenende kommt es zum Kampf um die Ehre. Das Stadion ist restlos ausverkauft, und wir, das muss ich Ihnen ja nicht zum ersten Mal sagen, wir sind Medienpartner. Das heißt, unser Logo flimmert in Tausende Wohnzimmer. Ich hoffe, bei Ihnen flimmert jetzt auch was.“
Schweigert stellte sich jetzt deutlich gerader hin, bevor er antwortete.
„Ü-Wagen sind an allen wichtigen Punkten, vor, während und nach dem Spiel. Im Stadion haben wir drei Kollegen sowie zwei Handyreporter in den jeweiligen Fanblocks. Wir übertragen beide Halbzeiten live.“
Karin Untersilch-Teetmann hatte während der letzten Minuten mit ihrem Füllhalter Kringel auf ihre Notizen gemalt. Sie drehte jetzt die Kappe über die titangehärtete Feder, durch welche eine handgerührte Tinte floss, um sich in der goldenen Kugel an der Federspitze zu einem perfekten Strich zu vollenden.
„Wir haben“, sagte Karin Untersilch-Teetmann, „ein umfangreiches Mentoring im Vorfeld erstellt, um die Erwartungshaltung der Zuschauer mit unserem Programmbouquet zu harmonisieren. Dabei ging es um Fragen der Produktevidenz entlang der Wertschöpfungskette, um die Ermittlung von Skaleneffekten und um die Beschreibung und Implementierung von Komplementärstrategien. In mehreren Workshops unter meiner Führung haben wir ein Thesenpapier entwickelt. Ich nenne jetzt nur die wichtigsten Kernziele. Wir wollen die Zuschauer kompetent und umfassend informieren. Wir bieten den Zuschauern emotionale Höhepunkte, um sie an der Faszination Fußball teilhaben lassen und wir präsentieren uns als ein Sendeformat mit regionaler Kompetenz.“
Schweigert grinste wieder schief und Malchwitz griff zur Fernbedienung. Der seit Minuten eingefrorene Wilkhahn sprach nun wieder: „Hier also sind sie, die Kreibitz-Buam mit ihrem aktuellen Hit – Flunker, Flunker, geh nicht an meine Klunker.“
Dr. Henning Friedbruch war eigentlich zu jung, zu dunkelhaarig und zu klein für seine Partei. Das fiel jetzt besonders auf, da er im Fonds seines Dienstwagens saß und den Eindruck hatte, nur mit Mühe durch die getönten Scheiben nach draußen blicken zu können. Was da an ihm vorbeiglitt, war eine unendliche Abfolge von Bewuchs, meist auf großen Schlägen, die bis zum Horizont reichten. Wären da nicht regelmäßig die Flügel der Windräder gewesen, die mit ihren kräftigen Schwüngen einen Rhythmus in die Landschaft setzten und das Gefühl vermittelten, wenigstens durch eine halbwegs industrialisierte Region zu fahren, dann wäre ihm die Landschaft wohl so öde wie die eines fernen Planeten erschienen. Er beglückwünschte sich erneut, nicht das Agrarressort übernommen zu haben, zumal ihm dann auch kein Personenschutz zugestanden hätte.
Die beiden Beamten fuhren in einer zweiten, ebenfalls gegen Sprengfallen, Pistolenbeschuss oder Panzerfäuste gesicherten Limousine, die dem Führungsfahrzeug auffällig folgte. Dies bot allerdings Anlass für politischen Streit im Landtag. Denn Dr. Henning Friedbruch war trotz seiner relativen Jugendlichkeit, seines fast nachtschwarzen Haares und der Körpergröße von einem Meter und achtundsechzig Zentimetern, Inhaber eines Schlüsselressorts, nämlich zuständig für Inneres, aber im Zuge einer Kabinettsreform nun auch noch für Sport und Umweltschutz. Und für Letzteren war er gerade unterwegs.
Als Innenminister stand ihm zwar nach aktueller Gefährdungslage Personenschutz zu, doch nicht als Sport- oder Umweltminister. Die Opposition kritisierte den aus ihrer Sicht teuren Einsatz von Personenschützern, wenn der Minister Sporthallen oder Biogasanlagen einweihte, was zugegebenermaßen einen großen Teil des dienstlichen Alltags von Dr. Henning Friedbruch ausmachte. Um der Opposition ein wenig entgegenzukommen, verzichtete der Minister inzwischen auf den Einsatz des Blaulichts bei allen Terminen, zu denen er nicht als Innenminister geladen war. Und so rumpelten sie jetzt auf einer Landesstraße, über deren Zustand er mit seinem Kollegen Verkehrsminister ein ernsthaftes Wort zu wechseln beabsichtigte. Sie hatten nun zwei größere Windparks passiert, allerdings drehten sich die Flügel nicht, was den Minister verwunderte, denn in den Ästen der wenigen Bäume am Feldrand zeichnete sich das Wirken eines durchaus günstigen Windes ab. Windräder waren auch der Grund, der Dr. Friedbruch aus der Stadt weit hinaus in das Land getragen hatte. Ein Pilotprojekt, die größten frei stehenden Räder auf dem Festlandsockel, jede Turbine so groß wie ein Zweifamilienhaus. Technologisch anspruchsvoll, politisch umstritten, wirtschaftlich hochinteressant. Vor einer Stunde hatte er mit dem Sprecher des Konsortiums auf jener Anhöhe gestanden, die im neuen Landesentwicklungsplan und auf sein persönliches Betreiben hin als sogenanntes windhöfiges Gebiet ausgewiesen worden war, eine Anhöhe in Sichtweite zu einem Ort namens Dunkersleben. Dort gab es einen Kirchturm, eine Schweinemastanlage und kein Schwimmbad. Der Ortsbürgermeister war ein СКАЧАТЬ