Harter Ort. Tim Herden
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Название: Harter Ort

Автор: Tim Herden

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783954626922

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      Damp zeigte ihm den ausgestreckten Mittelfinger. Mühsam und umständlich kletterte er auf das Vordeck der „Caprivi“. „Barnhöft, du kannst dir deine blöden Sprüche sparen. Versuch mal mit Sommerreifen bei dem Schnee von Neuendorf hierher zu fahren. Hat nicht jeder einen Schneepflug. Was ist eigentlich los?“

      „Schau doch selbst?“

      Ole Damp nahm Barnhöfts Lampe und blickte durch die Luke. „Scheint mir einer von der Insel zu sein“, meinte er. „Aber der Name?“

      „Könnte mein ehemaliger Biologielehrer sein“, rief Bernd Poschau. „Dehne heißt der, eh, hieß der. Martin Dehne.“

      Alle drehten sich zu ihm um. „Dein Biologielehrer also“, stellte Barnhöft fest. „Warum hast du das nicht gleich gesagt.“

      „Ich habe doch in dem dunklen Loch da nichts weiter erkannt“, verteidigte sich der junge Mann. „Nur diese weißen toten Augen.“

      „Und jetzt plötzlich fällt dir aber ein …“

      „Als wenn wir momentan auf der Insel nicht genug Probleme haben“, unterbrach Inselarzt Möselbeck Barnhöfts Tirade.

      Seit Neujahr war Hiddensee von der Außenwelt durch einen dicken Eispanzer abgeschnitten. Die einzige eisgängige Fähre lag seit dem Silvesterabend mit Motorschaden in Schaprode, mittlerweile auch von Eis umschlossen. Dutzende Urlauber saßen auf der Insel fest. Die Versorgungslage war angespannt. Der einzige Eisbrecher war auf dem Strelasund im Einsatz, um für die Handelsschiffe den Seeweg frei zu halten. Auch aus der Luft gab es keine Hilfe. Sowohl die Bundespolizei als auch die Bundeswehr hatten durch den Wintereinbruch und Katastropheneinsätze auf Rügen und Usedom keine Hubschrauberkapazitäten frei.

      Doktor Möselbeck hatte sich auch vom Kai auf das Deck des Wracks gehangelt. „Guten Morgen, die Herren. Wo liegt der Tote?“

      Damp wies auf die Luke. Möselbeck kletterte in das Vorschiff. Er begann die Leiche zu untersuchen. Der Körper des Mannes war völlig steif. Sein Rücken war an der Kabinenwand aus Metall festgefroren. „Mein Gott“, stöhnte der Arzt. „Er ist wahrscheinlich erfroren. Die Haltung, die aufgerissene Kleidung … alles deutet auf einen Tod durch Erfrieren hin.“

      „Aber warum reißt sich einer, wenn er erfriert, die Kleider vom Leib? Das ist doch völlig unlogisch“, zweifelte Damp.

      „Es ist nicht selten, dass ein Erfrorener nackt aufgefunden wird oder sich seiner Kleidung entledigt hat“, belehrte Möselbeck den Polizisten. „Kurz bevor er bewusstlos wird, empfindet ein Mensch in der Kälte Wärme, ja fast Hitze. Das hängt damit zusammen, dass er dann schon nicht mehr recht bei Sinnen ist. Aber trotzdem …“ Möselbeck schaute sich um. „So recht verstehe ich nicht, wie er hier erfrieren konnte? War die Tür abgesperrt?“

      Alle schauten wieder auf Bernd Poschau. Der schüttelte den Kopf. „Die Luke ging ganz leicht auf. Jedenfalls von außen.“

      Möselbeck überprüfte die inneren Hebel an der Luke. Auch sie funktionierten ohne Probleme.

      „Vielleicht war er Vögel gucken und ist dabei eingeschlafen“, meinte Poschau. „Wir mussten mit ihm ständig irgendwo hinwandern und Vögel gucken. Das nervte vielleicht.“

      Möselbeck entdeckte in einer Ecke einen Rucksack. Er durchsuchte ihn. „Also Fernglas Fehlanzeige. Aber vielleicht wollte er ein Feuerwerk veranstalten.“ Er zeigte den Inhalt Barnhöft und Damp. Der Rucksack war voll mit Raketen und Böllern. „Jetzt wissen wir jedenfalls, seit wann er ungefähr hier sitzt. Mindestens drei Tage, gestern war der zweite Januar, wenn nicht sogar vier“, erklärte der Arzt. „Die Sachen waren ja wahrscheinlich für Silvester. Klar ist auch, ich stelle keinen Totenschein aus.“

      Damp rieb sich die Augen, nahm die Beine vom Schreibtisch und streckte sich. Sein Rücken hatte zwei Stunden unbequemen Büroschlafs unbeschadet überstanden. Sein Blick fiel auf den leeren Schreibtisch mit dem riesigen Weihnachtsstern gegenüber. Dort hatte früher Hauptkommissar Stefan Rieder gesessen. Nun lag er im Koma in einer Klinik auf der dänischen Insel Møn. Nach Auskunft von Polizeidirektor Bökemüller waren die Chancen auf ein Erwachen oder auf eine Heilung gleich null.

      Damps Mitleid hielt sich in Grenzen. Er gab Rieder die Schuld, dass sie beide vor knapp drei Monaten in der Ostsee beinah ertrunken wären, hätte sie nicht die Besatzung eines dänischen Fischkutters entdeckt und gerettet.

      Sie hatten eine Mörderin verfolgt. Rieder wollte nicht auf Verstärkung warten und glaubte, Damp und er würden eine Verhaftung schon zuwege bringen. Aber da hatte sich Rieder überschätzt. Mit einem Komplizen hatte die Frau die beiden Polizisten überwältigt, gefesselt, dann in ein Paddelboot gesetzt und auf das Meer hinaustreiben lassen. Rieder hatte bei ihrer Rettung durch die dänischen Fischer das Bewusstsein verloren und bis heute nicht wiedererlangt. „So dicke hätte es nun für ihn auch nicht kommen müssen“, sagte Damp leise zu sich.

      Damp selbst war mit einer Unterkühlung ins Marinekrankenhaus Flensburg ausgeflogen worden. Hinzu kamen Herzprobleme, weil ihn der Komplize mit einem Elektroschocker bearbeitet hatte. Nach drei Wochen Krankenhaus hatte er noch sechs Wochenin einer Rehaklinik im Harz zugebracht. Nun war er seit knapp drei Wochen wieder im Dienst. Sofort war allen aufgefallen, dass er deutlich abgenommen hatte. Fast zwanzig Kilo. Er wog nur noch knapp zwei Zentner und fühlte sich deutlich fitter als früher. Sicher würde er sich nicht am Inselmarathon beteiligen, aber er kam nicht mehr so schnell außer Atem.

      Vor seiner Rückkehr hatte Polizeidirektor Bökemüller es ihm freigestellt, seinen Dienst auf Hiddensee wieder anzutreten, nach allem, was passiert war. Aber Damp wollte zurück, obwohl ihn die Einheimischen nicht leiden konnten. Zum einen, weil er von der Nachbarinsel Rügen kam. Mit den Rüganern verband die Hiddenseer eine innige Hassliebe. Zum anderen machten sie sich über seinen penetranten Ordnungssinn lustig. Gnadenlos bestrafte er jeden mit einem Bußgeld, dessen Fahrrad nicht verkehrstüchtig war. Und das tat er oft. Immerhin war das Fahrrad hier das Hauptverkehrsmittel. Autos waren verboten, ausgenommen einige Versorgungsfahrzeuge, von denen es allerdings zu Damps Leidwesen Jahr für Jahr mehr gab. Früher hatten nur Arzt, Feuerwehr und er Anrecht auf ein Auto gehabt. Ansonsten war alles per Pferdefuhrwerk oder Fahrrad transportiert worden. Und es war auch gegangen.

      Hiddensee war Damp in den vielen Jahren ans Herz gewachsen. Früher hätte er sich das nicht eingestanden. Aber während seiner Kur war ihm das klargeworden. Wenn er abends in seinem Bett gelegen hatte, war es um ihn herum still gewesen. Da hatte ihm das Rauschen des Meeres gefehlt. Das Pfeifen des Sturms in den Dünen. Das Pferdegetrappel am Morgen. Das Schreien der Möwen. Damp hatte Heimweh bekommen.

      Während seiner Abwesenheit hatte ihn eine junge Beamtin aus Bergen vertreten. Nelly Blohm. Damp vermutete, dass sie gehofft hatte, er würde nicht wiederkommen und sie könne sich auf seine Stelle bewerben. Damit war es nun Essig.

      Damp hatte schon der eine Tag zur Übergabe gereicht, den er mit Nelly Blohm im Revier verbringen musste. Mangels aktueller Anzeigen und Vorkommnisse war nichts zu übergeben gewesen. Den ganzen Tag hatte ihn Nelly Blohm stattdessen mit ihrem Laptop genervt, um Damp die neue Software der Polizeidirektion zu erklären. Damp interessierten diese Computerprogramme nicht die Bohne. Er musste nur wissen, wie er Formulare für eine Anzeige oder einen Bußgeldbescheid auf dem Computer öffnen, ausfüllen und absenden konnte. Im letzten Jahr hatte er außerdem seine digitalen Kenntnisse um das Lesen und Schreiben von E-Mails erweitert. Das reichte seiner Meinung nach für die Amtsgeschäfte auf der Insel Hiddensee.

      Nelly Blohm hatte СКАЧАТЬ