Название: Auszeit mit Tine
Автор: Bernhard Spring
Издательство: Автор
Жанр: Современная зарубежная литература
isbn: 9783954625659
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„Jetzt will ich was spielen“, sagt sie.
„Canasta?“, frage ich und hoffe dabei was anderes.
„Nee, das olle Schachspiel da von aus das Regal neben die Bücher“, macht Tine belehrend, weil sie weiß, dass mich das immer etwas auskühlt, wenn sie sich sprachlich so viel Mühe gibt. Und schon ist sie auf und davon, kommt mit dem Spiel wieder und baut die Figuren zwischen uns auf.
Nach zwei Runden schraubt sich Tine Locken in die Strähnen, weil sie verliert und dringend einen moralischen Halt braucht. Der König sieht der Königin aber auch verdammt ähnlich! Normalerweise hat sie nichts dagegen, schachmatt gesetzt zu werden, aber beim zweiten Mal ist es äußerst knapp und sie flucht wie ein Kesselflicker und setzt mir statt einer Pistole ihren nackten Fuß auf die Brust. „Du bist ein ganz mieser Typ“, sagt sie, als ich den letzten Zug mache, und drückt das Bein durch. Ich lande im Gras, muss mich gegen die hinterherhuschende Tine notwehren und so kullern wir bald über die Decke und drüber hinaus. Weil das trockene Gras Tines Bikinihaut pikst, gibt sie sich schnell geschlagen und fordert eine ultimative Revanche.
Also spielen wir weiter, Tine nascht mit jeder verlorenen Figur verzweifelter Schokolade. Ich versuche, sie gewinnen zu lassen, was sie aber schnell durchschaut und mich deshalb disqualifiziert. „Das ist wettbewerblicher Unlaut!“, tönt sie groß und springt auf. „Deine sämtlichen Siege werden dir von Rechts wegen aberkannt. Also hab ich gewonnen. Das hast du von deinem Schummeln.“
„Okay“, räume ich ein. „Und welchen Preis hast du gewonnen?“ „Einen Haushälter!“, meint sie spontan. „Der mir beim Abendbrot hilft.“
„Nicht schlecht, oder?“
Tine überlegt noch. Da ziehe ich sie zu mir herab und küsse ihren Schokomund, um sie zu überzeugen. Und das wirkt.
Die Sonne hat inzwischen schon wieder unseren Halbschatten erobert, als hätte sie nichts anderes zu tun, und donnert auf uns nieder. Ich schwitze und bin doch zu faul, um umzusiedeln. „Zieh dich doch aus, wenn’s dir zu warm ist“, wispert Tine und irgendwie kann ich da nicht Nein sagen.
FÜNFTES KAPITEL
„Gerade liegen wir noch im Bett – und jetzt sind wir schon drei ganze Tage hier!“, staunt Tine nicht schlecht, als wir am nächsten Morgen am Frühstückstisch sitzen.
Ich kann dazu nicht viel sagen, ich hab noch den Mund voll Marmeladenbrötchen. Also nicke ich nur bedächtig.
„Wird Zeit, mal Nägel mit Köpfen zu machen, Kindchen, oder?“, sagt sie mit einem so komischen Blick über die Terrasse, dass ich vor Schreck gleich an Hausarbeit denken muss.
„Aber doch nicht heute am Sonntag“, murmele ich entrüstet an meinem Brötchen vorbei, aber Tine schüttelt nur heftig den Kopf.
„Ja, eben weil Sonntag ist. Außerdem muss ich eh Wäsche machen“, meint sie dann. „Und du spielst mal den Mann im Haus. Damit hier alles ein bisschen sauber aussieht.“
Ich sehe sie fragend an und das war wohl ein Fehler. Hätte ich nur still genickt, hätte ich mich verdrücken können. Jaja, ich war Holz suchen, hätte ich später gesagt. Aber so zählt mir Tine alles Mögliche auf: Natürlich, Holz suchen, Holz hacken, Holz stapeln, dann die Wiese mähen und die Terrasse fegen.
Ich erlaube mir spontan zu seufzen. Wieder ein Fehler.
„Na hör mal“, prustet sie los, „ich hab dafür den Hausputz an der Backe. Vom Abwasch bis zum Kerzenwachs auf der Tischplatte.“
„Ich hab dich lieb“, versuche ich, sie sanft zu besänftigen. Aber das zieht heute irgendwie nicht. „Werd bloß mal nicht anzüglich“, kontert sie und gibt mir beim Aufstehen einen Kuss auf die Stirn. „Viel Spaß im Wald. Und Vorsicht mit den Wölfen, Rotkäppchen“, sagt sie noch, dann ist sie auch schon ins Haus verschwunden.
Ich bin noch am Kauen. Der Gedanke an Arbeit – dazu noch körperliche – wird mir nur ganz langsam sympathisch. Und dann ist es ja schon fast halb elf und der Vormittag drückt schon wieder so unanständig auf das Thermometer. Wenn es heute zur Abwechslung mal regnen würde, hätte ich Urlaub, denke ich. Aber es hilft ja doch nichts. Also los!
Zum Glück beginnt der Wald gleich hinter der kleinen Wiese vor unserem Haus. Kein weiter Weg also. Hier ist es angenehm kühl, zwischen den Bäumen liegen kleine Steinplatten und das Laub vergangener Winter. Ab und zu raschelt ein Frosch oder hämmert ein Specht durch die Luft. Dann lugt wieder eines dieser netten, lichtdurchfluteten Wiesenstücke zwischen den Stämmen hervor und es fehlt nur noch die Mühle am klappernden Bach, um alles ganz märchenhaft aussehen zu lassen.
Als Kind war ich oft in solchen Wäldern, mit anderen Kindern und ganz wenig Erwachsenen. Wir haben Hütten aus Ästen und Grasnarben gebaut und manchmal auch darin übernachtet. Wochenlang haben wir Laubhüttenfeste gefeiert, am Lagerfeuer gesessen und ekligen, geschmacklosen Knüppelkuchen gegessen. Ich erinnere mich, dass ich jedes Mal verwundert war, wie rauchig ganz normaler Tee schmecken kann, während ich ein paar dickere Zweige zusammensuche. Dann finde ich ein paar verästelte Stücke, verhake sie miteinander und hab so eine herrliche Schleppe, die ich hinter mir herziehen kann.
Bald habe ich genug Holz zusammen, aber noch keine Lust, den schönen Wald so schnell wieder zu verlassen. Also lass ich die Ladung einfach stehen und gehe alleine weiter. Vielleicht, weil ich schon lange nicht mehr so ungestört in der Natur war, vielleicht auch, weil mich das ganze Fachsimpeln im Alltag versaut hat, fällt mir für meine Gefühle hier mitten im Wald nur das Wort „erhaben“ ein. Es klingt ein bisschen nach Schiller und auch sehr viel nach deutscher Frömmigkeit, aber trotzdem bleibt es dabei: Nicht wie früher als rumtollendes Kind, sondern ganz gemächlich und ruhig streife ich durch den Wald, und wenn ich dabei nicht in ein paar Brennnesseln gelatscht wäre, wär ich wohl nie aus diesem „erhabenen“ Gefühlsdusel rausgekommen.
So aber juckt mir die Wade und etwas verstimmt gehe ich weiter. Eine kleine Quelle wäre jetzt nicht schlecht, denke ich und trete auf eine Wiese hinaus – und zucke zusammen, als ich plötzlich bemerke, dass ich hier ja gar nicht allein bin. Mit anderen Menschen hatte ich gar nicht gerechnet, obwohl hier doch Dorf an Dorf am Wald liegt.
Der Junge, der da auf einem Feldstein sitzt, hat mich nicht gesehen. Er sitzt mit der Vorderfront zum Tal und ich möchte auch schon weitergehen und ihn da auch gar nicht stören bei dem, was er macht, was immer das auch sein mag, da ist meine Neugier schon geweckt: Ja, was macht er denn da?
Er sitzt da ganz für sich allein, seine Schultern zucken ein bisschen – er weint. Als würde er sich genau in diesem Moment ertappt fühlen, dreht er sich um, entdeckt mich, rutscht von dem Stein und huscht über die Wiese davon.
Ich stehe einigermaßen verdutzt da. Der Junge mochte wohl acht oder neun, vielleicht auch elf gewesen sein. Wer kann das schon so genau sagen? Und wer weiß schon, was ihn da zum Weinen gebracht hat. Kinderkram eben, denke ich und wundere mich aber doch ein bisschen über meine Gleichgültigkeit.
Dann ruft mich der Wald zurück. Ich marschiere durch das dünn gesäte Unterholz, greife mir meine vollbeladene Schleppe und schleppe sie in Richtung Tine. Auf der Wiese bleibt eine breite Schneise bedrückter Halme zurück, nur nicht auf der zwischen unserem Häuschen und dem Schuppen. Dort hat sich das Moos so breit gemacht, dass sich nur ganz vereinzelt ein Grasbüschel zu zeigen wagt. Und wegen den drei Halmen muss ich ja nun wirklich nicht die rostige Sense, die unter dem Dach baumelt, aus ihrem Schönheitsschlaf aufschrecken.
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