Название: Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019
Автор: Pete Hackett
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783745210118
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Als er zu einem seltsamen Gerät griff, hörte er die Stimme des Grafen direkt neben sich.
„Bitte um absolut behutsame Behandlung, Herr Leutnant. Es wäre ein nicht abzusehender Schaden, wollte Euch dieses Mikroskop aus den Händen gleiten.“
„Ein Mikroskop? Wie überaus interessant!“, antwortete Oberbeck und stellte den Messingzylinder zurück auf den Tisch. „So hatte ich mir die Erfindung des Holländers gar nicht vorgestellt.“
„Ich bin überrascht, dass Ihr davon gehört habt. Als Soldat ist man ja nicht unbedingt der Wissenschaft verbunden. Umso mehr freut mich Euer Interesse, aber was Ihr hier seht, hat auch mit der Erfindung des Antoni van Leeuwenhoek nur entfernt noch etwas gemein. Auch wenn der gute Mann weit über fünfhunder Mikroskope baute, so waren sie doch nur sehr begrenzt verwendungsfähig. Nein, seine wie auch die Arbeiten seines Vorgängers Hans Lipperhey stammen aus dem vergangenen Jahrhundert und wurden inzwischen durch mich bedeutend verbessert. Schon Galileo Galilei hatte da hoch interessante Vorarbeiten geleistet, die mir bei meinen Studien sehr geholfen haben. Schaut einmal auf diesen Zylinder. Ich kann ihn mithilfe eines Zahnrädchens in der Höhe verändern und Dank der ausgezeichneten Arbeit einiger Linsenschleifer die verwendeten Linsen nicht nur miteinander kombinieren, sondern auch durch die Verwendung eines Objektträgers aus Glas die untersuchten Dinge besser durchleuchten – seht ihr – hier ist zudem noch ein kleiner Spiegel angebracht, und das zusammen ergibt ganz bedeutende Vergrößerungen, weit entfernt von den ersten Versuchen dieser Art.“
Der Graf von St. Germain hatte plötzlich seine stets distanzierte Haltung gegenüber dem Jägerleutnant aufgegeben und sich warm geredet. Vielleicht war er wirklich von dem Interesse des Leutnants überrascht, vielleicht wollte er ihn aber auch nur beeindrucken.
Leutnant Oberbeck hielt sein Auge über den Zylinder und richtete das Mikroskop so neben einem Kerzenleuchter aus, dass er genügend Licht hatte, um ein buntschillerndes Objekt zu betrachten, nachdem sich sein Auge an die ungewohnte Sichtweise gewöhnt hatte.
„Beeindruckend, Herr Graf, und was ist es, das ich dort sehen kann?“
Der Graf hatte sich aufgerichtet und sah den Leutnant in der gleichen, spöttischen Weise wie zuvor an.
„Das, Herr Leutnant, ist ein Stückchen Haut, menschlicher Haut, wohlgemerkt. Ich habe mein Mikroskop gerade Medicus Meibaum vorgestellt, um ihm zu beweisen, dass er für seine medizinischen Studien künftig nicht mehr ohne ein solches Gerät auskommen wird.“
„Menschliche Haut? Das interessiert mich natürlich sehr“, antwortete der Leutnant und warf einen zweiten Blick durch das Gerät. Wie beiläufig, und ohne den Grafen anzusehen, zog er ein kleines Stück Stein aus der Tasche seiner Kniebundhose und hielt es dem Graf auf der offenen Handfläche entgegen. „Kann man eine Probe davon auch untersuchen, oder könnt Ihr mir als Gelehrter schon so sagen, um was es sich hierbei handelt?“
Ohne zu zögern griff sein Gegenüber den weißen Stein, warf einen kurzen Blick darauf und reichte ihn dem Leutnant zurück.
„Bei diesem Stück handelt es sich ohne Frage um Kaolin, warum fragt Ihr danach? Was für eine Bewandtnis hat es damit, stammt es hier von meinem Tisch?“
Der Leutnant lächelte verschmitzt. „Kann man denn mithilfe des Mikroskops erkennen, vorher dieses Kaolin stammt? Ich meine, lässt sich damit sagen, ob es aus Meißen oder aus Fürstenberg stammt?“
„Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Eine Orts- oder Herkunftsbestimmung ist damit nicht möglich, aber warum wollt Ihr das wissen?“
„Rein wissenschaftliches Interesse, Herr Graf. Entschuldigt mich jetzt, mich ruft die Pflicht, und ich muss dringend in unsere Wachstube zurück. Wir haben noch zwei ungelöste Mordfälle.“
„Zwei Fälle?“, rief der Graf erschrocken aus. „Meiner Treu, Braunschweig scheint mir ein gefährliches Pflaster zu sein, Herr Leutnant. Sind Eure Männer denn nicht in der Lage, das Gesindel aus der Stadt herauszuhalten?“
„Das Gesindel?“, antwortete der Leutnant schon im Gehen mit einem merkwürdigen Blick auf den Grafen. „Es wäre einfach, wenn man es immer gleich erkennen könnte.“
Damit ließ er seinen Gesprächspartner stehen und eilte aus dem Saal zurück in die Wachstube der Jäger.
16.
„Ich für meine Person halte jedenfalls gar nichts von dieser Idee“, raunzte Sergeant Eggeling und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch der Wachstube. „Wäre Bernhard in Montur gewesen, wie es sich für einen Jäger im Dienst gehört, hätte niemand es gewagt, Hand an ihn zu legen.“
Ein paar der umstehenden Männer nickten zustimmend, aber ihr Offizier war damit nicht einverstanden.
„Die grün-rote Montur der Jäger ist keineswegs ein Schutz vor heimtückischen Anschlägen. Natürlich ist er in dieser Gewandung eine Respektperson, die in der Bevölkerung geachtet wird. Auch mancher Spitzbube wird vielleicht zurückschrecken, wenn er einen von uns sieht. Aber eine heimliche Beobachtung von verdächtigen Personen ist damit vollkommen ausgeschlossen. Wie hätte sich Bernhard denn Zutritt zu dem Palais verschaffen sollen?“
„Und was hat es uns genutzt? Er ist ermordet worden, aufgeschlitzt wie ein Schlachtvieh, und wir wissen noch nicht einmal, was er möglicherweise herausgefunden hat“, knurrte der alte Sergeant erneut.
„Da bin ich ganz anderer Meinung, Eggeling. Das hier hat man bei unserem toten Kameraden gefunden. Es handelt sich um Kaolin.“
Der kleine, weiße Steinbrocken wurde bei diesen Worten auf die Tischplatte gelegt. Aber der griesgrämige Sergeant zuckte nur mit den Schultern.
„Das hilft uns auch nicht weiter, Leutnant. Wir sind in dieser Angelegenheit keinen Schritt vorangekommen, und langsam bezweifle ich, dass wir noch eine Spur des Mörders finden.“
„Oh nein, Sergeant. Durch die Nachfragen der Jäger in den umliegenden Schenken am Hagenmarkt wissen wir, dass ein Mann, auf den Bernhards Beschreibung passt, bis zum Schließen des Lokals im Löwen gesessen hat. Der Wirt meinte, er hätte ihm noch nachgesehen, als er sein Haus abschloss und ist sicher, dass Bernhard zum Hoftheater hinüberging.“
„Zum Theater? Was wollte er denn dort zu später Stunde?“
„Ich habe nicht gesagt, dass er zum Theater wollte. Denkt doch einmal nach – sein Weg führte ihn in gerader Linie vom Löwen am Theater vorbei – welches Gebäude liegt dort an der Straßenecke?“
„Nun – das einst von Madame Branconi bewohnte Palais natürlich. Es stand lange Zeit leer.“
„Richtig, СКАЧАТЬ