Название: 4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018
Автор: Christoph-Maria Liegener
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные стихи
isbn: 9783746992471
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Es gab ständig Gerüchte, Drohungen im Netz, Verschwörungstheorien. Die Templer, die Satanisten, Dschihadisten, Tschekisten, Raelianer, Darth Vader, Sauron, Gargamel, die Untergangsverkünder von Deck 1 und aus den eigenen Reihen – die Welt wimmelte von zu allem bereiten Psychopaten, und von nicht wenigen zu allem Fähigen. Manche waren käuflich, also berechenbar, eine Frage des Preises. Andere hörten Stimmen, waren auserkoren, auf einem endlosen Trip von Bethlehem bis Aum. Gegen die halfen nur Bazuka und Remington. Und Kontakte, belastbare Kontakte.
-Und sie…
-…nein, lassen Sie mich ausreden! Wir waren sicher. Und es gab keine Möglichkeit, zu reagieren. Es abzuwenden. Die Kommunikation zu den Bodyguards seiner Heiligkeit… ausgefallen, vermutlich sabotiert. Es gab nur uns - mich und den Nuntius, dort oben in der Loge. Der war keine Hilfe. Wir hatten nur Funkkontakt zur Sicherheitszentrale.
-Und die Bombe…
-sollte eine enorme Sprengkraft haben. Das hat der Attentäter erklärt. Bei der Zahl der Messebesucher war von mehr als 500 Toten auszugehen. Viel mehr. Und einer unbekannten Zahl von Schwerverletzten. Es gab nur eine Möglichkeit, das zu verhindern.
Ultima ratio. Für manche Dinge gab es keine Dienstanweisung. Keine philosophischen, theologischen Entscheidungshilfen. Das war der Job. Griechische Götter und ihre Sagenschreiber kannten auch nur ausweglose Situationen. Eli, Eli, lama absathani. Die Kuppel des Doms ragte über alle Gebäude hinweg in den Himmel. Auf dem Platz standen Gläubige und Touristen wie gewohnt Kopf an Kopf, betend, singend, den Rosenkranz durch die Fingen gleiten lassend. Auf den vier Videoleinwänden sahen sie sich selbst in Großaufnahme, die angereisten Nonnen, die Pilger, die Rollstuhlfahrergruppen, die Bildungstouristen. Die Tauben hatten sich zurückgezogen, kreisten über dem Dom. Urbi et orbi.
-Indem Sie…
-Verstehen Sie, Seine Heiligkeit würde auf seinem Weg zur Bühne unweigerlich den Trittkontakt auslösen. Es gab keine Möglichkeit, ihn in der kurzen Zeit aufzuhalten.
-Es sei denn…
-Ich bin Präzisions-Schütze, Seine Heiligkeit war nur 70 Meter entfernt.
Die Piazza S. Pietro war leer. Nur die Tauben waren zurückgekehrt. Gurrten, flatterten um die Kolonnaden, trippelten über das Kopfsteinpflaster. Der Obelisk hatte seinen Schatten um eine Stunde vorgerückt. Die Brunnen rauschten. Von der Basilika schauten Jesus und die Heiligenstatuen regungslos über den Platz.
-Ihre Optionen waren also…
-…zu schießen. Seine Heiligkeit mit hinreichender Sicherheit auszuschalten, damit er den Kontakt nicht auslöste…
-Oder…
-…die Explosion zuzulassen, die Hunderte getötet hätte.
-Und Sie haben… was getan? In dieser Situation?
-Wie ich sagte…
-Was?
-Ich habe … gebetet.
Günter Vollmer
Abschiedsbrief
1
Nennen wir zunächst ‚Abschiedsbrief‘, was ich Ihnen hiermit zukommen lasse. Fremd, wie Sie mir geworden sind, ziehe ich es vor, Sie zu siezen.
Worum es geht? Um Sie, um Ihre Kinder, auch um mich. Und darum, wie unvereinbar unsere Schicksale sind und wie eng wir gleichzeitig darin verklammert sind. Um es auf den Punkt zu bringen: Sie werden sterben, das ist sicher, und das sehen Sie als Ihr Problem, ich nicht, wahrscheinlich nie, das ist mein Problem.
Es ist ein früher Abschiedsbrief, absurd früh, vor allem nach Ihren Maßstäben. Ich selbst habe gerade erst meinen Zenit hinter mir, komme ein wenig zur Ruhe. ‚Abschiedsbrief’ trifft also nicht, was es in Wirklichkeit ist, ich erwähnte es schon, nennen wir ihn besser Abwendebrief, ich werde mich von Ihnen abwenden, will es nicht länger mit ansehen.
Damit Sie mich verstehen, komme ich zunächst zu Ihnen. Auch Sie haben Ihren Zenit erreicht, die Evolution geht ihrer unseligen Erfüllung entgegen, vor Ihnen liegt…was? Eine schier endlose Zukunft? So möchten Sie es sehen. Unsere Skalen könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie wissen nicht, wollen nicht wissen, wie moribund Sie sind, so gut wie schon verstorben - meine Skala.
So werden Sie mich also nur noch kurz begleiten. Ihre Zeit wurde begrenzt, als Einzelwesen und als Art, darin sind Sie unschuldige Schöpfung. Gleich zu Beginn der mir verbleibenden Ewigkeit wird Ihr Fixstern aufkochen, er wird Ihre Meere eindampfen, Ihren ehemals schönen Planeten austrocknen und einschmelzen, ihn schließlich verschlingen - Sie wissen darum. Natürlich werden sie weit vorher in aller Verzweiflung zu fliehen versucht haben, in der Hoffnung, eine neue Heimat im All zu finden. Wie sinnlos! Wenn Ihr Planet in das Inferno der Sonne eintaucht, werden Ihre Pioniere mitsamt der Illusionen, unter denen sie aufgebrochen sind, längst im Ozean der Endlosigkeit verschollen sein. Keine Chance auf ein irgendwie geartetes Weiterleben, nicht in ihrer Heimat, noch irgendwo anders im mitleidlosen All. Nicht Ihre Schuld, das. Auch nicht die meine.
So wäre es im günstigsten Fall. Der nicht eintreten wird. Damit komme ich zu dem Grund, weshalb ich Ihnen mein ‚Du‘ entziehe: egozentrisch, ignorant und aggressiv, wie Sie sind, gegen jeden und gegen alles. So werden Sie das bisschen Zeit, das Ihnen bleibt, leichtsinnig verspielen. In unzähligen Galaxien habe ich Milliarden von Zivilisationen aufkommen sehen. Unterschiedlich erfolgreich, was das Miteinander und was die Pflege ihrer Planeten betrifft. Sie gehören zu den Schlusslichtern.
Warum ich dies sage? Lange bevor Ihre Sonne dem Leben die Existenzgrundlage entzieht, werden Sie Ihr eigenes Inferno entfacht haben. Sie haben den ‚Fortschritt‘ als heilige Monstranz vor sich hergetragen, das Besser, Größer, Mächtiger zu Ihrer Religion erhoben und die Kreationen, um nicht zu sagen ‚Kreaturen‘ ihrer Intelligenz, ins Unbeherrschbare sich entwickeln lassen. Diese Geschöpfe werden sich von Ihnen, ihren Erzeuger befreien, werden Sie bedrängen und schließlich vernichten. Mit Ihrer nicht enden wollenden Gier, gepaart mit lauem Humanismus der Einen, Dumpfheit der Anderen, Fanatismus der Dritten werden Sie den Abzweig verfehlen, haben ihn längst schon verpasst, so werden Sie vor der Zeit vergehen.
2
Kommen wir jetzt zu mir. Auch wenn ich alles umfasse, bin ich nicht Herr der Dinge. In mir liegt, was mich treibt, was mit mir entstanden ist und was zu ändern nicht in meiner Macht liegt. Da bin ich nun, der Bigbang ist ferne Geschichte, die großen Spektakel werden seltener, mein Schaffensrausch erlahmt, und ich werde zu erschreckender Ruhe kommen, erschreckend, weil darin der Keim einer Endzeit liegt, der ich gefasst entgegensehen muss.
Sie sehnen sich nach Ewigkeit, nach einer Existenz ohne Ende und wissen nicht, auf was Sie sich einlassen würden, wenn ein Licht nach dem anderen ausgeht, der Raum nicht aufhört, sich ins ewige Dunkel zu blähen, Galaxien, Sterne und schließlich die Atome zu einem Nichts zerfallen, das sich in meine nicht enden wollende Langeweile ergießt. Wie gern würde ich mit Ihnen tauschen.
Seien Sie froh, dass Ihnen Tod und Untergang beschieden sind.
Gezeichnet
Ihr Universum
Barbara Blume
Finissage am Sonntag
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